Theater

Zufluchtsort Küche

Die deutsch-schweizerische Schriftstellerin Sibylle Berg
Die deutsch-schweizerische Schriftstellerin Sibylle Berg © picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Von Ulrike Gondorf |
Der Job bedroht, die Ehe-Frau gelangweilt, der Sohn in der Pubertät: Im neuen Bühnentext von Sybille Berg flüchtet sich ein IT-Profi in die Kochkunst. Trotz Klischees ein witzig-melancholisches Stück – wenn da nicht die Inszenierung wäre.
Sie ist die Pointenkönigin der Gegenwartsdramatik. Treffsicher beherrscht Sibylle Berg Karikatur und Kalauer, Satire und Sottise. Der Alltag wird zur Kenntlichkeit entstellt in ihren Stücken. Und oft weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll angesichts der Unzulänglichkeiten ihrer radikal durchschnittlichen Figuren.
Ihre neueste Expedition ins Herz zeitgeistiger Befindlichkeiten hat Frau Berg im Auftrag des Kölner Schauspiels unternommen. Dort kam "Viel gut essen" zur Uraufführung, in einer Inszenierung von Rafael Sanchez.
Es hagelt Klischees
Wenn alle Gewissheiten des Lebens wanken, gibt es nur noch eine Zuflucht für Robbie: seine Küche – nach höchstem Gourmetstandard ("noch nicht abbezahlt") –, in der er seine sorgfältig auf dem Markt erworbenen Spezialitäten ("alles Bio selbstverständlich") in einem Mehrgänge-Menu aufgehen lässt. "Ich bin IT-Mann durch und durch", sagt er von sich und nennt sich mit Vorliebe einen weißen, heterosexuellen Mann jenseits der Vierzig. Und das ist keine Komfortzone: eine Frau, die ihr Luxusdasein zu Hause langweilt, ein Sohn in der Pubertät, die Wohnung, das ganze Viertel wird gerade geräuschvoll saniert, im Job droht die jüngere Konkurrenz, selbstverständlich weiblich und mit Migrationshintergrund. Was wäre da dringender als die Frage, ob noch ein wenig Kardamom an die Taubenmousse gehört?
Natürlich hagelt es Klischees in dem Stück, das sind die bevorzugten Zutaten, wenn Frau Berg anrichtet. Von der Globalisierung über den Sexismus bis zur Aufarbeitung einer verkorksten Kindheit wird nichts ausgelassen, in ihrer Häufung werden die Probleme so beliebig und grotesk, dass sich sehr witzig darüber reden lässt. Das hat ein paar Längen, aber im letzten Viertel schafft die Autorin es doch, das abgekühlte Interesse an ihrem Unglückshelden neu aufzuwärmen: Da begreift man nämlich, dass alles schon zu spät ist, Familie, Wohnung und Job schon verloren – und natürlich brennt das Lamm an. Und man erschrickt darüber, was für ein unseliges Gebräu von Vorurteilen da ganz schnell überkocht, wenn die appetitliche Kruste einmal geplatzt ist.
Die Inszenierung: eine sterile Kunstanstrengung
Sibylle Berg hat diesem neuen Stück eine völlig offene Form gegeben. Sie nennt es "Text für einen Mann oder für viele". Neben der Rollenbezeichnung "Der Mann" finden sich auf den Seiten nur "Chorstimmen" oder "Choreinsätze" angegeben. Diese große Freiheit hat der Kölner Uraufführungsregisseur Rafael Sanchez nicht sehr glücklich genutzt. Er machte aus dem Abend eine Kunstanstrengung, die auf die Dauer ziemlich gezwungen und steril wirkt. Den Spielort in der Halle Kalk, einem alten Fabrikraum, hat er durch eine Mauer in der Bühnenmitte geteilt. Auf der einen Seite "Der Mann" (Yuri Englert), auf der anderen fünf weitere Männer – und jeweils die Hälfte der Zuschauer. Ein großer Teil des Stücks ist also für jeden Besucher reines Hörspiel – auch wenn kurz vor Schluss mithilfe einer hohen Leiter das Ensemble die Seiten tauscht.
Was auf der Seite des "Mannes" – von der die Rezensentin berichten kann – geschieht, ist auch keine irgendwie geartete konkrete Aktion: Jury Englert spinnt sich während seiner endlosen Tiraden mit einem neonleuchtenden Faden in ein Labyrinth ein. Die leere weiße Bühne (Sara Giancane) verwandelt sich in eine coole Kunstinstallation in farbigem Licht. Während von der anderen Seite die meiste Zeit massive Chor-Deklamation herüberschallt. Das lässt den Abend erdrückend wortlastig wirken – der Witz und die Leichtigkeit des Textes ebenso wie die melancholischen Untertöne bleiben auf der Strecke. Es ist wie bei Robbie in der Küche: Das Soufflé geht nicht auf.
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