Theaterintendant Matthias Lilienthal

"Man sollte immer eine Diskussion auf Augenhöhe führen"

Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele
Matthias Lilienthal, Intendant der Münchner Kammerspiele © Deutschlandradio / Norbert Wasmund
Matthias Lilienthal im Gespräch mit Britta Bürger |
Matthias Lilienthal gehört zu den wichtigsten Theatermachern der Gegenwart. Seit einem Jahr leitet er die Münchner Kammerspiele. Vorher war er in Berlin am Theater Hebbel am Ufer und an der Volksbühne. Wir sprechen mit ihm über verschnarchtes Stadttheater und den Hunger nach Wirklichkeit.
Er habe nicht diesen Weltverbesserungsglauben, sagt Matthias Lilienthal, der vor einem Jahr die Nachfolge von Intendant Johan Simons an den Münchner Kammerspielen antrat. Der gebürtige Berliner war erst Journalist und wurde dann Chefdramaturg an Frank Castorfs Volksbühne.
Weltweit machte er sich einen Namen als künstlerischer Leiter des Berliner Theaters Hebbel am Ufer, war Professor in Beirut, leitete das Festival "Theater der Welt", tourte durch sämtliche Kontinente. Dabei habe er seinen Blick auf die sogenannte "dritte" und "erste" Welt völlig verändert.

Aus der Komfortzone in die Wirklichkeit

"Ein Land wie Libanon ist über weite Strecken gebildeter und entwickelter als ein Land wie Deutschland. Es ist so ähnlich wie in Brasilien oder Argentinien."
Vor einem Jahr ist er von der Spree an die Isar gezogen. Auch dort möchte Matthias Lilienthal mit seinen Inszenierungen das Publikum aus der Komfortzone in die Wirklichkeit holen. Dabei setzt er eher auf Theaterstücke der Gegenwart, denn Klassiker wie zum Beispiel das beliebte Tschechow-Werk "Drei Schwestern" hält er für überholt.
"Dieses Lebensgefühl, welches ich in einem Text wie 'Drei Schwestern' lese und die Sehnsucht, dass man endlich mal arbeiten dürfte und dass man die vorrevolutionäre Situation einer russischen Bourgeoisie, die noch genug an Einkünfte hatte, um einfach dem Nichtstun frönen zu können. Ich konnte das in den 70er und 80er Jahren in dieser 'Hängerstadt' Westberlin total nachvollziehen, aber die Realität im Jahre 2016 in München und Berlin hat damit überhaupt nichts mehr zu tun."

"Ich bin froh, dass das miefige Deutsche weggehauen wurde"

Lilienthals Mission ist es auch, das Münchner Theaterpublikum für die Welt zu öffnen:
"Mir macht das Spaß, wenn sich eine Stadt international entwickelt. Ich habe das in Berlin als eine extreme Befreiung empfunden, dass Kreuzberg und Mitte in die Hände einer englischsprachigen Bohème geraten sind. Und ich bin froh, dass dieses miefige Deutsche aus West- und Ostberlin einfach weggehauen wurde. Die Betriebssprache an den Kammerspielen ist nicht mehr deutsch, sondern wir haben am Anfang dieser Spielzeit Regisseure und Regisseurinnen auf der großen Bühne, die alle nicht deutsch sprechen. Und ich versuche auch in der Stadt München eine Lust zu triggern, dass dieses 'Sich einlassen auf eine englischsprachige Kultur' vielleicht eine Erweiterung mit sich bringt."
Das Publikum an den Kammerspielen hat Matthias Lilienthal deutlich verjüngt. Der Anteil der Studierenden im Publikum liege inzwischen bei 30 Prozent: "Ich finde das einen Riesenerfolg!"
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