Kulturkampf am Grillbuffet
05:10 Minuten
Die Satire "Extrawurst" von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob mausert sich zum Theaterhit. Das Stück über einen Tennisclub, in dem aus einem nichtigen Grund Rassismus ausbricht, hat Diskussionspotenzial – und lässt die Zuschauer mitbestimmen.
Ein neuer Grill soll angeschafft werden. Einer, der auf mehreren Stufen viele Würstchen, Steaks und Koteletts gleichzeitig schafft. Matthias, Vize-Vereinsvorsitzender eines Kleinstadt-Tennisclubs, hat eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet, der Grill ist sein ganzer Stolz. Der machtverwöhnte Langzeitchef Heribert will den Beschluss durchwinken, da meldet sich die erfolgreichste Spielerin. Melanie gewinnt mit ihrem Doppelpartner Erol einen Preis nach dem anderen.
"Wäre es nicht eine nette Geste für unsere türkischen Mitglieder, wenn wir für die noch einen zweiten Grill dazu holen?", fragt sie. "Aber wir haben doch nur ein türkisches Mitglied. Und, Erol, hast du ein Problem mit dem Grill?", wendet Heribert ein. "Nee, Leute, meinetwegen müsst ihr keinen Extragrill anschaffen. Ich hab da kein Problem mit."
Wenn Kleinigkeiten hochkochen
Aber Melanie beharrt darauf, einen zweiten Grill anzuschaffen. Es geht ihr um Respekt. Denn Erol kann als gläubiger Moslem nichts von einem Grill essen, auf dem auch Schweinefleisch zubereitet wird. So wird aus einer Kleinigkeit eine grundsätzliche Debatte. Bald brechen Ängste und Vorurteile hervor, die zunächst unter der freundlichen Oberfläche verborgen blieben.
"Ich glaube, dass es uns gelungen ist, die derzeitige Diskussion, die in Deutschland sehr stark ist, mit dem Stück einzufangen. Das heißt diese Mechanismen von Erregung und von Hochkochen von Kleinigkeiten", sagt der Autor des Stücks, Dietmar Jacobs.
Das Chaos im Clash der Kulturen
Jacobs zählt zu Deutschlands Top-Autoren im Kabarett. Er schreibt für das "Kommödchen" in Düsseldorf, die "Distel" in Berlin, für den Kabarettisten Jochen Busse und viele Satiresendungen im Fernsehen. Nun hat er sich mit dem Autor und Comedian, Moritz Netenjakob, zusammen getan, der mit einer türkischen Schauspielerin verheiratet ist. Missverständnisse und Chaos im Clash der Kulturen sind Netenjakobs Hauptthemen. "Extrawurst" ist eine Komödie mit Abgründen, die zeigt, wie sich eine harmlose Diskussion verselbstständigt.
"Der Grundgedanke war zu zeigen, wie sich eine Gesellschaft zerlegen kann und es spürbar zu machen", sagt Jakobs. "Deshalb haben wir auch das Grundsetting eines Tennisclubs genommen, weil das für uns sehr stark für die bürgerliche alte Bundesrepublik steht. Wir wollten gern, dass die Zuschauer, dadurch dass die Schauspieler direkt neben ihnen stehen und ihnen ins Ohr sprechen, auch spürbar erfahren, was es bedeutet, wenn so eine Diskussion aus dem Ruder gerät und tatsächlich einsteigen könnten in die Diskussion. Tatsächlich erleben wir bei einigen Vorstellungen, dass die Zuschauer sehr stark mitgehen."
Das Publikum darf abstimmen
Ein Besuch im Wolfgang-Borchert-Theater Münster: Das ganze Haus bis ins Foyer wurde in einen Tennisclub verwandelt. In den Ecken stehen Pokale und Fotos, die Schauspieler bewegen sich in der Pause durch das Publikum und führen Einzelgespräche. Die Zuschauerinnen und Zuschauer haben mehrere Möglichkeiten, in die Handlung einzugreifen. Vor allem bei der Entscheidung, ob es für Erol einen Grill geben soll.
Jacobs sagt: "Und tatsächlich ist es auch so. Je nachdem, wie die Zuschauer abstimmen, gibt es einen Grill für den Türken Erol oder es gibt ihn nicht." Da gehe das Stück zwei unterschiedliche Wege. In den allermeisten Vorstellungen stimmten die Zuschauer dafür, dass Erol einen Grill bekommt. "Er soll seinen eigenen Grill haben, das war bisher immer die Mehrheit."
Nur am Theater Bautzen wackelte die Mehrheit für Erol bisher gelegentlich. Jede Rolle im Stück steht für eine gesellschaftliche Gruppe. Melanie ist eine engagierte Kämpferin, der Vorsitzende Heribert ein selbstverliebter Machthaber, sein Vize Matthias neigt zu rechtspopulistischen Sprüchen. Und Melanies Partner ist ein cooler Hipster. Doch sie alle zeigen im Lauf des Abends andere Seiten, wirken mal mehr, mal weniger sympathisch.
"Die Trennlinie zwischen rechten und linken Positionen, zwischen moralischen und unmoralischen Positionen, geht ja nicht nur durch eine Wählerschaft oder durch eine Gesellschaft, sondern geht ja oft durch Personen selber durch", so Jacobs.
Aufrütteln und unterhalten
Die Abstimmung mitten im Stück erinnert an Ferdinand von Schirachs Gerichtsdrama "Terror", ebenso die direkte Ansprache des Publikums. Die Autoren von "Extrawurst" wollen aufrütteln und unterhalten. In der hervorragend gespielten und feinsinnigen Münsteraner Inszenierung von Monika Hess-Zanger gelingt das ausgezeichnet. Privattheater und städtische Bühnen interessieren sich für das Stück, weil es zugänglich und raffiniert, witzig und kantig ist. Ob der Tennisclub wieder zusammen findet, bleibt offen.
Jacobs formuliert seine Botschaft so: "Eigentlich ist die Lösung diskutieren, sich zuhören, das alles mit dem Willen, sich nicht zu zerlegen, sondern zu sagen, wir können uns trotzdem noch in die Augen schauen. Und wir können auch bei einer kontroversen Diskussion noch Freunde bleiben und können einen Club aufrecht erhalten. So wie wir ein Land aufrecht erhalten können."