"Militärisches Scheitern in Afghanistan war absehbar"
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Das Künstlerkollektiv "Costa Compagnie" hat 2014 Menschen in Afghanistan interviewt. Daraus wurde ein Stück, das im Oktober erneut gespielt wird - mit aktuellem Bezug. Der Leiter der Kompanie ist von der Taliban-Machtübernahme nicht überrascht.
Im Herbst 2014 reisten Mitglieder des Künstler:innen-Kollektivs "Costa Compagnie" im Rahmen einer Recherche für ihr Theaterprojekt "Conversion" nach Afghanistan, um mit Menschen vor Ort Interviews zu führen. Das Besondere: Die Reise stand vor dem Hintergrund des nahenden Abzugs der Isaf-Truppen im Dezember desselben Jahres.
Die Gespräche mit afghanischen Zivilist:innen, deutschen und US-Soldat:innen sowie Künstler:innen und Aktivist:innen entstanden also am Beginn einer langen Übergangszeit, an deren Ende nun die erneute Machtübernahme durch die Taliban steht.
Ambivalentes Stimmungsbild
Felix Meyer-Christian, künstlerischer Leiter der "Costa Compagnie", war damals mit dabei und erinnert sich an den "ganz großen Optimismus, gerade bei den jüngeren Interviewpartner:innen", in den sich allerdings auch Kritik am Vorgehen der Nato-Truppen gemischt habe – bis hin zur Forderung nach dem "schnellstmöglichen Abzug" der internationalen Truppen, vor allem aufgrund der zahlreichen zivilen Opfer des Einsatzes. Insgesamt hätten alle Gesprächspartner:innen den Abzug grundsätzlich "befürwortet – nur eben dieser Zeitpunkt wurde damals noch sehr unterschiedlich bewertet".
Dass man vom raschen Vordringen der Taliban überrascht worden sei, wie in diesen Wochen von Politiker:innen mehrfach zu hören war, erscheint Meyer-Christian hingegen nicht nachvollziehbar:
Afghanische Armee ist nicht schuld
"Dieses militärische Scheitern war eigentlich damals schon während unserer Zeit dort absolut absehbar. Das wurde uns auch so geschildert von den Afghan:innen wie auch teils von den Soldatinnen und Sodaten, die wir interviewt haben. Sicherlich kann man von dieser Geschwindigkeit, wie sie jetzt stattgefunden hat, überrascht sein. Also der Kürze der Zeit zwischen dem letzten Abzug und der Einnahme Kabuls durch die Taliban. Aber von der Tatsache, dass dieses passiert, kann niemand überrascht sein, der sich mit Afghanistan und dem Einsatz irgendwie zuvor mal auseinandergesetzt hat."
Vor diesem Hintergrund hält es Meyer-Christian für vermessen, der afghanischen Armee "die Schuld in die Schuhe zu schieben". Dem Eindruck, die Armee habe den Taliban aus mangelnder Überzeugung kampflos das Feld überlassen, wolle er jedenfalls "absolut widersprechen". Mehr noch wolle er "Menschen widersprechen, die hier, von der Fernsehcouch aus, solche Bis-zur-letzten-Patrone-Parolen rausgeben, und die selbst nie in einem Krieg gekämpft haben".
Bis heute im Kontakt
Aktuell steht der Regisseur in regelmäßigem Kontakt mit einem der Interviewten von damals, der bislang nicht zum Kabuler Flughafen durchgedrungen sei, und wegen politischer Aktivität unter der vorherigen Regierung nun um sein Leben fürchten muss.
"Conversion – Nach Afghanistan" soll am 16. Oktober noch einmal im Scharoun-Theater in Wolfsburg gespielt werden. Dann, so Meyer-Christian, in einer Fassung, die auch die aktuellen Entwicklungen mitberücksichtigt. Man wolle auch in der Wiederaufnahme, "den Stimmen von Afghaninnen und Afghanen eine Präsenz geben" und ihnen zuhören.