Theaterkritiker André Mumot

Wie Shakespeare das Kino befruchtet

Claire Danes als Julia und Leonardo DiCaprio als Romeo in einer Filmszene von "Romeo und Julia" von Baz Luhrmann aus dem Jahr 1996
Claire Danes als Julia und Leonardo DiCaprio als Romeo in einer Filmszene von "Romeo und Julia" von Baz Luhrmann aus dem Jahr 1996 © picture-alliance / dpa
André Mumot im Gespräch mit Patrick Wellinski |
Die 1990er waren die Shakespeare-Kino-Jahre: "Romeo und Julia" sei dafür ein besonders geglücktes Beispiel, meint Theaterkritiker André Mumot. Bis heute setzen Filmemacher immer wieder Shakespeare-Stoffe um - aus gutem Grund.
Patrick Wellinski: Und wenn Sie schon seit 14 Uhr dran sind, dann haben Sie ja auch schon unser Theatermagazin "Rang 1" gehört, heute ganz monothematisch zum 400. Todestag von William Shakespeare. Auch im Kino und im Fernsehen ist Shakespeare präsent, und bevor wir gleich über diese Wechselbeziehung Kino und Shakespeare sprechen, hier eine kleine Collage aus unterschiedlichen Shakespeare-Verfilmungen von Max Reinhardt bis Baz Luhrmann.
((Einspielung))
Shakespeare-Verfilmungen damals und heute. Was macht sie aus, und was macht sie vor allem gut? Darüber spreche ich mit André Mumot, den kennen Sie als Moderator bei uns von "Rang 1", aber auch als Theaterkritiker in "Fazit". Hallo!
André Mumot: Hallo!
Wellinski: Ich leite die Frage jetzt mal gleich auch weiter: Was macht denn eine gute Shakespeare-Verfilmung aus?
Mumot: Ich glaube, was einem einfach klar sein muss, ist, dass Shakespeare-Stücke vor allen Dingen über ihre Sprache erst mal funktionieren und ein enormes poetisches Potenzial einfach schon in den Versen oder auch in den Prosatexten von Shakespeare liegt und auch viele Informationen. Da muss man als Filmregisseur, glaube ich, schauen, was muss man eigentlich noch illustrieren, und was lässt man weg, und vor allen Dingen glaube ich, muss man dann schon auch eine eigene ästhetische Dimension schaffen, also etwas, was filmisch funktioniert und was mit Bildern arbeitet und deshalb auch einem Bühnenerlebnis dann etwas entgegenzusetzen hat.
Wellinski: Es ist ja schon ein Anspruch an einen ganz großen Autorenfilmer. Ich würde jetzt erst mal so die Gegenthese wagen, dass die meisten, die auf Shakespeare zurückgreifen, die meisten Filmregisseure oder Produzenten, vor allem erst mal nach den Geschichten gehen. Und ich glaube, lässt sich vielleicht auch so erklären, warum schon frühe Stummfilme vor allem auf Shakespeare zurückgriffen, aber auch dann Max Reinhardt später in der Frühphase des Kinos, also quasi Popularität der Stoffe an sich.

"Die Stoffe sind einfach sehr beliebt und sehr bekannt"

Mumot: Die Stoffe sind einfach sehr beliebt und sehr bekannt, und man weiß, das wird Menschen ins Kino ziehen wahrscheinlich. Und deshalb gibt es ja auch sehr freie Verfilmungen, die jetzt überhaupt nicht sich an die Sprache von Shakespeare halten, und das kann eben auch sehr faszinierend sein, gerade, wenn es dann in einen anderen kulturellen Kontext geht. Zum Beispiel die Kurosawa-Verfilmungen von "Macbeth" und "King Lear", also der Film "Ran" von 1985 zum Beispiel, der das in diese Samurai-Welt versetzt, schafft da eine ganz andere Dimension. Der orientiert sich eigentlich nur an der Geschichte und findet dabei aber einen ganz intensiven Zugriff auch, und das ist dann auch für ein Publikum rund um die Welt interessant.
Wellinski: Da muss man auch sagen, dass er auch zum Teil Lady Macbeth so inszeniert wie ein Höllenweib. Dagegen wirkt Marion Cotillard zum Beispiel, sagen wir mal in der Europäisch-Hollywood-Verfilmung, die wir zurzeit hatten, fast schon wie Mary Poppins. Ist denn gerade vielleicht so ein anderer kultureller Kontext auch ein Beweis für die Universalität von Shakespeare? Weil der japanische kulturelle Kontext so unglaublich anders ist, und wenn es eben in dieser Geisteswelt der Samurai, aber auch in dieser anderen Hierarchie funktioniert, bestätigt so eine Verfilmung dann auch quasi die Ewigkeit des Stoffes von Shakespeare?
Mumot: Ja, also Shakespeares Größe liegt natürlich auch darin, dass er menschliche Konflikte eingefangen hat in einem großen Reichtum und dann aber auch wirklich auf den Punkt gebracht hat, wenn man an das Eifersuchtsdrama in "Othello" denkt, das ist der definitive Stoff zum Thema Eifersucht, und es gibt sogar Western, amerikanische Western, die dann den Othello-Stoff in ihre eigene Welt hinüberziehen, und das funktioniert sogar auch ganz gut. Und das fasziniert die Menschen, glaube ich, auch gerade daran, dass es alte Texte sind, alte Stücke, die aber doch immer wieder mit typischen menschlichen Konflikten so arbeiten, dass uns das alle auch was angeht.
Wellinski: Wir waren schon bei der Sprache. Wie wichtig ist da eigentlich in der Hinsicht diese Worttreue? Wir haben es ja in der Collage gehört, "Romeo und Julia" von Baz Luhrmann. Das war ja damals schon so ein Versuch – ich weiß nicht, ob das so ein bewusster Versuch war, weil der Romeo wird ja gespielt von dem damals sehr jungen Leonardo DiCaprio, und dann trotzdem ein Zweieinhalbstundenfilm in Shakespeare-Vers in die Kinos zu bringen – war das auch so ein Versuch von so einer Erziehung?

Shakespeare-Boom im Kino der 90er-Jahre

Mumot: Es waren einfach die 90er-Jahre, Shakespeare-Jahre, das muss man sagen. Das war ein unglaublicher Run. Es begann eigentlich so ein bisschen mit Kenneth Branagh, der 1989 "Heinrich V." neu verfilmt hat und einfach festgestellt hat, das kann man wirklich als Actionfilm inszenieren, das kann man mit einem großen Pathos und so rüberbringen, dass das auch ein jüngeres Publikum packt. Und der "Romeo und Julia"-Film von Baz Luhrmann ist da das extremste Beispiel, für mich allerdings auch das gelungenste Beispiel, weil man wirklich sehen kann, dass da aus dem Text heraus gearbeitet wurde und mit einer unglaublichen Genauigkeit viele kleine Ideen in die Kostüme, in die Kulissen und auch in die popkulturelle Umsetzung investiert wurden. Das macht das Ganze so aufregend und geglückt, und deshalb hat es auch bei einem jungen Publikum funktioniert, weil das clever war, weil es der Ästhetik der Zeit sehr entsprochen hat selbstverständlich, das war diese Videoclip-Ästhetik, damit hat man das aber auch immer so ein bisschen abgetan – na ja, das ist so ein Pop-Film, aber damit hat es sich –, aber das war sehr, sehr klug aus dem Text entwickelt und hat auch emotional sehr gut funktioniert. Und da hat Leonardo DiCaprio sicherlich nicht geschadet.
Wellinski: Wenn wir jetzt bei Caprio bleiben, aber der andere große Name ist gefallen, Kenneth Branagh mit seinen sehr ernsthaften Shakespeare-Verfilmungen. Er nimmt ihn wirklich immer, glaube ich, ziemlich ernst, er betet ihn an, hat er auch schon häufiger gesagt. Kenneth Branagh, würden, glaube ich, viele bestätigen, ist auch ein Shakespeare-Schauspieler. Ist Leonardo DiCaprio denn auch ein Shakespeare-Schauspieler? Sind denn Filmschauspieler auch gute Shakespeare-Schauspieler?
Mumot: Das kommt ganz darauf an. In dem Moment, als er den Romeo gespielt hat, fand ich, war er ein sehr überzeugender Shakespeare-Darsteller für das, was er da leisten musste. Klar, Kenneth Branagh ist da eine große Ikone, aber da sieht man natürlich auch die Begrenztheit des Formats. Wenn er wirklich den Plan unternimmt, vier Stunden "Hamlet" zu inszenieren, also als Film ohne Kürzungen, und dann so ein Ausstattungsepos daraus zu machen, wo alles unglaublich schick ist und in so einem Operetten-19.-Jahrhundert spielt und tausend Weltstars da rumrennen und eigentlich nicht so genau wissen, was sie da eigentlich zu tun haben, dann kann das auch sehr uninspiriert und langweilig wirken, und dann ist das sicherlich nicht unbedingt die beste filmische Annäherung an Shakespeare.
Wellinski: Es meinen ja alle, irgendwann muss ich eine Shakespeare-Rolle spielen. Ich erinnere mich an den Oscar-Gewinner Al Pacino als Shylock in "Der Kaufmann von Venedig". Das war für mich damals so eine relativ prägende Erfahrung, zu sehen, a) er kann nicht alles, das wurde jetzt schon häufiger sehr schmerzhaft bewiesen, aber b) dass er auch extrem überfordert ist. Also auch so eine Shakespeare-Rolle bringt auch ganz große sagen wir mal Oscar-Darsteller zum Scheitern?

"Immer mitdenken, dass das ein artifizieller, poetischer Text ist"

Mumot: Ich glaube, das Problem liegt darin, dass versucht wird gerade bei amerikanischen Produktionen, so einen Naturalismus da reinzuzwingen mit aller Gewalt. Und dafür ist natürlich ein Schauspieler wie Al Pacino auch berühmt, und das funktioniert aber nicht unbedingt. Man muss immer mitdenken, dass das ein artifizieller, poetischer Text ist, dass das nicht eigentlich realistische Dramen sind, sondern künstlerisch verdichtete Texte und poetische Stücke. Und das ist dann immer, wenn man versucht, das so ganz realistisch runterzuspielen, das ist jetzt auch bei Herrn Fassbender, wenn er den Macbeth spielt, zum Teil sehr auffällig. Da wird jeder Satz so gemurmelt, als würde er ihm gerade in dem Augenblick einfallen. Man versteht ihn dabei aber auch nicht unbedingt. Und das ist nicht wirklich der Sinn der Sache. Aber auf der anderen Seite bieten gerade diese Shakespeare-Verfilmungen da eine sehr reizvolle Möglichkeit, so verschiedene Schauspielstile auch aus der Geschichte noch mal anzuschauen. Wenn man zum Beispiel eine Hollywood-Verfilmung von "Julius Cäsar" von 1953 sieht, wo dann ein großer englischer Shakespeare-Darsteller wie John Gielgud plötzlich neben Marlon Brando auftaucht, der den Marc Anton spielt. Und da kann man genau sehen, der eine singt seine Verse aus der großen englischen Deklamationstradition heraus, und der andere murmelt das so realistisch vor sich hin. Und daraus entsteht eine große Spannung, aber man sieht eben auch, es ist Verssprache, und damit muss man mehr machen, als sie einfach nur realistisch runterzuspielen.
Wellinski: Abschließend muss die große Frage sein, nicht "Sein oder Nichtsein", sondern: Was ist denn dein Lieblings-Shakespeare-Film?
Mumot: Da würde ich, glaube ich, tatsächlich eher zwei Filme nennen. Tatsächlich finde ich den "Romeo und Julia" von Baz Luhrmann, wie ich schon gesagt habe, sehr, sehr gut –
Wellinski: Ich bin erstaunt, ehrlich gesagt, aber, ja?
Mumot: Ich fand ihn immer ziemlich clever gemacht. Und auf der anderen Seite aber das komplette Gegenteil davon, ein Film, der mich auch sehr begeistert, ist "Prospero's Books", "Prosperos Bücher" von Peter Greenaway, der 1991 auch entstanden ist. Das ist nun ein Film, der ganz ästhetisch sich an Themen des Stückes abarbeitet und aber auch vom Stück wegarbeitet gewissermaßen. John Gielgud spielt da den Prospero aus "Der Sturm", und er ist auch der einzige, dessen Stimme wir hören, und alles andere ist ein großes Tableau aus Bildern, aus Gedanken, aus grandioser Musik von Michael Nyman, und das hat eine enorme poetische Intensität, ist aber auch sehr abgehoben und anstrengend. Kann man nicht jeden Tag sich anschauen. Aber das als Kontrastprogramm zu diesem ungeheuer vitalen, jugendlichen und schwungvollen "Romeo und Julia" von Baz Luhrmann. Das ist für mich eigentlich so bis heute das Faszinierendste im Shakespeare-Kino.
Wellinski: Wunderbar. André Mumot. Seit 400 Jahren ist Shakespeare tot, wir leben noch und können uns die ganzen tollen Shakespeare-Verfilmungen ansehen. Vielen Dank für die Zeit!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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