Viel Brandauer, wenig Lear
William Shakespeares "König Lear", inszeniert von Peter Stein, hatte sich Klaus Maria Brandauer zu seinem 70. Geburtstag gewünscht. Allerdings steht die Rolle des Theater-Stars der Figur Lear zunehmend im Wege.
Die Erwartungen sind sehr hoch: Shakespeares König Lear gilt allgemein als Krönung der Schauspielkunst und Klaus Maria Brandauer hatte sich die Rolle des abdankenden Herrschers Lear zu seinem 70. Geburtstag im Wiener Burgtheater gewünscht, obwohl die letzte Lear-Inszenierung dort (inszeniert von Luc Bondy mit Gert Voss als Lear) erst wenige Jahre zurückliegt.
Als Regisseur wünschte Brandauer sich Peter Stein, in dessen Inszenierungen er Ödipus, Dorfrichter Adam, Wallenstein und Krapp in Becketts "Letztem Band“ spielte.
Dass Peter Stein "König Lear“ weder aktualisieren, noch neu interpretieren, ja dass er geradezu einen Gegenentwurf zum "modernen Regietheater“ bieten würde, war zu erwarten. Darauf lässt man sich ja auch durchaus gerne ein! Die sehr tiefe Bühne des Burgtheaters ist vollkommen leer, sodass die Figuren und vielen Statisten - manchmal mit Fackeln und Kriegsflaggen auftretend - in ihren oft Pelz besetzten Kostümen und ihrem oft schulterlangen Haar wie mittelalterliche Spielzeugfiguren aufgestellt erscheinen, ein wenig so wie im Passionsspiel in Oberammergau. Wie weit psychologisch genau, wie weit lustvoll theatralisch - bisweilen beabsichtigt oder unbeabsichtigt - Lear gespielt wird, ist allerdings nicht immer auszumachen. Die Grenzen verschwimmen.
Erst jovial, dann vor allem selbstverliebt
Zu Beginn beeindruckt Brandauer als abdankender König durchaus: Jovial, zärtlich, liebesbedürftig, aber vor allem selbstverliebt, bis er plötzlich von einem cholerischen Anfall heimgesucht wird, über den er beinahe selber staunt. Wie sich Bewusstsein abspaltet, das wird dann vor allem auch in der Figur des Hofnarren (Michael Maertens) deutlich (ein zweites Ich, mit dem er ins Gespräch kommt). Doch immer mehr bremst die penetrante, manchmal auch ein wenig larmoyante Selbstverliebtheit, mit der Brandauer den verstoßenen König spielt, das Interesse an der Figur. Philosophiert Lear, dann hört man ihm geduldig zu, so wie einem über die Welt räsonierenden, geistreichen Zecher: Ein volkstümlicher Wiener Heurigen-Lear! Seine cholerische Anlage hat er im Griff, auch wenn sich seine Töchter davor weiter fürchten.
Bisweilen ist man über die Spielweise der Darsteller unsicher: Corinna Kirchhoff spielt outrierend eine durch und durch böse, durch und durch hysterische Frau: Goneril, die älteste Tochter. Fabian Krüger fällt als Edgar - auch er im vorgetäuschten Wahnsinn eine Bewusstseinsabspaltung Lears - plötzlich ins Schwäbeln. Und Joachim Bißmeier - und das ist bei einem Brandauer-Abend überraschend - scheint auf ruhige unaufgeregte Weise beinahe mehr Bühnenpräsenz zu zeigen als der Star.
Das Wiener Premierenpublikum schien wohl auch ein wenig enttäuscht, der Schlussapplaus müde. Wie die Rolle des Theater-Stars und die Rolle der von ihm gespielten Figur ineinander übergehen, ist dennoch auch in dieser Aufführung spannend und irritierend zu verfolgen. Abdanken wie König Lear sollte Brandauer also keineswegs!