Theaterfestival Avignon

Mit Tiago Rodrigues in die Zukunft

07:31 Minuten
Festivalleiter Tiago Rodrigues sitzt im Sommeranzug vor Mikrofonen, hinter sich ein Schild des Theaterfestivals Avignon mit drei Schlüsseln.
Sein Vater floh vor der Diktatur in Portugal nach Frankreich: Regisseur Tiago Rodrigues leitet ab 2022 das Festival von Avignon. © picture alliance/ Hiely Cyril
Eberhard Spreng im Gespräch mit Vladimir Balzer |
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Zum letzten Mal leitet Olivier Py das Festival von Avignon. Im nächsten Jahr übernimmt Tiago Rodrigues. Der konnte schon zeigen, wohin die Richtung geht: Er inszenierte am Eröffnungsabend Tschechows "Kirschgarten" mit Isabelle Huppert.
Das 75. Theaterfestival von Avignon beginnt mit einem Paukenschlag: Ab Herbst wird der portugiesische Regisseur Tiago Rodrigues das Festival leiten. Damit wird eine Ikone des französischen Theaters zum ersten Mal in die Hände eines Direktors gelegt, der nicht aus Frankreich kommt.

Avignon als europäische Utopie

Rodrigues scheint sich der Verantwortung bewusst zu sein: Er nennt Avignon eine Utopie und erinnert an seinen Vater, der als Exilant der Diktatur in Portugal entkam und in Frankreich Zuflucht fand.
Theaterkritiker Eberhard Spreng hält die Ernennung Rodrigues' als Nachfolger von Olivier Py für eine Richtungsentscheidung: "Er ist mit Sicherheit eine Figur, die für europäisches Theater steht, die Öffnung des Festivals nach Europa symbolisiert."

Verbindung von Avantgarde und Tradition

Momentan leitet Rodrigues das Teatro Nacional Dona Maria II in Lissabon, seine ersten Schritte als Schauspieler machte der 44-Jährige mit der flämischen Avantgarde-Gruppe tg STAN. "Er ist im Grunde genommen ein Regisseur, der aus beiden Welten kommt: dem klassischen Theater und der Avantgarde", sagt Spreng, "eine interessante Künstlerfigur."
Und beim Eröffnungsabend in Avignon konnte Rodrigues zeigen, wohin die Reise im kommenden Jahr geht: Er inszenierte Tschechows "Kirschgarten" im Papstpalast. Das Ensemble sei divers und dynamisch, urteilt Spreng, sehr viel lebendiger als in Peter Steins legendärer Tschechow-Interpretation.

Isabelle Huppert als Borderlinerin

Schauspielerisch sticht Adama Diop heraus, die größten Erwartungen richteten sich aber auf Isabelle Huppert. "Sie spielt eine überkandidelte Dame, ein bisschen so, als wäre sie als Hippie aus Paris zurückgekehrt in die russische Provinz. Ein wenig wie eine Borderlinerin - durchgeknallt, in einer gelben Bluse und einer türkisfarbenen Hose - spricht sie hastig und kommt nur ganz kurz zu wirklich intensiven Gefühlen: dann, wenn sie in Erinnerungen schwelgt."
(beb)
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