Anarchisch wie die Marx-Brothers
Beim Berliner Theatertreffen sind wieder alte Regie-Bekannte vertreten, die extremen Unterhaltungswert und hohe Aktualität versprechen, etwa Herbert Fritsch von der Volksbühne Berlin oder Karin Beier vom Schauspielhaus Hamburg. Gerd Brendel hat sich deren Stücke angeschaut.
Das Schiff als Metapher hat eine lange Karriere hinter sich: Vom Transportmittel des Gottessohns im mittelalterlichen Adventslied "Es kommt ein Schiff geladen", dem "Narrenschiff" bis zur "Titanic". Zwischen der vorreformatorischen Sozialsatire "Das Narrenschiff" und dem Hollywood-Schinken über den Untergang des Ozeanriesen ist Fellinis Spätwerk: Das Schiff der Träume" angesiedelt. Karin Beier hat daraus in Hamburg ihr ganz eigenes Untergangsstück gemacht.
"Ladies and Gentlemen..."
Willkommen an Bord des Trauer-Traumschiffs. Der Anlass:
"Es ist der letzte Wille..."
Eine Gesellschaft im Selbstmitleid
Eine Seebestattung. Die Trauergesellschaft: Illustre Kulturschaffende. Bei Fellini wird eine Operndiva von Kollegen und Kolleginnen zu Grabe übers Meer gefahren, bei Karin Beier ein Komponist von seinem Lieblingsorchester. Fellinis Kamera zeigt das melancholische Bild einer untergegangenen Welt, Karin Beier zeigt das vor Selbstmitleid zerfließende real existierenden Kulturbürgertum der Jetztzeit.
"Kann ja nicht sein, dass man garnichts gut gehen kann.. Ich möchte irgendwas bewirken wollen ich will was gut können (singt:) Near far…"
Die weltvergessene Selbstbespiegelung der Passagiere wird jäh durch die Ankunft neuer Gäste gestört.
"Wir haben gestern Nacht 63 entkräftete und dem Verdursten nahe Menschen an Bord genommen. Sie befinden sich auf dem Unterdeck."
Auch diese hochaktuelle Zuspitzung – jeder Ägäis-Urlauber unterwegs auf einer Fähre zwischen Dodekanes und Festland kann das bestätigen – kommt schon bei Fellini vor. Auch sein Kapitän nimmt Flüchtlinge auf. Bei Beier allerdings übernehmen die Schiffsbrüchigen hüftschwingend und mit missionarischem Eifer die Bühne und tanzen die Vorurteile der Passagiere einfach weg.
Asyl für Obdachlose
Das Schiff als Metapher passt auch für Beiers eigenes Haus, in dem Nacht für Nacht tatsächlich Flüchtlinge Obdach finden. Andere Häuser gehen nicht so weit, aber auf den Theaterbühnen von Dresden bis Göttingen, von Berlin bis Hamburg genießen Flüchtlinge wenigstens bis zur nächsten Spielzeit Bleiberecht.
Das gilt auch für das Theatertreffen: Im letzten Jahr eröffnete Nicolas Stemann vom Thalia Theater, der zweiten Hamburger Sprechbühne mit seiner Inszenierung von Elfriede Jelineks "Schutzbefohlenen" das Festival. Eine ästhetische, wie eine politische Entscheidung. Das gilt auch für den heutigen ersten Abend des Theatertreffens.
Wenn es beim Theatertreffen was zu Lachen gibt, dann steckt meistens ein Mann dahinter: Herbert Fritsch, fast schon ein Dauergast, erst als Schauspieler und seit ein paar Jahren als Regisseur. Auch in diesem Jahr steht wieder eine Inszenierung im Programm: "Der die Mann" die im letzten Jahr an der Berliner Volksbühne Premiere hatte. Gerd Brendel erinnert sich und ihm fällt nichts als Blödsinn ein.
"Eine Spur ... unter Bäumen ... einen Kilometer lang ..."
Moment bitte, wie war das noch mal?
"Eine Spur ... unter Bäumen ... einen Kilometer lang ..."
Zwecklos. Die Dialoge von "der die Mann" kann man nicht verstehen, zumindest nicht im üblichen Sinn von einer Geschichte mit Anfang und Ende. In "der die Mann" treten die Schauspieler so schnell auf wie ab. Aber was heißt hier Schauspieler? Lebendig gewordene Schaufensterpuppen turnen da die Showtreppe herunter um gleich darauf wieder in in der Versenkung zu verschwinden.
"Huch Hach!"
Wie in einer überdrehten Boulevard-Komödie erschrecken die Darsteller ständig voreinander und sind sich sowieso ständig gegenseitig im Weg. Die Lack-Kostüme sind so grell bunt, dass einem fast die Augen weh tun und die Plastik-Frisuren sitzen auch nach fünf-Minuten Stolper-Orgie noch perfekt.
Wie ein verkorkstes Beatles-Konzert
Irgendwie erinnert der Abend an eine aus dem Ruder gelaufene Fernsehshow, dann wieder an ein verkorkstes Beatles-Konzert, aber eigentlich ist es so unmöglich "der die Mann" nachzuerzählen wie ein Dada-Lautgedicht oder, die "Marx-Brothers in der Oper".
Die Vergleiche liegen auf der Hand: Erstens wurde der Librettist des Abends, das literarische Genie der Wiener Nachkriegszeit Konrad Beyer, oft mit den Dadaisten verglichen. Und zweitens erzählt Herbert Fritsch in Interviews auffällig oft von Groucho, Chico and Harpo. Ihren anarchistischen Slapstick holt Fritsch auf die Bühne.
Anarchischer Klamauk
Und genau wie bei den Marx-Brothers tarnt Fritsch tiefere Bedeutung gekonnt durch abgrundtiefe Oberfläche. Egal ob er die Boulevard-Komödie "Die spanische Fliege" inszeniert oder seine Schauspieler einen Abend lang nichts weiter als "Murmel Murmel" rezitieren lässt. Selbst Ibsens "Nora" ist vor seinem anarchistischen Klamauk nicht sicher.
Alle drei Inszenierungen wurden übrigens in den letzten Jahren zum Theatertreffen eingeladen. Mit "der die Mann" ist Fritsch zum sechsten Mal mit einer Regiearbeit vertreten. Katharsis durch "Jammer und Schrecken" findet man bei ihm vergebens – Katharsis durch homerisches Gelächter und Gekichere – o ja, das kann er, der Groucho Dada Fritsch.
"Stell Dir ein Imperium vor..."
Ein Imperium, ein Land, in dem all die erfundenen Theaterfiguren ganz real und wirklich leben Und diese Theaterfiguren drehen kleine U-Tube Filmchen von sich in ihren privaten Momenten.
Die privaten Seiten der Rollen
So kann man das Videoprojekt von Marcus Gaab vielleicht am besten erklären: Er hat Schauspieler gebeten vor der Kamera quasi die private Seiten ihrer Rollen zu zeigen: Wobei "youtube Filmchen" nicht ganz passt. Dafür sind die Clips viel zu perfekt inszeniert. "One on One on One" hat er seine Auftragsarbeit für das Festival genannt: Ein Schauspieler vor einer Kamera, circa eine Minute lang.
Dimitrij Schaad erzählt vor dem sowjetischen Ehrenmal Kette rauchend das Leben seines Bühnencharakters in Yael Ronens Stück "Situation".
"Was ist das für eine korrupte Gesellschaft ..."
Markus Scheumann meckert sich als Ibsens Volksfeind im Unterhemd in bester Weltverschwörungseiferer-Manier in Rage.
"Mein Name ist Thorsten Schillig ... Bordmanager... Ich habe 300 Leistungsträgern beim Ententanz zugesehen."
Jan Peter Kampwirth denkt laut über seinen Alltag als Chefsteward auf dem Schiff der Träume in Karin Baiers Eröffnungs-Inszenierung nach. Und Kate Strong aus Tyrannis brabbelt einfach nur sturzbetrunken vor sich hin.
"That bitch..."
Sie präsentieren ihre persönliche Sicht auf die Bühnengeschichten. Und wie viele Menschen im richtigen Leben sind auch sie mit ihrer Rolle in der (Bühnen)-Welt meist nicht zufrieden. Das bringt sie uns nahe. Wie sagte schon Shakespeare?
All the world's a stage – Die ganze Welt ist Bühne – und Frauen und Männer bloße Spieler.