Museum für Fotografie: "Ruth Walz. Theaterfotografie"
Vom 8. Oktober 2021 bis 13. Februar 2022
Zur Ausstellung erscheint ein Bildband
"Ruth Walz: Theater im Sucher"
Hatje Cantz-Verlag, Berlin 2021
440 Seiten, 60 Euro
Vom Festhalten des Flüchtigen
Von einer Theateraufführung bleiben meist nur Bilder, die die flüchtigen Momente einfangen. Theaterfotografin Ruth Walz hat ein halbes Jahrhundert die großen Regisseure begleitet. Eine Ausstellung in Berlin zeigt ihre besten Arbeiten.
Es sind zwei Bilder, die das gewaltige Oeuvre von Ruth Walz sehr treffend umfassen: Edith Clever als Mörderin Klytämnestra: Selbstbewusst steht sie vor den Leichen von Agamemnon und Kassandra und erklärt sich. 1980 war das, an der Berliner Schaubühne in Peter Steins legendärer Inszenierung der "Orestie". Und dann: Edith Clever als Tod, neben ihr "Jedermann" Lars Eidinger bei den Salzburger Festspielen im Sommer dieses Jahres – 41 Jahre später. Ein Farbfoto.
An der "Orestie" erklären, was Theaterfotografie bedeutet
Der "Orestie" von Aischylos ist in der Ausstellung ein eigenes Kapitel gewidmet. Denn anhand der Orestie, so Ruth Walz, lasse sich gut erklären, was Theaterfotografie bedeute, nämlich: von Anfang an dabei sein. "Immer wieder diesen Text zu hören, in Aischylos einzudringen."
Und gleichzeitig mit den Fotos auf Fehler verweisen. Der Regie verdeutlichen, was funktioniert und was nicht. Für Walz ist "das Ideal" der Theaterfotografie, "dass man nicht nur Chronist ist, sondern mit der Arbeit auch etwas befördern kann".
Immer dabei sein, bei den Proben, bei den Pausen, bei verschiedenen Aufführungen, das war nur als festangestellte Hausfotografin möglich, sagt Ruth Walz – für sie ein Geschenk fürs Leben.
"Who is Who" der westdeutschen Theaterlandschaft
Auf einem der Schwarz-Weiß-Vintage-Prints ist eine der Rachegöttinnen zu sehen. Ein unbeobachteter Moment: Erschöpft lehnt sie im Kostüm an den Garderobenschränken im Keller der Schaubühne. Wie ein Alien, der sich verirrt hat.
Ruth Walz hat ein untrügliches Gespür für solche Momente. Wo andere dauerklicken, wartet sie, beobachtet und drückt dann ab – und trifft. Auch wenn sie immer überlegt habe: 'Mach ich das Foto oder nicht?' Klaus Michael Grüber etwa mochte nicht, wenn das Klicken die Probe störte. Das Zögern, ihr Überlegen habe die Konzentration verstärkt.
Ihre Bilder: Regisseur Klaus Michael Grüber in einer Probenpause unter einem türkischen Weihrauchbaum, in sich gekehrt. Die Sängerin Jessy Norman 1995 in hinreißenden Bewegungsstudien. Schauspielerin Jutta Lampe unter Blütengespinsten, mit Unschuldslächeln.
Und immer wieder Edith Clever: Sie begrüßt die Besucher auf einem Riesenplakat als Lotte-Kotte, in einer Botho-Strauß-Inszenierung. Sie sind alle hier: Ein Who ist Who, vor allem der westdeutschen Theaterlandschaft.
"Winterreise" im Berliner Olympiastadion
Dazwischen auch ein privates Bild von Ruth Walz' kleinem Sohn. Und viele Aufnahmen vom Schauspieler Bruno Ganz – ihrem langjährigen Lebensgefährten. Vieles assoziativ angeordnet, dann wieder thematisch gruppiert: Shakespeare-Inszenierungen; Arbeiten von Botho Strauß; von Künstlern, die Bühnenbilder fürs Theater entwarfen – oder aber Begegnungen mit dem Theater außerhalb seiner angestammten Räume: also auf Friedhöfen, in Gasometern oder im Berliner Olympiastadion.
Bei Klaus Michael Grübers legendärer "Winterreise" in dem Stadion war Ruth Walz "eingebaut" worden: "Ich musste da abends mitspielen, als rasende Reporterin. Deshalb gibt's da so viele Fotos davon."
Theaterfotografinnen müssen unsichtbar bleiben
Dabei ist das "Mitspielen" ihre Sache nicht: Ihr Platz ist hinter der Kamera. Wie die meisten ihrer weiblichen Kolleginnen, die diesen Beruf lange dominierten, bleibt sie lieber unsichtbar. Sie versteht sich als "Chronistin, nicht als eigenständige Künstlerin." Ihr gehe es immer darum, "zu zeigen, was dem Regisseur wichtig war und das in vielen Bildern erzählen zu können".
Der Fokus auf ihre Person, der jetzt mit der Ausstellung einhergeht, ist Ruth Walz eher unangenehm. Für sie gibt es nur einen wichtigen Protagonisten: das Theater.
Die Konsequenz und Ausdauer, mit der sie die Arbeiten einzelner Regisseure – es sind fast ausschließlich Männer – begleitet, hat heute Seltenheitswert. Was heute mit den Fotos passiere, das könne jeder Regieassistent mit seinem Handy machen, so Walz pragmatisch.
Vom kommenden Verlust
Was man verliert, wenn etwas verschwindet, das weiß man manchmal erst hinterher. Die liebevoll konzipierte Ausstellung taucht ihre Besucher in eine lebendige und fantasievolle Theaterwelt. Dank der Arbeiten der Theaterfotografin Ruth Walz wurden all die flüchtigen Eindrücke dem Vergessen entrissen. Der Schatz ihrer Bilder macht schon jetzt den kommenden Verlust sicht- und fühlbar.