Theatertreffen-Stückemarkt

Junge Dramatiker hinterfragen ihr Metier

Der bulgarische Autor Alexander Manuiloff, auf dem Stückemarkt 2015 mit seiner Performance "The State" zu Gast.
Der bulgarische Autor Alexander Manuiloff, auf dem Stückemarkt 2015 mit seiner Performance "The State" zu Gast. © Zdravko Yonchev Photography
Von Anke Schaefer |
Was ist überhaupt ein Theaterstück? Wann ist es "politisch"? Ganz grundsätzliche Fragen diskutieren junge, europäische Theatermacher auf dem Stückemarkt des Berliner Theatertreffens. Sie machen Zuschauer zu Akteuren, erfinden Fremdsprachen und liefern erstaunliche Erkenntnisse.
Fast dunkel, der Theatersaal im Haus der Berliner Festspiele. Im Zentrum ein quadratischer schwarzer Tisch, auf dem Briefe liegen. Das Publikum sitzt im Kreis um diesen Tisch herum. Einer hat es vorgemacht, jetzt wissen alle: Wir sind gehalten, zu dem Tisch zu gehen, die leuchtend weißen Briefe zu öffnen und vorzulesen, was da steht.
"Worauf warten wir?"
Zögernd erhebt sich jemand, liest vor – und setzt sich wieder hin. Dann der nächste. Dann lange keiner. Traut sich jemand? Es ist unklar, ob das so weitergehen soll. Kommt da noch was anderes oder wird der ganze Abend so laufen? Die Texte in den Briefen lassen uns im Unklaren, geben vielmehr Kommentare zum Geschehen.
Wer sagt Ihnen denn, das die Vorführung noch nicht begonnen hat?
Irgendwann beginnen die Texte in den Briefen aber auch von einem Mann namens Plamen zu erzählen, der sich selbst verbrennen will. Und irgendwann stehen mehrere Zuschauer um den Tisch herum – und lesen …
Environment statt Bühnenbild
Der bulgarische Autor Alexander Manuiloff hat sich diese Performance ausgedacht. Sie wirft die Fragen dieses Stückemarkts auf, nämlich: Was ist eigentlich ein Stück? Und was verstehen wir unter einem Autor? Früher gab es Shakespeare und Goethe – und die waren die unantastbaren Urheber ihrer Stücke. Heute ist das anders. Thoms Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, formulierte es in seiner Eröffnungsrede zum Stückemarkt so:
"Die Theateraufführungen verlieren ihre naturwüchsige Beziehung zur vierten Wand und öffnen sich – für die spezifische Realität des Theaters selbst. Die Realität der Sprache, der tatsächlichen Präsenz der Besucher, und an die Stelle des Bühnenbildes tritt das Environment oder die Installation."
Der in Berlin lebende Theatermacher Daniel Cremer nutzte gestern Abend gleich das gesamte Environment des Theatertreffens für seine, ja, wie soll man sagen: Performance? Installation? Interaktion? Für sein "Stück"? Die Besucher wurden zu Besuchern auf einem Theaterfestival im Haus der Berliner Festspiele auf dem durchgängig in "Fremdsprache" gesprochen wurde. Allein nur sich das Ticket am Counter abzuholen stellte einen also vor eine Sprachhürde.
Es wurde eingeladen zu Workshops, Tanzperformances und zu einer wunderbar klassischen Theatervorführung, gefolgt von einem Bühnengespräch mit dem Regisseur – alles in Fremdsprache. Und, obwohl man nichts verstand, verstand man doch irgendwie alles. Erstaunliche Erfahrung. Daniel Cremer erklärte sich danach – noch mit der schwarzen Frauenperücke auf dem Kopf und in sehr hohen Schuhen – bereit, dann doch auf deutsch zu sagen, warum er die Fremdsprache erfunden hat:
"Weil sie eine Möglichkeit darstellt, alltägliche, normale institutionalisierte Situationen inhaltlich zu entkernen und zu reduzieren auf Machtverhältnisse, die man angucken kann, analytisch. Oder auf Emotionen. Und die Situation, die einem vertraut vorkommt, plötzlich fremd erscheinen zu lassen."
Machtstrukturen am Theater hinterfragen
Eine Veranstaltung wie das Theatertreffen, sagt Daniel Cremer, ist von Machtstrukturen geprägt, die unbedingt hinterfragt werden müssten:
"Es gibt im Theaterbetrieb in Deutschland eine riesige Diskrepanz, dass die Gesellschaft viel diverser ist als zum Beispiel die Auswahl bei so einem Theatertreffen. Es geht natürlich nicht ohne eine politische Reflektion, dass man fragt: Wer darf denn so befreit spielen – und wer ist auf der Bühne immer der Fremde, der Andere, der sich nicht ganz selbstverständlich da bewegen kann."
Wenn der Stückemarkt auf der einen Seite nach neuen Formen des Erzählens auf der Bühne sucht, sucht er auf der anderen Seite aber traditionell natürlich immer auch nach Positionen – und gerne sollen sie "politisch" sein. Doch kann man die Produktionen, die da nun dieser Tage zu sehen sind, "politisch" nennen? Der Dramatiker Lutz Hübner, der Mitglied der Jury war, stellt dazu eine grundsätzliche Frage:
"Wie definiert man, dass ein Stoff politisch ist? Ist das einer, der eine politische These in den Raum stellt und die durchspielt? Seit Mitte der 90er sehe ich mich mit dieser Frage konfrontiert. Man müsste eine Definition finden, die eher läuft über gesellschaftliche Relevanz und die Frage – scheint da das Politische durch?"
Und die Antwort lautet – für die Stücke, die bereits zu sehen waren – ja, es scheint durch. Aber wichtiger scheinen doch die neuen Formen zu sein, die hier ausprobiert werden. Auf dem Programm steht unter anderem noch eines, das durchweg im Probenprozess entstanden ist. Mal sehen, ob das auch so viel Spaß macht, wie die bereits gesehenen.
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