Theatertreffen online

„Ein schönes Trostpflaster“

11:46 Minuten
In einem rechteckigen Raum mit Wänden aus Beton stehen jeweils zwei mal drei Menschen vor einer Tür, das Licht ist bläulich kalt.
"Anatomie eines Suizids": Die Inszenierung des Deutschen Schauspielhauses Hamburg gehört zur Online-Version des Theatertreffens und wird am 2. Mai gezeigt. © Stephen Cummiskey
Shirin Sojitrawalla im Gespräch mit André Mumot · 02.05.2020
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Für das diesjährige Theatertreffen wurden die zehn Inszenierungen erstmals mit Geschlechterquote ausgewählt. Nun gehen immerhin sechs davon online. Für Jurorin Shirin Sojitrawalla ein Grund zur Freude - aber sie erklärt auch, was fehlen wird.
Das Berliner Theatertreffen, das zehn bemerkenswerte Inszenierungen des vergangenen Jahres in die Hauptstadt holt, wurde wegen der Coronakrise längst abgesagt – doch nun haben sich die Berliner Festspiele dazu entschlossen, eine abgespeckte, virtuelle Variante online gehen zu lassen. Theatertreffen-Jurorin Shirin Sojitrawalla erlebt nun also eine kontaktlose Variante des Festivals, und das nachdem so viel Arbeit, so viele Sichtungen, so viele erhitzte Jury-Diskussionen stattgefunden haben.
Dass es aber immerhin nun die Online-Version geben wird, freut sie durchaus. "Es fühlt sich an wie ein Trostpflaster – ein schönes Trostpflaster. Es ist natürlich kein ebenbürtiger Ersatz, aber es ist immerhin etwas." Die Erleichterung überwiege, sagt sie. "Wir können immerhin sechs Inszenierungen, wenn auch nur online, zeigen."
Das Theatertreffen ist immer ein kontroverser Höhepunkt des Bühnenjahres, lebt auch von seinen Konfrontationen. "Was mir wirklich eminent fehlt", betont Shirin Sojitrawalla, "ist das Gespräch mit den Kollegen, aber auch mit den Zuschauern und Zuschauerinnen über das Theater." Gerade das sei das Wertvolle am Theatertreffen: "Es gibt auch Begegnungen am Rande im Festspielhaus. Da kommt dann eine ältere Dame aus Charlottenburg und stupst einen an und fragt: ‚Warum haben Sie das denn eingeladen? Das ist ja furchtbar!‘ Das fällt jetzt einfach weg und das ist sehr schade."

Enorme Bedenken gegen Quotierung

Gerade das Theatertreffen 2020 war mit besonderer Spannung erwartet worden, schließlich bestand für die Jury zum ersten Mal die Quotenpflicht: 50 Prozent der ausgewählten Produktionen mussten von Frauen inszeniert sein – die Jury hat das Soll sogar mit sechs von zehn Einladungen übererfüllt.
"Natürlich hätten wir gerne die Diskussion geführt über diese Stücke", sagt Shirin Sojitrawalla, "weil es ja auch enorme Bedenken gab und gesagt wurde, man könne künstlerische Qualität nicht quotieren – wir als Jury aber der Meinung sind, dass wir einen super Jahrgang ausgewählt haben." Gerade die Inszenierungen der Frauen bestätigten das. "Da könnte jetzt niemand mehr was an der künstlerischen Qualität zu bemängeln haben."

"Theater können auch Sicherheitskonzepte vorlegen"

Für Shirin Sojitrawlaa ist dies das letzte Jahr ihrer Jurytätigkeit, aber auch für die aktuelle Jury stellen sich nun besondere Herausforderungen. Wie geht es weiter mit dem Theatertreffen, wenn kaum Aufführungen gesichtet werden können? "Die Situation ist ja ungelöst. Wir wissen alle nicht, ob die Theater im September oder nach der Sommerpause aufmachen – und wenn sie aufmachen, unter welchen Auflagen."
Den Drang der Theater, möglichst bald wieder zu öffnen, zur Not mit eingeschränkten Spielmöglichkeiten, kann Shirin Sojitrawalla dabei gut nachvollziehen. "Ich würde es dann auch begrüßen, dass man kleinere Inszenierungen zeigt oder die Formate, die eben im Moment möglich sind. Und so wie jetzt die Bundesliga, die natürlich mehr Geld hat, Sicherheitskonzepte vorlegt, so können das natürlich auch die Theater machen."
Eins ist klar: Ungewohnte Theaterzeiten brechen an. "Dass wir im Zuschauerraum auch den Sicherheitsabstand einhalten – ich kann’s mir auch nicht vorstellen", gibt Shirin Sojitrawalla zu. "Ich konnte mir vor Anfang Januar aber auch nicht die Situation vorstellen, in der wir jetzt leben, und dass ich eine Maske im Supermarkt tragen würde."
(amu)
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