Thema "Sicherheitspolitik im Bundestag"

Von Klaus Naumann |
Es ist mal wieder soweit. Am 7. Oktober wird sich der Deutsche Bundestag mit der alljährlich fälligen Verlängerung des Mandats für die "International Security Assistance Force" in Afghanistan beschäftigen; im November wird dann die entsprechende Mandatierung der weiteren deutschen Beteiligung an der "Operation Enduring Freedom" erfolgen. Doch was in den nächsten Wochen durchgestimmt werden wird, ist schneller gesagt, als das, was – wieder einmal – unter den Tisch fällt.
Aber zunächst zur Habenseite: Das ISAF-Mandat wird personell erweitert; die Laufzeit auf 15 Monate verlängert, mit dem frommen Vorsatz, den unpopulären Einsatz aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten; um die Mandatierung des Einsatzes von Aufklärungsflugzeugen vom Typ AWACS wird es wohl Streit und wohl ein Extra-Mandat geben; bei der Frage der Fortführung des ungeliebten OEF-Mandats werden die gewohnten Gegensätze aufeinanderprallen. Ach ja, und das auch noch: die Hilfsgelder der Bundesrepublik für den Wiederaufbau werden um circa 30 Millionen Euro aufgestockt werden. Aber das ist schon nicht mehr Gegenstand von Debatten und Beschlussfassungen, sondern fällt unter die leistungsbilanzierenden Mitteilungen der Regierung. Also, Soll erfüllt?

Unwillkürlich fühlt man sich an das berühmteste von Andersens’ Märchen erinnert – "Des Kaisers neue Kleider". Seine wirkliche Pointe bestand ja nicht darin, dass ein Kind die Nacktheit des Herrschers benannte - sondern darin, dass der Monarch daraus den Schluss zog, "Nun muss ich die Prozession durchhalten!" – Und so wird auch die Afghanistan-Prozession weitergehen, obwohl es an Mahnern nicht fehlt.

Und weil das so ist, scheint mir die Liste dessen, was nicht beredet, auf jeden Fall aber nicht verändert werden wird, viel gravierender als die absehbaren parlamentarischen Verhandlungen. Denn der Afghanistan-Einsatz ist zu einem Symptom außen- und sicherheitspolitischen Politikversagens geworden. Das nach langem Ringen erkämpfte "Parlamentsbeteiligungsgesetz" hat das nicht verhindert. Etwas läuft grundsätzlich schief im Prozess der politischen wie parlamentarischen Willensbildung. Und damit ist nicht die Entscheidung Pro oder Kontra Afghanistan-Einsatz gemeint! Das Problem liegt tiefer. Politikversagen deutet weniger auf das Fehlen von Kontrolle hin als auf die Unfähigkeit, die strategische Reichweite des eigenen politischen Entscheidens und Handelns sinnvoll und vorausschauend zu begleiten.

Die Mängel nisten in der Struktur der Beratungs- und Entscheidungsprozesse. Auf Regierungsebene der Ministerien dominiert das Ressortdenken. Da ist es nicht einmal möglich, ein so harmloses Koordinierungsorgan wie den Bundessicherheitsrat, in dem endlich einmal alle betroffenen Ressorts an einem Tisch sitzen, zu einem beratungs- und orientierungsfähigen Gremium aufzubauen. Es genügt der Warnruf, hier werde an einem "National Security Council" gebastelt, und schon ist die Sache vom Tisch. Solche Koordinationsmängel werden indessen auch vom Kanzleramt, wo alle Fäden zusammenlaufen, nicht wirksam ausgeglichen.

Der Planungshorizont, so versichern Insider, überschreite dort nicht den Rahmen von ein bis zwei Jahren. Und das Parlament? Was bei den Ministerien das Ressortprinzip, wiederholt sich hier in Gestalt des Ausschusswesens. Auch hier fehlen solche Einrichtungen und Prozeduren, die besorgte Beobachter als "strategische Räume" bezeichnen. Das Denken in Perspektiven und Zeithorizonten, Vernetzungen und Interdezpendenzen, das in Formeln wie jener von der "vernetzten Sicherheitspolitik" ständig gepriesen wird, besitzt de facto gar kein eigenes Forum. Es wird aufgesogen vom Druck der Tagespolitik und der parteitaktischen Kalküle.

Weil das so ist, findet die große und immer wieder propagierte sicherheitspolitische Debatte gar nicht erst statt – weder in der Regierung noch im Parlament noch in der Öffentlichkeit. Afghanistan ist zum Menetekel geworden; nicht deshalb, weil der Einsatz falsch oder überflüssig wäre, sondern weil die Weiten und Wüsten des Hindukusch zu Sinnbildern politischer Strukturen geworden sind, denen der Saft ausgegangen ist.


Klaus Naumann, Dr. phil, Jahrgang 1949, seit 1992 am Hamburger Institut für Sozialforschung tätig, Arbeitsschwerpunkte Militärgeschichte und Nachkriegsgeschichte, mehrere Buchveröffentlichungen.