Männliche Regisseure entdecken feministische Themen
05:26 Minuten
Frauen spielen so viele männliche Titelrollen am Theater wie nie zuvor. Ein Trend, der in der aktuellen Spielzeit für viel Aufsehen sorgt. Allerdings wirkt es dabei ein wenig seltsam, wenn ausgerechnet Männer zu Anwälten der weiblichen Machtbeteiligung werden.
Gretchen und Ophelia, Amalia und Emilia, Julia und Luise: Dass Frauen in den Stücken des klassischen Theaterkanons ziemlich schlecht wegkommen, dürfte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Sie werden missbraucht, verstoßen, getötet, töten sich selbst – und ständig wird von Männern über sie verfügt.
24 von 25 der wichtigsten Frauen der Theaterliteratur erleben ihr Ende nicht mehr, die 25. bringt als monströse Medea ihre Kinder um, analysierte messerscharf die Regisseurin und Dramatikerin Susanne Zaun im Schlosstheater Moers die verheerende Lage.
Frauen spielen Männerrollen
Wenn jetzt so viele Titelhelden von Frauen gespielt werden, scheint das jahrhundertealte patriarchale Denkmuster auszuhebeln. Und manches – wie hier Sophia Burtscher als Franz Moor in Schillers "Räuber" am Schauspiel Köln – hört sich so fast schon an wie ein feministisches Manifest.
"Ich habe große Rechte über die Natur, ungehalten zu sein. Und bei meiner Ehre, ich will sie geltend machen. Warum bin ich nicht der erste aus Mutterleib gekrochen, warum nicht der Einzige? Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin."
Regisseur Ersan Mondtag tut einiges für die Sache der Frau: Er lässt eine riesige männliche Herrschaftsstatue vom Moor-Vater im Nachthemd stürzen – toxische Männlichkeit demontiert sich von selbst. Indem er statt Amalia einen jungen Mann fast vergewaltigen lässt, wird nochmal so richtig die Brutalität einer MeToo-Situation deutlich. Auch in Stephan Kimmigs gefeierter Geschlechterverwirrung "Platonowa" am Schauspiel Hannover wird die männliche Hauptfigur von einer Frau gespielt -
"Es gibt nichts Mysteriöses in der Beziehung zwischen den Menschen. Es handelt sich um was rein Physisches."
Und der sonst eher durch gute Routinearbeit auffallende Regisseur liefert hier eine seiner spritzigsten, lebendigsten Arbeiten. Jeder kann sich in jede verlieben, Liebespfeile fallen quer durch Geschlechtergrenzen.
Feministische Stücke mit männlicher Regie?
Doch es wirkt ein wenig seltsam, wenn ausgerechnet Männer zu Anwälten der weiblichen Machtbeteiligung werden. Geschickt haben sie das eingefädelt, denn so schlagen sie gleich drei Fliegen mit einer Klappe:
Erstens lassen sie sich von Frauen das Karriereheft nicht aus der Hand nehmen.
Zweitens springen sie auf ein politisches Thema, das gerade an deutschen Bühnen Hochkonjunktur hat.
Und drittens umgehen sie damit die Schwierigkeit, dass im Grunde die gesamte Dramenliteratur neu geschrieben werden müsste, wenn weibliche Beteiligung auf der Bühne wirklich ernst gemeint wäre.
Zweitens springen sie auf ein politisches Thema, das gerade an deutschen Bühnen Hochkonjunktur hat.
Und drittens umgehen sie damit die Schwierigkeit, dass im Grunde die gesamte Dramenliteratur neu geschrieben werden müsste, wenn weibliche Beteiligung auf der Bühne wirklich ernst gemeint wäre.
Fragwürdig wird es dann aber, wenn selbst deutsche Erstaufführungen feministischer Stücke in männliche Regie-Hand übergeben werden. So geschehen in Düsseldorf bei "Linda" der britischen Dramatikerin Penelope Skinner mit Marius von Mayenburg als Regisseur.
"Geben wir diesen unsichtbaren Frauen das Gefühl zurück gesehen zu werden. Sagen wir ihnen: Ladies, wir wissen, dass es euch gibt."
"Linda, dein Konzept ignoriert einen Riesenanteil des potenziellen Marktes. Warum sollen wir uns auf über 50-Jährige beschränken, wenn wir unsere Produkte genauso gut an Frauen in den 40ern verkaufen können, in den 30er, 20ern."
Ärgerlich: Missstände werden bestätigt
Doch so aktuell die Geschichte der 50-jährigen Linda auch ist, die von ihrem Chef niedergeschrien und von ihrem Mann verlassen wird, so eifrig dort auch die Unsichtbarkeit der alternden Frau, die permanente Bewertung des weiblichen Körpers, der feminine Hang zur Selbstbeschuldigung thematisiert werden – das vermittelte Frauenbild bleibt ärgerlich.
Larmoyant werden hier die Missstände bestätigt, die doch eigentlich beklagt werden. Und das letztlich von einem Mann. Am Ende lässt er sogar Amy Winehouse’ traurigen Evergreen "Back to Black" röhren: die Ode einer großen, verlassenen Frau, die viel zu jung starb.
Dabei wäre es doch endlich Zeit für neue Frauenbilder. Diese liefern die männlichen Regisseure nicht.
Doch – einen gibt es da noch. Johan Simons in seiner grandiosen Inszenierung des "Hamlet", gerade zum Theatertreffen eingeladen. Sandra Hüller spielt die Titelfigur mit ungeheurer Tiefe als vereinsamten, manisch-depressiven Menschen – und wird flankiert von einer Ophelia, die Gina Haller als starke, selbstbestimmte, einfühlsame schwesterliche Freundin spielt – und sich damit wohltuend von allen Ophelia-Deutungen der Theatergeschichte abhebt. So könnte sie gehen: die Beteiligung von echten Frauen im patriarchalen System Theater.