Theater und Holocaust

Das Menschheitsverbrechen auf die Bühne gebracht

05:26 Minuten
Szene mit Horst Niendorf (l) als Verteidiger, Dieter Borsche (M) als Richter und Günter Pfitzmann als Ankläger während der Generalprobe am 18.10.1965.
1965 fand an der Freien Volksbühne in Berlin die Uraufführung des Stückes "Die Ermittlung" des Dramatikers Peter Weiss statt, eine szenische Dokumentation des Ausschwitz-Prozesses. © picture-alliance/ dpa/ Konrad Giehr
Von Paul Lohberger |
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Weltweit wird zum 75. Jahrestag an die Befreiung von Auschwitz erinnert, auch an den Theatern. Doch bis der Holocaust auf der Bühne überhaupt thematisiert wurde, hat es gedauert – vor allem, aber nicht nur in Deutschland.
"Was die Schriftsteller schreiben, ist nichts gegen die Wirklichkeit" – dieses Zitat des Autors ist der Inszenierung von Thomas Bernhards Stück "Heldenplatz" vorangestellt, die derzeit im Schauspielhaus Graz gezeigt wird. Rund um die Uraufführung 1988 in Wien entspann sich eine gewaltige öffentliche Erregung, weil Österreich als verlogenes Land dargestellt wird, das seine Beteiligung am Nationalsozialismus hinter katholischer Scheinheiligkeit und Sozialismus verbirgt.

Perspektive der Remigranten

Dieser Eindruck entsteht freilich aus der Perspektive von Remigranten, wie sie auch in "Heldenplatz" gezeigt wird: "Ich gehe auf der Mariahilfer Straße und suche die Mariahilfer Straße." Eine jüdische Bürgerfamilie lebt seit Jahrzehnten in Österreich und ist gut etabliert, doch nach dem Krieg nicht mehr heimisch geworden, nachdem die zwei Brüder Schuster aus der Emigration zurückgekehrt sind. Das Trauma des Holocaust wirkt hier indirekt, weil so viele Menschen ermordet wurden und ein Teil der vertrauten Welt fehlt.
Diese Perspektive war typisch dafür, wie der Holocaust in den ersten Nachkriegsjahren dargestellt wurde: Viele Akteure waren Remigranten, die mitunter Repressionen oder gar Übergriffe erlebt hatten, aber nicht im KZ gewesen waren. Und Überlebende selbst wollten ihrerseits das Grauen eher vergessen als auf die Bühne bringen.

Die Auschwitzprozesse auf der Bühne

Erst 20 Jahre nach Kriegsende änderte sich das. Peter Weiss verarbeitete die Protokolle der Frankfurter Ausschwitzprozesse zu einem dokumentarischen "Oratorium in 11 Gesängen", Haupttitel "Die Ermittlung". 1965 wurde es gleichzeitig an 16 Bühnen in ganz Deutschland aufgeführt. Die verschriftlichten Darstellungen halten Distanz und schockieren umso mehr.
George Tabori, der engste Angehörige verloren hatte, thematisierte in "Die Kannibalen" explizit das Leben im Lager: Wenn die Ausgehungerten streiten, ob sie einen toten Mithäftling kochen sollen, steht die Menschlichkeit an sich zur Diskussion. Denn am Ende müssen sie die Suppe essen – oder sie werden vergast. Uraufführung hatte das Stück in New York 1968, ein Jahr später in Deutschland. Nach Wien kam es erst 1987, als Tabori das Schauspielhaus übernahm, selbst inszenierte und mitspielte.
"Die den Tod erlitten Habenden sind auf einem Podium gesessen, und da gab‘s Szenen, da wurde einem kalt", sagt die österreichische Theaterwissenschaftlerin Hilde Haider-Pregler, die die Aufführung damals verfolgt. "Wenn dann der Lageraufseher fragt, wo ist der Puffi? Und ein kleiner Dicker, der auf dem Podium sitzt, deutet auf den Kessel – na, da."

Eine eigene Bilderbild

Während Filme inzwischen die Lagerrealität vermeintlich realistisch abbilden, ist dies im Theater immer noch schwierig. Am Wiener Volkstheater läuft derzeit "Schwere Knochen" von David Schalko. Ein Kleinkrimineller wird im KZ zum Kapo und dadurch später ein Obergangster.
Die Kostüme verweigern sich dem Realismus, die Lagerautoritäten erscheinen als Clowns. "Wir sind ja vollgestopft mit Bildern vom Nationalsozialismus und Konzentrationslagern", erläutert Regisseur Alexander Charim. "Das ist etwas, das man auf der Bühne nicht wiederholen kann, das wäre obszön. Am Anfang dachte ich, man muss das komplett abstrakt machen. Dann dachte ich, dass das zu einfach ist – und zu zurückhaltend. Und dass man dem eine Bilderwelt entgegenhalten muss, die ganz anders ist und zwischen Horror und Komik spielt."
Solche Darstellungen werden wohl auch deswegen möglich, weil der Holocaust durch das Aussterben der Zeitzeugen langsam historisch wird. Dem versuchte das Wiener Burgtheater 2013 zu begegnen: In Anwesenheit von Überlebenden, den "Letzten Zeugen", wurden deren Erinnerungen wiederum dokumentarisch auf die Bühne gebracht – der Theaterraum diente hier als Rahmen des Gedenkens.

Schicksale stehen im Mittelpunkt

Mittlerweile ist das eigentlich Undarstellbare des Holocaust in der ganzen Breite der Theaterformen angekommen. Und längst sind es vor allem die individuellen Schicksale, die das Unbegreifliche näherbringen.
Auch im erzählenden Theater, wie etwa gerade in Kassel, wo mit Martin Doerrys "Mein verwundetes Herz" die Briefe der in Auschwitz ermordeten jüdischen Ärztin Lilli Jahn im Mittelpunkt stehen. Von Peter Weiss’ oratorischer Stimmenvielfalt bis zum fast mikroskopischen Blick auf die einzelne Biografie war es ein weiter Weg. Zu Ende ist er noch lange nicht.
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