Sophokles als Pop-Spektakel
Poppig und zugleich mit tiefem Ernst bringt der Theaterregisseur Stefan Pucher Sophokles' antikes Stück "Elektra" auf die Bühne. Eine Inszenierung voll beschwingter Schönheit und subtiler Bösartigkeit, meint unser Kritiker.
Elegant geht es zu auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Was natürlich keine Überraschung ist, wenn der Regisseur Stefan Pucher heißt. Selbst wenn er, wie hier, mit der "Elektra" des Sophokles in die blutigen Tiefen der antiken Tragödie hinabsteigt, schafft er genügend Raum für flirrenden Glamour-Genuss, fidel-bunte Videoeinspielungen und reichlich Musik. Von Bühnenbildnerin Barbara Ehnes hat er sich diesmal eine Art 40er-Jahre Show-Tribüne errichten lassen, die sich stufenartig erhebt, und auf der gut und gerne eine Swing-Big-Band Platz nehmen könnte. Tatsächlich aber befinden sich ganz oben nur die Musiker Michael Mühlhaus und Maha Qrella, die an Gitarre, Bass und Synthesizer das fatale Geschehen mit mal lässigen, mal aufgewühlten Beats begleiten.
Schon bei Sophokles geht es um eine Gesellschaft, die sich in die Verdrängung und den Hedonismus flüchtet, und Pucher bringt dies so schlicht wie sinnvoll auf den Punkt, indem er die Artriden-Frauen Kleider im nostalgischen Revue- und Standardtanzturnier-Stil tragen lässt. Nur Elektra, die nicht mitmachen, sondern die geschehen Verbrechen beim Namen nennen will, tritt im strengen Herrenanzug auf. Eine ewig Ungetröstete, die auch aus der Geschlechterrolle fällt - und ein neues Klischeebild für sich sucht: den blutdürstigen, maskulinen Rächer. Dabei lässt sich sich auch schon mal schmerzverzerrt auf den Boden fallen und rauft sich irr die Kurzhaarfrisur, vor allem aber will sie eines: sich verständlich machen.
Vermittlung der Sophokles-Rhetorik im Mittelpunkt
Es ist das Verdienst dieser Aufführung, dass es ihr tatsächlich und vor allem um die Vermittlung der raffiniert argumentierenden Sophokles-Rhetorik geht. Katharina Marie Schubert ist dabei ein fulminanter Diskussionsmittelpunkt: Irrwischartig und unter Hochspannung presst die burschikose Leiderin ihre Argumente hervor und droht dabei, selbst in den Windungen des ethischen Sühnekonfliktes verloren zu gehen. Wie alle Darsteller dieses Abends gestattet sie sich anfangs noch einiges an Melodramen-Parodie, an ironischer Brechung, nur um schließlich in eine hoch sensible Gefühligkeit zu verfallen, die tief ergreift und mit der die Figur der Elektra zum traumatisierten, zitternden, rettungslosen Elendsgeschöpf wird.
Während Puchers Pop- und Witzverwandlung bei der "Hedda Gabler", die er vor Kurzem am selben Haus mit Nina Hoss inszenierte, viel Vergnügen, aber wenig Erhellendes mit sich brachte, geht das Konzept an diesem Abend großartig auf. Die Chorpassagen werden formidabel gesungen (im Wesentlichen von der fabelhaften Anita Vulesica) und mit emotional anheizenden Popsongs verschränkt, und auf den Projektionsflächen finden sich bisweilen erotisch tanzende Frauensilhouetten mit Rache-Axt im James-Bond-Vorspann-Stil.
Tanzende Frauensilhouetten wie bei einem James-Bond-Vorspann
All das jedoch klamaukt nie die unlösbaren Fragen des Textes hinweg, der mit so großer Konzentration und Ausdauer ernst genommen wird. Keine wilde Verstörung erleichtert die Sache, auch kein blutiges Bühnengemetzel: Zum scheinbar glücklichen Ende, an dem wieder sehr entspannt gesungen wird, hat Elektra ebenfalls das Tanzkostüm angezogen und sich mit ihrer eigenen Rachetat eingereiht in die Welt, die sie eben noch anklagen musste. Mit einem schmerzlichen Achselzucken wird dieser Schluss präsentiert, und dem Zuschauer bleibt nur, die ethische Ratlosigkeit auszuhalten und sich selbst dazu in Position zu setzen.
Dieses Stück, gut 400 Jahre vor unserer Zeitrechnung verfasst, setzt Anpassung und Terror einander gegenüber, ohne eine ausgleichende Mitte zuzulassen. Seine ungebrochene gedankliche Herausforderung wird an diesem Abend, in Puchers sanfter Pop-Revue, mit beschwingter Schönheit und subtiler Bösartigkeit serviert – sehr appetitlich und auf profunde Weise unbekömmlich.