Ist das Internet das bessere Theater?
Über die Rolle des analogen Theaters befassten sich die Thementage des Schauspiels Frankfurt, die unter dem Motto "Digitale Welten - welchen Fortschritte wollen wir?" standen. Journalisten, Künstler, Soziologen, Wissenschaftler diskutierten über Chancen und Risiken der digitalen Technologien.
"Ich bin heilfroh, dass wir noch immer Handys aus, auf dem Popo sitzen, zwei Stunden, drei Stunden, solange eine Aufführung eben dauert, das aushalten. Und das Theater mit seinem anderen Rhythmus, mit seiner anderen Zeitfolge uns diese Konzentration abnötigt.",
sagt Oliver Reese, Intendant des Schauspiel Frankfurt. Weil man aber nie weiß, wie lange das noch so ist, und weil das Theater die analoge Form schlechthin ist, hat Reese mit seiner Crew in den letzten vier Tagen den Angriff nach vorn gewagt mit den interdisziplinären Thementagen: digitale Welten. Welchen Fortschritt wollen wir, ließ er rhetorisch nachfragen. Reese hat nämlich doch ein bisschen Angst, abgehängt zu werden, trotz 96 Prozent Auslastung im vergangenen Monat, denn
"Angeblich ist es so, dass man gegenüber Menschen, die sich für Kultur interessieren, das Wort "digital" in den Mund nehmen, Reissaus."
Und genau für die gab in den letzten Tagen frische Gedanken, Forschungsergebnisse, Theorien, tatsächlich auch Erfindungen und Kunst zu diesem Thema. Von Soziologen, Philosophen, Neurobiologen, Software-Entwicklern, Medienwissenschaftlern, Erfindern.
Teilhabe und Inklusion
"Die Digitale Gesellschaft ist mein Thema, mit dem Unterthema: Wir drucken uns die Welt in 3D."
Gesche Joost zum Beispiel, Designerin, Professorin an der Universität der Künste in Berlin. Gesche Joost stach mit ihren fantastischen Ideen, ihrer optimistischen Haltung komplett heraus aus diesem Thementage-Diskurs.
Joost baut an einer Smart City, sie erfindet mit ihren Studierenden in Berlin nützliche Dinge für den täglichen Alltag, um konkret Probleme zu lösen. Einen Kommunikationshandschuh für taube und hörende Menschen, eine Reha-Kniebandage, die einen zum Training auffordert oder einen Pullover, dessen Ärmel man aufkrempelt, um die Lautstärke am eigenen Smartphone zu regeln.
Ihr Ziel: Teilhabe. Inklusion. Menschen mit Handicap z. B., oder Senioren oder Kranke, werden über solche analog-digitalen "Krücken" automatisch mit Menschen ohne Handicap zusammengebracht.
"Und mein Ansatz ist eigentlich, neue Narrationen, neue Entwürfe zu machen. Was ist denn wirklich eine intelligente Stadt. Wie vernetzt sich die, und wie kann man das gesellschaftlich als Teilhabe gestalten. Und das ist das, worin ich Spaß habe. Also, schon zu wissen wie Technologien genutzt werden können, umfunktioniert werden können. Und was ist diese Vision dieser digitalen inklusiven Gesellschaft, die auch Daten miteinander vernetzt, Objekte miteinander vernetzt, die Städte miteinander vernetzt. Das ist schon ein Zukunftsszenario, dem ich sehr sehr viel Positives abgewinne, wenn wir unterschiedliche Gruppen dieser Gesellschaft teilhaben lassen und nicht einfach eine Techi-Version daraus machen."
Neue Welten - neue Begriffe
Joost und ihre Leute wollen nicht wie wild alles mit allem vernetzen. Joost baut vielmehr an einem holistischen Weltbild - mit hohem philosophischen Anspruch, mit einer speziellen politischen Kultur. Sie stellt einen Werte-Codex für die digitale Gesellschaft auf, sie fordert Rücksichtnahme und Teilhabe, Akzeptanz des Menschen in seiner Vielfältigkeit. Gesche Joost ist Optimistin!
"Ich sehe sehr viel Missbrauch und Radikalisierung durchs Netz, keine Frage. Und ich versuche da eben auch sehr stark auf eine optimistische Gegenerzählung, weil ich daran glaube, und weil ich selbst auch die Erfahrung mache: Je mehr man Menschen einbezieht und ihnen die Teilhabe ermöglicht, desto demokratischer wird die Sache."
Während die Designerin bereits seit Jahren mit überbordender Fantasie eine digitale Welt entwirft, hinken andere noch hinterher. Sie tun sich schwer, das Phänomen "Digitale Welten" überhaupt angemessen zu beschreiben, begrifflich zu fassen.
Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler aus Tübingen, bastelt sich für die neuen Gemeinschaftsphänomene neue Begriffe. Wenn er von der neuen Gemeinschaft im Netz spricht, nennt er diese nun "Konnektiv".
"Das Konnektiv ist eine ich/wir-Gemeinschaft. Seine Attraktivität besteht darin, dass man einerseits sich zugehörig fühlen kann zu einer Bewegung, die Protestschreiben abfeuert, sich um einen Hashtag versammelt, sich auf Facebook trifft, dass man andererseits auch seine individuelle Note einzubringen vermag – strikt nicht hierarchisch, sondern prinzipiell offen."
Einzigartige Erlebnisse
Wortgewandt, eloquent, klingt aber auch sehr nach Elfenbeinturm. Und so, als müsste man Neues unbedingt in neue Wörter kleiden. Überhaupt reden sie viel in diesen vier Tagen, die die Pressesprecherin Veronika Breuning virtuos kuratiert. Vieles querbeet, aber darum um so inspirierender. Am Ende berichtet auch eine Frau auf dem Podium von ihren privaten, sexlosen Tinder-Erfahrungen.
Ob aber das Internet das bessere Theater ist, ob es das Theater als Bühne zur Selbstdarstellung ablöst, das Schauspiel Frankfurt hat in diesen vier Tagen mit preisgekrönten Stücken wie "Die Netzwelt" und einem Audiowalk von Rimini Protokoll klar Stellung bezogen.
Und zwar so wie immer, old school: Indem es für einzigartige analoge Live- und Gruppenerlebnisse gesorgt hat.