Peitschen, Puppen, Lehmsoldaten
Das "Figurentheater der Nationen" zeigt - ja - auch Puppentheater. Aber nicht nur. Es hat sich zu einer spannenden Avantgarde-Reihe entwickelt. Die Künstler aus aller Welt überraschen mit ungewöhnlichen Geschichten und Techniken.
Sechs Scheinwerfer zeichnen Kreise in die Dunkelheit. Darin kneten drei uniformierte Männer aus Lehm Figuren, Dinge, sogar ganze Städte. Ein Bomber fliegt auf eine Ansammlung von Häusern zu. Er lässt zwei Bomben fallen. Doch die halten kurz vor dem Einschlag inne und verfolgen das Flugzeug. Sie erwischen es, Bomben und Bomber werden eins, fallen als Matschklumpen zu Boden. "Count to One" heißt das stille, feine Antikriegsstück aus dem Iran. Die Regisseurin Yase Tamam erzählt davon, wie der Krieg das ganze menschliche Leben durchwirkt:
"Im Iran ist das eine ganz interessante Geschichte."
Annette Dabs, Intendantin des Figurentheaterfestivals Fidena.
"Da ist das Figurentheater noch sehr jung. Das gibt es noch gar nicht lange. Das war ja immer verboten wegen der Religion, figürlich zu arbeiten. Du durftest dir kein Bildnis machen und so weiter. Die haben ganz spät angefangen. Es gibt aber jetzt eine Tendenz dazu, dass sehr viele junge Leute Figurentheater machen, extrem viele. Und zum Beispiel die Unima - das ist die Union International de la Marionette - die Abteilung Iran ist das größte Unima-Zentrum der Welt inzwischen."
Im Iran ist das Figurentheater eine Oase der Freiheit. Weil die Zensoren es nicht so ernst nehmen:
"Da kann man Sachen machen, die man im Drama nicht machen kann. Zum Beispiel, dass sich auf der Bühne Mann und Frau berühren. Das geht überhaupt nicht. Aber auf der Puppenspielbühne könnten Mann und Frau sich theoretisch sogar küssen, die Puppen."
Aufführungen ohne klare Gattungen
"Alles nur kein Theater" lautet das Motto des Festivals. Was heißen soll: Hier werden die Grenzen zwischen den Kunstgattungen pulverisiert.
"Whip" - eine Tanzperformance der Niederländerin Boukje Schweigman ist so ein nicht genau zu definierender Abend. Vier Frauen schwingen Peitschen. Sie sitzen auf dem Boden und lassen sie um sich kreisen, toben durch den Raum, schlagen in die Luft, lassen sich einwickeln, bilden ein seltsames Tier mit Fühlern und Schwanz. Dabei wirken sie ganz bei sich, hoch konzentriert, etwas entrückt, eins mit ihren Peitschen. Boukje Schweigman hat auf einer Asienreise die Kunst des Peitschenschlagens bei taoistischen und buddhistischen Mönchen gelernt. Peitschen statt Puppen - da ist schon ungewöhnlich für ein Figurentheater.
"Ich hab wirklich das Gefühl, ich hab es in diesem Jahr positiv gesehen auf die Spitze getrieben. Das war schon ein großes Wagnis, aber ich hab mir gedacht, wir sind so weit, dass wir das wagen können, dass Objekttheater, dass Materialtheater, dass Performance, die von der bildenden Kunst, die vom Tanz her kommt, auch wirklich gut aufgenommen wird und verstanden wird, warum das zum Figurentheater gehört."
Die belgische Needcompany ist nicht gerade für Figurentheater bekannt. Aber Objekte spielen eine große Rolle in vielen Aufführungen. Die Fidena hat zwei Produktionen in Auftrag gegeben. In der ersten agieren Jan Lauwers, Gründer des legendären Ensembles, und der junge Maarten Seghers zusammen mit Videoinstallationen. Ein Dialog um die Bedeutung der Kunst, mit den Mitteln der Sprache und des Tanzes. Im zweiten Stück namens "What do you mean what do you mean and other Pleasantries" schleppt Maarten Seghers riesige hölzerne Skulpturen über die Bühne,
" ... that are actually sound generating. So you could consider them as instruments or a basic idea of instruments."
Eine frische, neugierige Stimmung
Seghers arbeitet seit vielen Jahren mit diesen Klangskulpturen oder selbst entworfenen Instrumenten. Erst hat er sie als eine Ausstellung gezeigt, dann mit ihnen eine Performance erarbeitet.
"This show is the third step in this idea of these sculptures where I use all of these sculptures to create a hysterical and expressive theatre show."
Der dritte Schritt, der nun bei der Fidena zu sehen ist, wird eine hysterische und expressive Theatershow, ein schräges Konzert, das Mittwoch und Donnerstag in den Bochumer Kammerspielen läuft. Es herrscht eine frische, neugierige Stimmung bei der Fidena, wie man sie auch in der Ruhrtriennale unter Heiner Goebbels spürt. Fast jede Aufführung ist ein Versuch, das Theater neu zu erfinden. Oder zumindest eine neue Spielart zu entwickeln.
Doch, Puppentheater gibt es auch bei der Fidena. Zum Beispiel der hinreißend witzige "Doktor Faustus reloaded" vom Puppentheater Magdeburg, eine tolle Verschränkung von Goethe und Volkstheater. Gretchen bekommt hier ein Happy End, weil Kasper auftaucht und ihr Baby rettet. Und Faust fährt zur Hölle. Seine Wurzeln hat das Festival nicht vergessen. Aber die Fidena geht mit der Zeit und hat sich zu einer spannenden Avantgardereihe entwickelt, die nicht nur die Puppen tanzen lässt.