Theatralische Klangeffekte

Von Bernhard Doppler |
Eine Art szenisch erweitertes Konzert ist die "Idomeneo"-Aufführung von Nicolaus und Philipp Harnoncourt in Graz. Es sind bei dieser Inszenierung weniger die visuellen Eindrücke, die tief gehen, sondern die dramatischen Effekte der Musik.
Vielleicht war es jenes wundervolle, selten gespielte Abschlussballett in vier Sätzen, das Nicolaus Harnoncourt endlich unbedingt aufführen wollte und weswegen er nun gemeinsam mit seinem Sohn Philipp "Idomeneo" selbst in Szene setzte? Er selbst gab als Grund an, ihm wäre es nie gelungen, Regisseure davon zu überzeugen, "Idomeneo" als große französische Oper - mit Ballett eben - zu sehen. Deshalb musste er ausnahmsweise selbst ran.

Ob Harnoncourt allerdings mit dem visuellen Ergebnis, was das Ballett betriff, zufrieden sein kann, möchte man bezweifeln. Es stimmt zwar schon, Ballett ist bei "Idomeneo" nicht nur Aufputz, sondern bringt eine zusätzliche allegorische Ebene ins Spiel, etwa die Welt des Meergottes Neptun oder die Amors.

Aber die Damen und vor allem die Herren des von Heinz Spoeri choreografierten Züricher Balletts springen, stemmen und drehen sich zwar agil und bewundernswert sportlich über die Bühne, lösen aber keinen Schrecken über die Naturgewalten des Meeres aus, sondern erinnern mehr an eine biedere Mischung aus Schwanensee und Fernsehballett der Sechziger Jahre.

Es ist eine moderate Aktualisierung in stilisierten zeitgenössischen Kostümen, die Vater und Sohn Harnoncourt vorführen, wobei sie vor allem - auch wenn ihre Chorregie etwas unbeholfen ist - die Situation des Volkes interessiert: das Los der gefangenen Trojaner, die Heimkehr der Griechen, eine Verbrennung von Büchern.

Kennzeichen von Harnoncourts Dirigaten ist meist ein Zuspitzen von Kontrasten, ein Aufbrechen verwaschener Übergänge, bisweilen ein Überpointieren. Was den Dirigenten auszeichnet, gilt auch für den Regisseur und seinen Sohn. Nicht die Einfühlung in eine Geschichte, sondern das Zeigen und Deuten von Haltungen ist ihnen wichtig, wie wenn er von Bertolt Brechts Theater geprägt worden wäre .

Trotz des Aufwandes (Bühne Ralf Glittenburg) und vieler szenischer Einfälle sollte man aber den Grazer "Idomeneo" am besten als szenisch erweitertes Konzert verstehen: Der von Harnoncourt 1953 gegründete Concentus Musicus ist tatsächlich der gut sichtbare Mittelpunkt.

Es gibt keinen Vorhang, lediglich ein paar verschiebbare niedere Mauerteile ("Brechtgardinen"), aber vom Orchester steigen hin und wieder einige Musiker auf die Bühne, während die Protagonisten andererseits manchmal Kontakt mit Musikern im Orchester suchen. Musikalischen Strukturen - etwa das Zunehmen des französischen Opernstils im Laufe der Handlung - werden optisch sichtbar gemacht, etwa bei Elettra (Eva Mei), die bei Harnoncourt eine eitle komische Figur mit großem modischen Hut ist. Und die vielen Klangeffekte, die Harnoncourt vorführt (Naturhörner, verschiedene Dämpfer), sind theatralischer als jede szenische Umsetzung.

Was in Graz aber vor allem besticht, sind die jungen Sänger: der betörende Mezzo von Marie Claude Chappuis (Idamante), der warme Sopran von Julia Kleiter – und am meisten bejubelt Saimir Pirgu – selbst in den Verzierungen und Koloraturen in seiner Schizophrenie und Verunsicherungen – sehr kraftvoll - hin und hergetrieben. Das Theater des Kreterkönigs Idomeneo, der seinen Sohn opfern muss, fand in der Stimme statt.

"Idomeneo"
Inszenierung: Nicolaus und Philipp Harnoncourt
Styriarte Graz