"Theaterszene Europa" in Köln

Ein Festival der Männlichkeiten

Ein Mann hält eine Bohrmaschine fest
Was ist typisch männlich? - Diese Frage wird auf dem Festival "Theaterszene Europa" in Köln verhandelt. © dpa / Thomas Eisenhuth
Von Kolja Unger |
Auf dem Festival "Theaterszene Europa" in Köln wurde in zahlreichen Stücken das Thema Männlichkeit verhandelt: sei es durch den Wechsel zwischen Geschlechterrollen im Stück "Durch die Nacht mit…" oder in Form der Verklärung alter Männerbilder im Seefahrerstück "Blow Boys Blow".
"You can sing with us, it's an open invitation or you can just be with us, so here we go, spoon-check." - Spoon-Check, das heißt, jeder Teilnehmer der Performance löffelt puren Rum aus riesigen Schüsseln, die auf mehreren Tafeln im Raum verteilt sind. Ein dunkler Raum wie der Bauch eines Schiffes. Hier singen die Künstler rund um Dennis Deter moralisch grenzwertige Seemannslieder und lassen sich und ihr Publikum mehrere Stunden volllaufen, bis es dann ins Freie wankt.

Diesjähriges Partnerland ist Norwegen

Die Studiobühne gehört zur Universität Köln und veranstaltet das transnationale Theaterszene-Europa-Festival schon seit 30 Jahren. In diesem Jahr ist Norwegen das Partnerland. Das Programm: 17 Performances, Workshops und Nachgespräche. Vor allem aber ein idyllischer Garten, mit Lichtern, die durch die Bäume tanzen und viele lauschige Ecken, um sich über Kunst zu unterhalten.
Auf einem Liegestuhl neben mir sitzt Tim Mrosek, Dramaturg an der Studiobühne und einer von zwei Festivalleitern. Für ihn ist das Festival "der Versuch, innerhalb von einer Woche einen Überblick zu schaffen über die Freie Szene Deutschlands und einer Gastnation und einen von uns geschaffenen Fokus auf sie zu werfen. Produktionen zu finden, die eine Relevanz haben, wo man das Gefühl hat, dass da was verhandelt wird."

Rum und alte Seemannslieder

Und etwas, das in vielen Stücken hier verhandelt wird, ist das Thema Männlichkeit. Während die Blow-Boys-Blow-Matrosen mit Alkohol und Seemannsliedern einem veralteten gewaltvollen Männerbild geradezu nachtrauern, kommt es auch zu Perspektivwechseln. So im Objekttheaterstück "Durch die Nacht mit…".
Ein Radiomoderator, der nächtliche Verführer, muss sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Einer Vergangenheit, in der er kein Mann, sondern ein Mädchen war. Ein Mädchen, das nicht laufen, nicht sprechen durfte. Eve, so sein Name, als er noch ein Mädchen war, wird zu Steve, nicht, weil es ihm mehr entspricht, sondern weil Mädchensein als Hindernis empfunden wird.

Selbst-Erkundung in flauschigen Kampfanzügen

Ein Stück, das der Komplexität von Männlichkeit dagegen deutlich näherkommt, ist "We must battle when the enemy is in sight". Eine reine Männergruppe steht in flauschigen Kampfanzügen vor einer animierten Berglandschaft. Sie raufen sich auf Weichböden. Dann kommt eine Drone des Kommandanten angeflogen: "Hallo Jungs!".
Einer der zehn Jungs, die sich als Theaterkollektiv Thermoboy FK nennen, heißt Moritz Brunken: "Wir als Gruppe, die noch keine Berührung mit Krieg und Soldatentum hatten, fantasieren uns da hinein und versuchen herauszufinden, was unsere eigene Faszination mit Krieg und Soldatentum ist."
Dieser Suchprozess entsteht jedoch nicht aus dem Wunsch nach Dominanz. Er ist eher ein vorsichtiges Sich-Selbst-Erkunden.
Was das Stück faszinierend macht: der Kontrast zwischen der Lust an der Kraft, am Körper, am Kampf auf der einen Seite und dem selbstbewussten Zeigen von männlicher Verletzlichkeit und Gefühlen auf der anderen. Nur wird der Gegenentwurf zum archaischen, gewalttätigen Mann hier nicht zur Schau gestellt. Der neue Mann ist der, der herauszufinden versucht, was den alten Mann ausgezeichnet hat.
"Wir gehen auch sehr zärtlich miteinander um, ich glaube in der Gruppe ist ganz viel Liebe und Vertrauen und das spiegelt sich auch in dem, wie wir anderen gegenüber auftreten und uns im Theater inszenieren."

Sich austauschen, sich weiterentwickeln

Wichtig für diese Atmosphäre ist sicherlich auch die flache Hierarchie in der Gruppe. Thermoboy arbeiten ohne Regisseur, fest nach dem Prinzip, die beste Idee, nicht die lauteste Stimme setzt sich durch. Ein Grundsatz, den auch Adrien Baszo von der gruppe "no mer maids" teilt. Sie hat in Budapest Schauspiel studiert, in Berlin Theaterpädagogik, arbeitet aber in unzähligen freien Projekten, anstatt "in den herkömmlichen Theatern und deshalb bin ich auch frei, weil ich viel mehr an flache Hierarchien glaube und ich glaube, ich kann mich dann mehr weiterentwickeln".
Daher sucht sie auch den Austausch, diskutiert bis spät in die Nacht und kommt morgens zu den Workshops, in denen die jeweiligen Gruppen ihre Arbeitsweisen weitergeben… oder einfach Seemannslieder singen.
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