Theaterstück über Afghanistan

"Es ist fast unmöglich, nicht politisch zu sein"

Szene aus "Hoppla, wir sterben" von Arnon Grunberg.
Szene aus "Hoppla, wir sterben" von Arnon Grunberg. Das Stück wird an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt. © (c) JU/Ostkreuz / Münchener Kammerspiele
Arnon Grunberg im Gespräch mit Dieter Kassel |
Als "embedded" Autor recherchierte der Niederländer Arnon Grunberg bei den Bundeswehrtruppen in Afghanistan. Daraus wurde ein Theaterstück über einen entführten Oberstleutnant, das heute in München uraufgeführt wird. Sich selbst als politischen Autor zu bezeichnen, findet Grunberg "schwierig", dennoch fühle er eine Verpflichtung dazu.
Der Niederländer Arnon Grünberg ist ein Schriftsteller von großer Beweglichkeit und Bandbreite. Er beherrscht die unterschiedlichsten Genres, ist immer unterwegs, recherchiert als "embedded" Autor in psychiatrischen Kliniken oder bei der Bundeswehr in Afghanistan. Heute feiert sein Theaterstück "Hoppla, wir sterben!" Uraufführung in den Münchner Kammerspielen.
Er entwirft darin ein Kaleidoskop von Figuren: alle von Unruhe befangen, unfähig ein Zuhause zu finden. Was sie verbindet, ist ein Abwesender: Oberstleutnant Fuchs ist in Afghanistan verschwunden, vermutlich entführt, vielleicht weil er sich zu sehr "mit der Seele des Feindes identifiziert hat".
Vernachlässigt von der Öffentlichkeit
Ein Theaterstück über diesen noch gar nicht fernen Krieg in Afghanistan unter deutscher Beteiligung zu schreiben, war Grunberg, der in New York lebt, auch deshalb wichtig, weil "viele Soldaten aus der Bundeswehr, aber auch aus anderen Armeen, sich irgendwie vernachlässigt fühlen von ihrer eigenen Öffentlichkeit. Und ich glaube, man kann noch viel mehr über dieses Thema machen, als gemacht worden ist, nicht so sehr in den Zeitungen, aber vor allem in zum Beispiel Romanen oder Stücken".
Dennoch mag Grunberg sich nicht nur als politischer Autor sehen:
"Ich würde sagen, ich darf sagen, dass es die Verpflichtung gibt, aber wenn Kollegen meinen, ich spüre die Verpflichtung nicht, ich möchte die Leute einfach unterhalten, dann finde ich das durchaus auch eine gerechte Meinung."

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute Abend findet in den Münchener Kammerspielen die Uraufführung eines Theaterstücks von Arnon Grunberg statt, "Hoppla, wir sterben!" heißt dieses Stück. Ein neues Werk in einem großen Fundus von Werken, die dieser, einer der bekanntesten niederländischen Autoren, schon vorgelegt hat, Romane, Essays, Blogs, tägliches Kolumnen für eine der größten niederländischen Tageszeitungen, und, und, und. Und Arnon Grunberg recherchiert für seine Werke oft sehr intensiv, hat zum Beispiel als, ja, ich nenne es mal so, embedded Autor in psychiatrischen Kliniken oder bei der Bundeswehr in Afghanistan recherchiert. Wir wollen über sein neues Stück jetzt mit ihm reden. Schönen guten Morgen, Herr Grunberg!
Arnon Grunberg: Guten Morgen!
Kassel: Wie und wo haben Sie denn für dieses Theaterstück recherchiert?
Grunberg: Ich war in 2013 im Herbst zwei Monate in München, um zu recherchieren, aber ich habe auch recherchiert in Afghanistan. Es handelt sich ja teilweise um den Krieg in Afghanistan. Und ich war öfter da, in 2006, 2007, noch einmal 2011 und dann auch noch in 2014, wo ich eigentlich dieses Stück dann auch fertiggeschrieben habe in Kabul.
Kassel: Was ist denn das für eine Geschichte, die Sie diesmal halt nicht in einem Roman, sondern auf der Bühne erzählen?
Grunberg: Ja, es war die Geschichte – es geht eigentlich um eine Entführung von einem Oberstleutnant der Bundeswehr in Afghanistan, und wie seine Familie und die Öffentlichkeit in Deutschland darauf reagiert. Das ist eigentlich der Grundsatz dieses Stückes, und dazu kommt noch, es spielt sich ja in München ab, was ich auch benutzen wollte und worüber ich schon auch vor dem Schreiben mit Johan Simons, dem Intendant der Kammerspiele, gesprochen habe.
Wir beide waren fasziniert von diesem medizinischen Tourismus aus den Golfstaaten, Saudi-Arabien, also Leute, die aus diesen Ländern nach München kommen, um sich dort operieren zu lassen oder einfach, um Ärzte zu besuchen. Und das habe ich dann auch noch benutzt oder dazu genommen, und ich glaube, das geht gut zusammen. Die einen gehen ja irgendwo in ein anderes Land, um da Krieg zu führen oder Wiederaufbau zu machen – das ist eine Frage der Perspektive. Und andere Leute kommen dann nach Deutschland, um hier zu heilen.
Kassel: Das ist wieder, und das ist ja sehr oft so in Ihrem Werk, egal, welches Genre Sie wählen, das ist wieder eine erfundene Geschichte mit sehr vielen realen Bezügen und mit sehr vielen aktuellen Bezügen. Würden Sie sich denn selber als politischen Autor, politischen Künstler bezeichnen, oder können Sie mit solchen Begriffen nichts anfangen.
Grunberg: Das finde ich einen sehr schwierigen Begriff, denn oft wird das ja verstanden, als ob jemand da sitzt oder schreibt, der genau weiß, wie es ablaufen soll, oder der auch eher Prediger ist und belehrt. Das will ich gar nicht, oder das will ich auch nicht sein. Aber ich glaube, jeder seriöse Schriftsteller, der sich mit seiner Zeit beschäftigt und mit der Gesellschaft, in der er lebt, oder den Gesellschaften, ist irgendwie politisch. Es ist fast unmöglich, nicht politisch zu sein, würde ich sagen.
Verpflichtung ist ein großes Wort
Kassel: Heißt das auch, wenn Sie sagen, jeder seriöse Schriftsteller ist das quasi automatisch qua seines Berufes, heißt das, man hat als Schriftsteller auch eine gewisse Verpflichtung dazu?
Grunberg: Verpflichtung ist ein großes Wort, aber ich kann mich durchaus darin finden. Ich würde sagen, warum nicht, ja. Aber ich glaube, jeder hat auch das Recht und die Freiheit, diese Verpflichtung auf ganz eigene Weise zu bearbeiten. Es gibt da keine uniforme Verpflichtung. Und ich bin auch kein Diktator. Ich würde sagen, ich darf sagen, dass es die Verpflichtung gibt, aber wenn Kollegen meinen, ich spüre die Verpflichtung nicht, ich möchte die Leute einfach unterhalten, dann finde ich das durchaus auch eine gerechte Meinung.
Porträtbild von Arnon Grünberg mit Brille und Lockenkopf
Der niederländische Schriftsteller Arnon Grünberg.© picture alliance / dpa/ Jan Woitas
Kassel: Haben Sie auch die Hoffnung, dass Sie mit Romanen, mit Essays, aber eben in diesem Fall auch mit einem Theaterstück Leute noch einmal für zum Beispiel das Thema Afghanistan, auch für andere Themen, interessieren können, die es vielleicht in der Zeitung dann doch nicht so beachten?
Grunberg: Ich hoffe. Ich hoffe das sehr, denn ich glaube, Afghanistan ist einer der längsten Kriege, die die NATO je geführt hat. Es gibt immer noch NATO-Soldaten da. Und was ich auch faszinierend fand oder sehr interessant, aber auch etwas, was man beachten muss, dass viele Soldaten aus der Bundeswehr, aber auch aus anderen Armeen, sich irgendwie vernachlässigt fühlen von ihrer eigenen Öffentlichkeit. Und ich glaube, man kann noch viel mehr über dieses Thema machen, als gemacht worden ist, nicht so sehr in den Zeitungen, aber vor allem in zum Beispiel Romanen oder Stücken.
Und ich glaube, es ist einfach auch sehr wichtig, dass – wir sind ja – es ist sehr einfach, zu denken, dass die Realität, in der wir leben, entweder Amsterdam oder München oder wo auch immer in Deutschland, oder auch vielleicht New York, wo ich ja seit einigen Jahren lebe, dass das die einzige Realität ist. Ich finde es auch wichtig, als Schriftsteller zu zeigen, dass es ganz andere Realitäten gibt, wo auch Leute aus unserer Gesellschaft hingehen mussten beruflich, oder wo auch Leute aus dieser Gesellschaft hierherkommen, um zum Beispiel Asyl zu suchen.
Es geht auch um Identitätsverlust
Kassel: Ich hab Ihr Stück noch nicht gesehen, aber bei dem, was ich gelesen habe und nach dem, was ich erzählt habe, habe ich so das Gefühl, wenn man nur über die Handlung spricht, klar, dann geht es um Afghanistan, um Rückkehr von dort, dann geht es um den Medizintourismus, wie Sie erwähnt haben. Aber jetzt haben Sie von verschiedener Realität gesprochen, und ich hab so den Eindruck, geht es bei Ihrem Stück nicht auch um verschiedene Identitäten?
Grunberg: Ja, absolut, und auch um einen Identitätsverlust, würde ich sagen, denn ich glaube nicht, dass das das große Problem unserer Zeit ist, aber es ist einfach eine Tatsache, dass Immigration, dass das Reisen von Land von Land, dass das einfach auch dazu führt, dass man sich nicht mehr ganz sicher sein kann, wer man genau ist. Und ich würde das auch nicht unbedingt als etwas Negatives bezeichnen. Ich glaube, eine Beziehung zur eigenen Identität mit einer gewissen Distanz ist einfach hilfreich. Wenn man zu sehr überzeugt ist, dass man nur eine Sache sein kann, kann das leicht gefährlich werden.
Kassel: Aber umgekehrt, wenn man gar nicht mehr weiß, wo man hingehört und seine eigene Identität nicht mehr selber findet, das ist doch bestimmt mindestens genau so gefährlich.
Grunberg: Die Mäßigung ist sehr gut, auch das ist im Stück. Wenn man wirklich einen völligen Identitätsverlust hat und nur ein Chamäleon wird und überall eine andere Farbe annimmt, ist das auch sehr gefährlich und auch wieder eine Art von Opportunismus, ja.
Kassel: Sie haben nicht zum ersten Mal ein Theaterstück geschrieben, aber der größte Teil Ihres Werkes, das sind denn doch Romane, Essays, auch Stücke für Zeitungen. Und da sehe ich jetzt als jemand, der nicht schreibt, sondern eben spricht, wie wir gerade hören, einen großen Unterschied. Wenn Sie zum Beispiel einen Roman schreiben, dann haben Sie ja die Handlung fest in der Hand. Klar können Sie nie wissen, was der Leser dann daraus macht, aber Sie wissen genau, wie Sie wollen, wie die Figuren sprechen und was sie tun. Bei einem Theaterstück entscheidet das stark ja auch der Regisseur, und er und die Schauspieler interpretieren. Was ist das eigentlich für Sie für ein Gefühl, da doch auch ein bisschen die Zügel aus der Hand zu geben?
Positive Überraschung
Grunberg: Na ja, das ist auch eine Art von Loslassen und von Nicht-Festhalten, was man eigentlich vielleicht festhalten möchte. Aber ich habe ja glücklicherweise genug Erfahrung, um zu wissen, dass es wirklich unmöglich ist und auch nur zu Stress führt und einfach nicht gut ist, wenn man sich zu sehr auf die Seite des Regisseurs schickt oder wenn man sagt, ich möchte da mitbestimmen. Das geht einfach nicht.
Es ist irgendwie ein Produkt, das gibt man an andere Menschen, denen man traut, und man hofft, dass die daraus etwas machen, was im Sinne des Schriftstellers ist. Und ich muss sagen, ich habe am Montag zum ersten Mal eine Probe gesehen, ich war völlig überrascht. Es war – ich hatte schon etwas gehört, es sei ganz anders, als ich gedacht hatte – aber ich konnte gut damit leben. Es war eine angenehme Überraschung.
Kassel: Also man sitzt quasi als Autor dann da und sagt sich, aha, das steckt da also auch drin in meinem Text.
Grunberg: Genau. Oder: Ach so, das kann man auch dabei denken! Oder: interessant, dass es solche Assoziation anscheinend auch gibt. Ja.
Kassel: Man kann das Stück heute Abend in der Premiere das erste Mal sehen, am Sonntag das nächste Mal, und dann noch zweimal an den Münchener Kammerspielen Ende Mai. Und dann kann man sich selber als Zuschauer auch noch mal Gedanken darüber machen, was alles drin steckt in dem Stück "Hoppla, wir sterben!" des niederländischen Autors Arnon Grünberg. Herr Grünberg, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch und wünsche toi, toi, toi für die Uraufführung!
Grunberg: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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