Folge 45

Mit "tätiger Verzweiflung" auf den Krieg reagieren

47:17 Minuten
Fassade des Deutsches Theater in Berlin, über dem Eingang hängt ein blau-gelbes Banner mit der Aufschrift "we stay united".
Viele Menschen nehmen an der Solidaritätsveranstaltung des Deutschen Theaters mit Lesung und Konzert für die Menschen in der Ukraine teil. © picture alliance / dpa / Fabian Sommer
Von Susanne Burkhardt und Elena Philipp · 18.03.2022
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„Erst wenn der Krieg in der Ukraine gestoppt ist, können wir wieder über Theater nachdenken“, sagt die nomadische Regisseurin Ada Mukhīna, die in St. Petersburg aufgewachsen ist. Wie Theater geflüchteten Künstlerinnen und Künstlern helfen, erzählt die Berliner Dramaturgin Birgit Lengers.
Dass die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht erst seit dem 24. Februar 2022 im Krieg sind, sondern dieses Gefühl bereits seit 2014 kennen, dem Jahr der Annexion der Krim, ist der Dramaturgin Birgit Lengers, die seit vier Jahren das Festival „Radar Ost“ kuratiert, erst neulich wieder bei einer Solidaritätsveranstaltung ihres Theaters für die Ukraine bewusst geworden:
„Das machen auch die Gedichte deutlich, die von ukrainischen Autorinnen gelesen wurden“, erinnert sich Birgit Lengers in diesem Theaterpodcast: „Als wären sie gestern geschrieben worden.“ Sie leitet seit vier Jahren die internationale Sparte des Deutschen Theaters in Berlin und ist im Moment eine Art Schnittstelle für Theatermacherinnen und Theatermacher aus Russland, Belarus und der Ukraine. Ständig erhält sie Nachrichten auf verschiedenen Messenger-Plattformen.
Porträt einer Frau mittleren Alters, mit kurzen Haaren vor einem schwarzen Hintergrund.
Birgit Lengers, Leitung Junges DT.© Arno Declair

Zustand tätiger Verzweiflung

In Schockstarre zu verfallen angesichts der Ereignisse in der Ukraine, liegt ihr nicht. Eher befindet sie sich im „Zustand der tätigen Verzweiflung“: organisiert, vermittelt, plant und unterstützt.
Das Theater als Hilfszentrum, als Ort, an dem man sich versammelt, beieinander ist. Endlich – nach den Monaten der Pandemie kann hier wieder das Gefühl gemeinsam erlebt werden, in dieser Situation nicht allein zu sein.

Aufbauen dauert lange, zerstören geht schnell 

Ada Mukhīna, nomadische Künstlerin und Theaterregisseurin (St. Petersburg/Berlin) hat gerade eine Performance in der Akademie der Künste abgesagt, aus Solidarität mit ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern, die nicht einreisen konnten. Für sie, die ihre Arbeiten in der ganzen Welt gezeigt hat, ist es gut, jetzt, in Zeiten der zunehmenden Anfeindungen gegen Menschen aus Russland, die Unterstützung ihrer internationalen Kolleginnen und Kollegen zu spüren: "Das hat mir Hoffnung gegeben. Das bedeutet, dass meine Arbeit und die meiner Kollegen, die so lange diese kleinen Brücken zwischen Menschen in vielen Ländern aufgebaut haben, nicht umsonst war. Zerstören ist einfach. Aufbauen dauert lange Zeit. Putins Krieg und Putin sollen diese Beziehungen nicht zerstören.“
Porträt einer einer jungen, in Schwarz gekleideten Frau mit roten, mittellangen Haaren.
Künstlerin und Theatermacherin Ada Mukhina.© Mathias Drücker

Dialog erst nach Kriegsende möglich

Doch so lange der Krieg andauert, kann es keinen Dialog geben, sagt Mukhīna: „Wenn ich ans Theater denke, dann denke ich immer: Zuerst muss der Krieg gestoppt sein, zuerst muss die russische Armee die Ukraine verlassen, zuerst müssen wir Flüchtlingen helfen, zuerst müssen wir diese Städte, die zerstörten Theater und Krankenhäuser wieder aufbauen – erst dann können wir über Theater nachdenken.“
Im Podcast sprechen wir darüber, wie Theaterschaffende aus dem deutschsprachigen Raum helfen können, warum ein kultureller Boykott Russlands regimekritische Künstlerinnen und Künstler in die doppelte Isolation treibt und Putin dabei hilft, die restliche Zivilgesellschaft zu zerstören - und warum andererseits Aufforderungen zum öffentlichen Bekenntnis gegen Putin von russischen Künstlerinnen und Künstlern nur Lippenbekenntnisse bleiben, wenn sie nicht in der Arbeit sichtbar werden.

Wer macht den Theaterpodcast?
Einmal im Monat greift der Theaterpodcast die wichtigen Debatten rund um das Theater und seine Macherinnen und Macher auf. Über die Kunst und den Betrieb, in dem immer noch zu wenig Frauen das Sagen haben, sprechen zwei Theaterredakteurinnen: Susanne Burkhardt vom Deutschlandfunk-Kultur-Theatermagazin Rang 1 und Elena Philipp vom Onlineportal nachtkritik.de.

Susanne Burkhardt studierte Kulturwissenschaft, Betriebswirtschaft und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und in London (Middlesex University). Sie ist Diplom-Medienberaterin und begann ihre Radiokarriere als Hörspielregieassistentin beim Sender Freies Berlin (später RBB). Nach einem Volontariat beim Deutschlandradio ist sie seit 2001 Redakteurin, Autorin und Moderatorin bei Deutschlandfunk Kultur.

Elena Philipp studierte in Freiburg Politik und Soziologie, entschied sich nach einer Regiehospitanz aber für ein Studium der Theater-, Film- und Literaturwissenschaft in Berlin. Dort arbeitete sie für Tanzfestivals, war Mitgründerin eines Literaturmagazins und eines Text-Ton-Festivals und etablierte beim Literaturwettbewerb Open Mike das Livebloggen. Seit 2006 schreibt sie für Tageszeitungen und Fachmedien über Theater und Tanz. 2017 wurde sie Redakteurin beim Online-Theaterfeuilleton nachtkritik.de.

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