Wie der Windstrom in den Süden kommen soll
Die Energiewende ist in dieser Woche das Thema im Länderreport. Heute berichten unsere Korrespondenten Dietrich Mohaupt, Lisa Weiß, Alexander Budde und Ludger Fittkau über die Hochspannungstrasse Südlink, die von den Bürgern abgelehnt wurde.
Südlink: Am Startpunkt in Schleswig-Holstein
Von Dietrich Mohaupt
Es ist ein nass-kalter, regnerischer Nachmittag an der schleswig-holsteinischen Westküste bei der kleinen Gemeinde Büttel. Am dunstigen Horizont ist schemenhaft das Kernkraftwerk Brunsbüttel zu erkennen – abgeschaltet. Strom liefern hier inzwischen zahlreiche Photovoltaikanlagen und Windräder – der Soundtrack der Energiewende ist hier überall präsent. Im Schatten der Windräder steht eine große Konverterstation – hier bereitet der Netzbetreiber Tennet Strom von Offshore-Windparks in der Nordsee für das Hochspanungsnetz auf. Die Station ist ein ganz wichtiger Knotenpunkt, betont Tennet-Sprecher Matthias Fischer.
"In Büttel liegt die Kapazität, die wir übertragen können, schon bei 2130 MW. Noch nicht alle Windparks sind fertig gestellt draußen in der Nordsee, so dass etwa 1500 MW durch die Windparks anlieferbar wäre. Die Spitzen werden noch nicht ganz erreicht in dieser Größenordnung – aber es ist schon, wenn man das mal vergleicht, die Kapazität von zwei richtig großen Großkraftwerken."
Insgesamt fünf Windparks in der Deutschen Bucht vor der Küste Schleswig-Holsteins sind bereits ans Netz angeschlossen, ein sechster soll 2017 fertig ausgebaut und angeschlossen sein. Weiter westlich vor der niedersächsischen Küste befinden sich acht Anlagen, von denen vier bereits am Netz sind, die übrigen befinden sich noch im Aufbau. Bei der Netzanbindung liege man gut im Zeitplan der Bundesregierung, betont Matthias Fischer.
"Das Ziel der Bundesregierung ist ja, bis 2020 6.500 MW Offshore-Windkraft zur Verfügung zu haben – wir haben von Tennet inzwischen 4.300 MW Anschlusskapazität in der Nordsee, also in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen gerechnet, fertig gestellt, und wir werden auch in diesem Jahr weitere Anschlüsse haben, so dass wir in 2016 schon über 80 Prozent fertig haben."
In den vergangenen Jahren hinkte die Netzanbindung eigentlich immer dem Ausbau der Offshore-Windparks deutlich hinterher – inzwischen hat sich die Situation komplett gedreht.
"Wir hatten noch Anfang 2015 die Situation, dass die Kapazität der Windparks höher lag als die Übertragungsmöglichkeiten – das hat sich im vergangenen Jahr völlig verändert! Wir haben viele neue Netzanbindungen in der Nordsee fertig gestellt, so dass wir hier jetzt doch in der Situation sind, dass die Windparks Schritt halten sollten."
Diese trockenen Zahlen werden in der Leitwarte der Konverterstation Büttel etwas anschaulicher. Auf einer großen Schalttafel ist eine schematische Darstellung der Windparks in der Nordsee zu sehen. Unübersehbar leuchtet auf dem Schaltpult darunter ein dicker, knallroter Knopf – nicht anfassen, warnt Sebastian Weiner, Servicetechniker Offshore bei Tennet.
"Das ist unser 'emergency shutdown' – damit kann ich schlagartig, wie mit einem Notaus-Button, das Gesamtsystem herunter fahren."
Neben den Symbolen für die einzelnen Windparks leuchten kleine Digitalanzeigen, eine davon zeigt als Wert 542 MW an – das ist die Leistung, die von den Windparks DanTysk und Butendiek westlich von Sylt in diesem Moment in Form von Wechselspannung zur seeseitigen Konverterstation SylWin alpha geliefert wird, erläutert Sebastian Weinert.
"Dort wird mit Hilfe von Transistoren und Kondensatoren die Wechselspannung gleichgerichtet – und zwar auf plus/minus 640.000 Volt. Diese bringen wir dann durch die Nordsee nach Büsum nach Schleswig-Holstein und kommen dann nach Büttel in unsere Konverteranlage, die landseitige, und beginnen hier im Prinzip, diesen Schritt wieder rückwärts abzuwickeln. Und das können wir uns gerne einmal draußen anschauen."
Auf sauber geharkten Kieswegen geht es zu einem abgesperrten Bereich. Hier kommen zwei dicke schwarze Kabel aus der Erde – der Endpunkt der Verbindung von den Offshore-Windparks über Büsum nach Büttel.
"Wir stehen jetzt bei unserem sogenannten 'DC-Yard' – da haben wir zwei Stück von, eins für den Plus- und eins für den Minuspol, und jetzt sieht manrelativ unspektakulär diesen Minuspol, das Kabel, aus dem Erdreich kommen. Man hört es im Hintergrund – es knistert sehr viel, wir haben leichte Corona-Effekte durch die Feuchtigkeit, und die Leistung wird jetzt im Prinzip in unsere Konverterhalle eingeleitet um dann entsprechend konvertiert zu werden."
Gleichspannung wird wieder zu Wechselspannung. In der nächsten Halle bringen zwei mächtige Transformatoren den Offshore-Strom auf 380.000 Volt, anschließend wird er über zwei Hauptleitungen ein paar Kilometer weiter nach Wilster zu einem großen Umspannwerk geleitet – dem eigentlichen Startpunkt für die geplante Stromautobahn Südlink. Auch hier ist die feuchte Luft an diesem Tag geladen – das Knistern und Knacken kleiner elektrischer Entladungen an den Hochspannungsleitungen ist deutlich zu hören.
Der Offshore-Windstrom soll in diesem Umspannwerk künftig auf den von rund 1500 Onshore-Windrädern an der Nordseeküste erzeugten Strom treffen. Eine gut 120 Kilometer lange Freileitung zwischen Niebüll kurz vor der dänischen Grenze und Brunsbüttel soll diesen Strom einsammeln – der erste Bauabschnitt wird nach Angaben von Tennet voraussichtlich im Sommer abgeschlossen sein. Auf der gesamten Länge soll die Leitung bis 2018 betriebsbereit sein. Klingt nach mächtig Rückenwind für die Energiewende, man könnte meinen, es wäre alles gut im hohen Norden – ist es aber nicht. In ganz Schleswig-Holstein ist nämlich der Neubau von Windrädern fast vollständig auf Eis gelegt. Grund dafür ist ein Gerichtsurteil, das die Pläne der Landesregierung für die Ausweisung neuer Standorte für Windkraftanlagen auf besonders geeigneten Flächen gestoppt hat. Um einen ungeregelten Wildwuchs zu verhindern, genehmigen die zuständigen Behörden derzeit Neubauten nur noch in Einzelfällen – ein Tiefschlag, kritisiert Nicole Knudsen vom Landesverband Schleswig-Holstein des Bundesverbandes Windenergie.
"Seit Juno 2015, konnten bis Jahresende nur 4 Anlagen genehmigt werden. Es werden bis Ende 2016 rund 150 Anlagen genehmigt werden, und 500 Anträge noch unbearbeitet sein. Das ist unter ökonomischen und ökologischen Aspekten für uns ein ganz großer Rückschritt."
Frühestens in einem Jahr wird die Landesregierung neue Pläne für einen geregelten Ausbau der Windkraft vorlegen – kein gutes Signal für die Energiewende, mahnt Nicole Knudsen.
"Man muss ganz klar sagen, dass eine Energiewende in Deutschland nicht funktionieren kann ohne Schleswig-Holstein. Und wenn Schleswig-Holstein es sich jetzt erlaubt, für eineinhalb oder sogar zwei Jahre die Füße hoch zu legen, dann wird die Energiewende in Deutschland noch holpriger laufen, als sie es ohnehin schon tut."
Der Widerstand gegen Südlink
Von Alexander Budde
Wir sind in Elsfleth. Die Stadt liegt malerisch im Landkreis Wesermarsch im Oldenburger Land, umgeben von Moorgebieten, Teichen, Wäldern - sturmfest und erdverwachsen. Die "Windernte" ist ein lukratives Geschäft im norddeutschen Flächenland. Nicht alle Bewohner der Region brechen darüber in jubelnde Begeisterung aus:
Frau: "Sie sind in einer schützenswerten Kulturlandschaft, auch wenn das einige nicht so gerne hören – und dann gucken Sie sich um, und sehen elf Windparks. Und es sollen noch x dazukommen. Wir haben hier die Leitungen, die quer durchgehen - völlig in Ordnung! Aber muss man wirklich zusätzliche Leitungen haben?" Wir würden uns einfach wünschen, dass die Bürger der Wesermarsch ein bisschen mehr damit gehört werden, dass die hier auch noch leben. Wir sind nicht nur dazu da, die anderen Bundesländer zu unterstützen."
Nur wenige Bürger sind an diesem Abend in Elsfleth der Einladung zum so genannten "Bürgerdialog Stromnetz" gefolgt, um ihre Meinung zum Netzausbau kundzutun. Hier und da ein Stirnrunzeln über allerhand Zahlen, Daten und Schaubilder – doch die Atmosphäre ist gelassen freundlich. Das überschaubare Publikum im Rentenalter lauscht den Ausführungen von Markus Doll. Der Experte von der Bundesnetzagentur beschreibt mit allerhand technischem Vokabular den Planungsstand der diversen Vorhaben zum Netzausbau. Listig fügt er hinzu:
Markus Doll: "Das, was wir Ihnen als Entlastung anbieten können, bewegt sich eigentlich außerhalb des Netzentwicklungsplans. Das ist nämlich der Weg, weg von Atomenergie, der Weg weg von fossilen Energieträgern, die unser Klima schädigen, hin zu einer erneuerbaren Welt!"
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat diesen angeblich Ideenaustausch ins Leben gerufen und fördert ihn. Auf ergebnisoffenen Veranstaltungen landauf landab sollen die Bürger mit ihren Fragen und Anliegen Gehör finden. Zugleich werben Energieunternehmen und Übertragungsnetzbetreiber um Akzeptanz für die geplante Stromtrasse Südlink. Moderiert werden diese Veranstaltungen von einem Konsortium unabhängiger "Dialoggestalter", dem unter anderem eine Tochter der Deutschen Umwelthilfe e.V. angehört. Die Umweltorganisation nimmt für sich in Anspruch, die Vielzahl der Südlink-Kritiker auch in den Gesetzgebungsverfahren zu vertreten. Das ärgert viele der streitbaren Anwohner, die sich überall entlang des geplanten Trassenverlaufs zu Bürgerinitiativen formieren. In ihrem Widerstand sind sich die Trassengegner nämlich keineswegs einig, zum Teil gibt es sogar widerstrebende Motive.
Gert Bindernagel: "Zwischen unserem Haus und Schulenburg sollte die Stromtrasse nach den Vorstellungen von der Firma "TenneT" entlang ziehen - als Freileitungstrasse. Der Gesichtspunkt ist ja der: Wenn ich weiß, es gibt zwei verschiedene Techniken für eine Maßnahme und die andere ist nicht sichtbar, dann bin ich dafür, dass diese Maßnahme auch ergriffen wird - und nicht diejenige, die den Blick stark beeinträchtigt!"
Ortswechsel: In Jeinsen bei Hannover führt Gert Bindernagel erst einmal in den Garten. Der Blick schweift über weites Land - und bleibt an einer Reihe von Stahlmasten hängen. Der pensionierte Lehrer, Jahrgang 1949, lebt im Nahbereich einer 380 KV-Leitung, die sich über Äcker, Wiesen und Hügel spannt. Auch die Stromautobahn Südlink hatte der zuständige Netzbetreiber "TenneT" ursprünglich als Freileitung mit hohen Masten geplant – jedenfalls bis zum Frühsommer letzten Jahres.
Bindernagel und die allermeisten seiner Mitstreiter vom Netzwerk "Erdkabel Offensive Südlink" outen sich als überzeugte Gegner der Kernkraft. Auch am Sinn des Netzausbaus zweifeln sie nicht. Sie stören sich nur an hohen Masten. Die "Pulsader der Energiewende" soll möglichst tief unter der Erde verlaufen, um die Belastung für die Anwohner möglichst gering zu halten:
Gert Bindernagel: "Wir haben die Position dazu, dass wir die Energiewende in der Form unterstützen, dass wir sagen: Wenn so eine Leitung benötigt wird, damit weiterhin im Süden die Menschen mit Strom versorgt werden, dann wird das nötig sein. Diesen Strom werden sie mit Sicherheit auf Dauer gesehen, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet sind, dann aus dem Norden bekommen – weil, es geht gar nicht anders!"
Tatsächlich entschied die Bundesregierung Ende Juni 2015: Der Vorrang für die Erdkabel soll in einem Bundesgesetz festgeschrieben werden. Der Bundestag beschloss die Gesetzesänderung im Dezember vorigen Jahres – daraufhin hieß es für alle Beteiligten: "Zurück an den Zeichentisch!" - die Planungen beginnen von vorn. Gert Bindernagel spricht von einem Zeitgewinn, der auf allen Seiten das Nachdenken ermöglicht, was die beste aller Lösungen ist.
Gert Bindernagel: "Wir haben sicherlich mit dazu beigetragen, dass ein Umdenken hier stattgefunden hat im Wirtschaftsministerium – weil sie gesehen haben, was für ein Protestpotential auf der 'anderen Seite' steht. Und wenn sie es so gelassen hätten, wie sie es geplant hatten, mit Freilandleitungen wäre das sicher nicht so einfach gewesen, weil viele – auch Kommunen – geklagt hätten!"
Alles auf Anfang, alle im Gespräch. Droht dem bürgerlichen Protest gegen die Stromautobahn jetzt der Absturz in die Bedeutungslosigkeit? Mitnichten, hält Mechthild Teuber-Hilbert dagegen. Die Psychologin spricht für die Südlink-Gegner in Garbsen. Das Plakat am Ortseingang weist auch diese Stadt bei Hannover als Hochburg des Widerstands aus: Ein schwarzer Strommast – mit roten Balken durchgestrichen. Teuber-Hilbert nennt die Erdverkabelung einen faulen Kompromiss, eine Kehrtwende, die mehr Fragen aufwerfe als sie Antworten gibt. Aktive wie Teuber-Hilbert bezweifeln grundsätzlich, dass die teuren Leitungen überhaupt gebraucht werden. Aus ihrer Sicht dreht sich die aktuelle Stromnetzplanung nämlich in erster Linie um den Stromhandel: Energieunternehmen und Übertragungsnetzbetreiber brauchen Projekte wie Südlink, um ihre Energie durch deutsche Netze in ganz Europa zu verteilen.
Teuber-Hilbert: "Es geht nicht um die Energiewende in Deutschland, sondern es geht um europäischen Stromhandel. Und es geht darum, das Geld verdient wird, es geht nicht um die Verbraucher!"
Auch Guntram Ziepel, der Sprecher des Bundesverbandes der Südlink-Initiativen, ruft die Politik zum Umdenken auf. Ähnlich wie die Umweltorganisation BUND plädiert der Elektroingenieur für eine konsequente dezentrale Energieerzeugung, etwa durch kluge regionale Vernetzung verschiedener regenerativer Stromquellen wie Windräder, Fotovoltaik oder Wasserkraft.
Guntram Ziepel: "Es ist toll, ein Kernkraftwerk abzuschalten. Wir alle stehen da voll dahinter, weil wir sagen, das ist eine Technik, die hat über Jahrmillionen Jahre hinweg einen Problemfall für all unsere Nachkommen darstellen wird. Also ist es richtig, die Dinger abzuschalten. Aber es ist falsch zu glauben, man könne mit einer langen Verlängerungsstrippe den Windstrom von oben genau an die Stelle transportieren, wo früher mal die Kernkraftwerke waren. Das macht überhaupt keinen Sinn. Was wir brauchen ist eine Perspektive in Richtung Energiewende, das heißt, wie kriegen wir aus einem Strom alles Mögliche, können damit heizen, können damit uns auch bewegen. Das sind Dinge, die müssen anders gelöst werden und die müssen vom Ergebnis aus gelöst werden!"
Der Protest gegen die Kabelleitungen wird weitergehen, prophezeit Zimpel – auch wenn man sie unter die Erde bringt. Die allermeisten Südlink-Gegner verstehen sich nicht als Verhinderer eines Vorhabens, sondern als Gestalter der Energiewende. Der größte gesellschaftliche Konflikt unseres Landes sei viel zu wichtig, sagen sie, um ihn Experten am Kartentisch zu überlassen.
Südlink - technische und topografische Herausforderungen
Von Ludger Fittkau
Kämmerzell – ein ländlicher Vorort von Fulda. Der gleichnamige Fluß schlängelt sich an den Fachwerkhäusern im Ortskern vorbei. Neuere Einfamilienhäuser schieben sich über dem alten Dorf die Hänge hoch. Mehrere hundert Meter messen die bewaldeten Hügeln, die das Fuldatal auf beiden Uferseiten begrenzen. Unübersehbar, gleich neben dem gelben Ortsschild von Kämmerzell: Ein weißes Plakat, auf dem ein durchgestrichener Strommast zu sehen ist. "Keine Monstertrasse" ist darunter zu lesen. In Fulda-Kämmerzell war man mit großer Mehrheit gegen die neuen Hochspannungsleitungen der "Südlink"-Trasse, die ursprünglich direkt am Ort vorbeigehen sollte.
Aber auch die jetzt beschlossene Verlegung von Erdkabeln trifft vor Ort nicht nur auf Gegenliebe. Erstens ist noch gar nicht klar, wo die Erdkabel für Südlink überhaupt verlegt werden sollen . Die Bauern der Region befürchten außerdem, dass die Kabeltrassen unter der Erde gerade an den Berghängen den Wasserhaushalt der Böden durcheinander bringen könnten.
"Was wir auch heute feststellen, Hessen ist ja keine ganz ebene Gegend, sondern wir haben natürlich Hanglagen. Und wenn ich dort einen Graben von der Hangspitze bis zum Hangfuß grabe, habe ich natürlich eine Wirkung auf den Wasserhaushalt im Boden. Quasi eine Drainage-Wirkung. Es gibt zwar technische Möglichkeiten, das über Sperrriegel – Tonriegel- dann abzusperren oder abzuschotten. Das muss aber umgesetzt werden, verteuert die Sache natürlich auch. Und ob ich dann jede Wasserbewegung vom Hang nach unten damit stoppen kann, das ist ein Problem."
Sagt Hans- Hermann Harpain, Diplom-Agraringenieur und stellvertretender Generalsekretär des Hessischen Bauernverbandes.
Hessen ist tatsächlich sehr hügelig. Ein Bundesland mit einer abwechslungsreichen Topographie. Bewaldete Mittelgebirge, Hochmoore, sehr unterschiedliche Gesteinsformationen. Schön fürs Auge, schwierig für den Energieleitungsbau- ob über oder unter der Erde. In Osthessen, die Region, durch die die geplante "Südlink"-Stromautobahn von Norden Richtung Bayern geführt werden soll, sind erhebliche Unebenheiten zu überwinden. Landwirte befürchten zudem Ernteeinbußen über Hochspannungskabeln im Ackerboden. Hans Hermann Harpain:
"Wir kennen natürlich Eingriffe in den Boden aus anderen Infrastrukturprojekten. Gerade aus dem Gasleitungsbau. Und dort stellen wir bei vielen Leitungen fest, dass noch nach Jahren und Jahrzehnten über der Leitung tatsächlich eine Ertragsdepression stattfindet."
Ertragsdepression – das heißt, die Ernte fällt über einer Erdgasleitung geringer aus als neben der Leitung:
"Das sieht man in Jahren, die vielleicht eine etwas ungünstigere Witterung aufweisen besonders deutlich dann, dass da der Getreidebestand heller ist oder auch niedriger. Wir sehen das so im Winter, in Übergangszeiten, wo außen noch Schnee rumliegt und auf der Trasse kein Schnee mehr."
Szenenwechsel. Ein neues Forschungsgebäude der Technischen Universität Darmstadt. Hier hat Professor Volker Hinrichsen sein Büro. Der Wissenschaftler leitet das Fachgebiet Hochspannungstechnik. Er beschreibt das Hauptproblem, das bei Hochspannung unter der Erde entsteht. Ein Erdkabel oder Rohr, durch das der Strom geschickt wird, wird heiß.
"Es wird so sein, das ist auch schon bekannt, dass Wärme entsteht. Das heißt, immer wenn elektrische Energie übertragen wird, entstehen gewisse Verluste. Das lässt sich bei keiner Übertragungstechnik vermeiden. Verluste bedeuten Wärme. Das heißt, der Kabelaußenmantel oder auch der Rohrleiter-Außenmantel, der wird einige zehn Grad wärmer werden als der Erdboden. Das bedeutet eben, dass sich die Wärme im Boden ausbreitet und man wird untersuchen müssen und sich genau anschauen müssen, wie weit das einem späteren Bewuchs oder einer landwirtschaftlichen Nutzung entgegensteht."
Diese Untersuchungen, sollen nun in einem großen Feldversuch an der TU Darmstadt durchgeführt werden. Finanziert vom Bund und dem Land Hessen.. Dabei soll umfangreich getestet werden, wie die Böden auf die Hitze des Kabels oder der Rohrleitung reagieren und was getan werden muss, um die Dehnungen der Stromleiter bei unterschiedlichen Bodenbeschaffenheiten möglich zu machen. Denn es gibt einen weiteren technischen Aspekt, der den Umgang mit Erdkabeln im Vergleich zu Hochspannungsfreileitungen komplizierter machen könnte. Wenn nämlich etwas kaputt geht, kommt man an ein Erdkabel schlechter ran als an eine Überlandleitung auf einem Strommast. Also sollte so wenig wie möglich kaputtgehen.
Volker Hinrichsen: "Und die Erfahrung, die man noch sammeln muss mit so langen Rohrleitern ist einfach, wie gut die Beweglichkeit im Erdboden ist. Man weiß eben noch nicht sicher, ob das Rohr festsitzt, festbackt, oder ob es sich bewegen kann. Und das ist einer der Aspekte, der hier untersucht werden soll."
Begrüßt werden diese wissenschaftlichen Untersuchungen auch von Umweltschützern. Denn nur auf diese Weise könne man auch herausbekommen, welche Stromleiter für die Südlink-Stromautobahn unter der Erde am besten geeignet sind – etwa kunststoff-ummantelte Metallkabel oder etwa Strompipelines, die mit Gas isoliert werden . Der Physiker Dr. Werner Neumann, Sprecher des Arbeitskreises Energie des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland – kurz BUND:
"Wo man sagt, da ist auch ein interessanter Wettbewerb. Da gibt es auch verschiedene große Firmen, die verschiedene Systeme anbieten und das ist eigentlich auch interessant, dass die entsprechenden Anbieter dieser Erdkabel-Systeme jetzt auch gefordert sind."
Das Pilotprojekt der TU Darmstadt mit verschiedenen Kabel- und Leitungstechniken soll voraussichtlich im Sommer 2016 starten. Versuchsleiter Volker Hinrichsen:
"Das heißt in dem Projekt, dass wir hier in Darmstadt vorhaben, wird man sicherlich an die zwei Jahre untersuchen zum Bespiel die Bewegung des Kabels, die mechanische Beanspruchung des Rohrleiters – ja, der Versuch ist angelegt auf eine Dauer von mindestens zwei Jahren."
Das bedeutet: Insgesamt wird man wohl mindestens zweieinhalb Jahre brauchen, bis erste Ergebnisse der Feldstudie vorliegen. Eine Zeitspanne, in der es keinen Sinn macht, Erdkabel für den Normalbetrieb zu verlegen.
Nach dem jetzigen Plan soll "Südlink" 2022 fertig sein. Doch bis dahin müssen eben noch viele – auch technische- Fragen beantwortet werden. Damit es auch im hügeligen Hessen mit sicheren unterirdischen Stromautobahnen klappt.
Wirtschaftsfaktor Stromtrasse
Von Lisa Weiß
Die Zukunft der Energiewende – das sollte eigentlich das Hauptthema sein beim Bayerischen Energiedialog vor ein paar Tagen. Doch bei den Gesprächen zwischen der Staatsregierung, der Opposition, Wirtschaftsvertreter und Bürgerinitiativen ging es doch wieder nur um den einen großen Streitpunkt: Die Stromtrassen. Eigentlich sollte ja alles in bester Ordnung sein, Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hatte zuvor noch ganz stolz verkündet:
"Wir haben die nötige Menge an Strom unter die Erde gebracht, nämlich mit der Erdverkabelung."
Doch das besänftigt die Bürgerinitiativen nicht: Ihre Vertreter haben die Gespräche sogar demonstrativ vor dem offiziellen Ende verlassen – sie wollen lieber auf dezentrale Energieerzeugung setzen, als auf Stromautobahnen, selbst wenn die unter der Erde liegen. So hat sich im Konflikt auch nach dem Erdkabel-Kompromiss eigentlich nicht viel geändert, meint Oppositionspolitiker Ludwig Hartmann von den bayerischen Grünen:
"Das einzige, was in der Rhetorik etwas anders geworden ist: Dass die Staatsregierung nach zwei Jahren, wo sie eigentlich nicht gewusst haben, sind sie jetzt für oder gegen den Leitungsausbau, jetzt endlich mal ganz deutlich sagt, dass ein Leitungsausbau notwendig ist."
Aber – ist der Ausbau wirklich notwendig? Die Vertreter der bayerischen Wirtschaft sagen: Ja, unbedingt. Es wäre schön, wenn wir schon deutlich weiter wären, sagt etwa Peter Driessen, Hauptgeschäftsführer des bayerischen Industrie- und Handelskammertages, kurz BIHK. Wegen des Kompromisses vom vergangenen Sommer, wegen des Hin- und Her der bayerischen Staatsregierung ist nicht nur viel Zeit verloren gegangen. Die Planung der Trasse muss nun auch noch mal von vorn beginnen – das dauert. Und wegen der Erdkabel werden Südlink und die andere Trasse deutlich mehr kosten, befürchtet Driessen.
"Hier sind Größenordnungen von insgesamt über 20 Milliarden, im Extrem über 30 Milliarden Euro inzwischen aufgerufen, das werden die Verbraucher, und zwar sowohl die privaten als auch die gewerblichen Verbraucher über Netzentgelte bezahlen müssen. Und wir stehen heute vor der Situation, dass aller Voraussicht nach, die Leitung erst drei Jahre nach Abschaltung des letzten Kernkraftwerks fertig werden. In dieser Zeit wird es für Bayern schwierig und vor allen Dingen – es wird sehr, sehr teuer."
Dass fehlende Leitungen den Strom in Bayern teurer machen werden, glaubt auch Katrin Schaber. Sie forscht für die Stadtwerke München, einer der größten kommunalen Stromversorger, zum Thema Strommarkt. Das Problem, sagt Schaber: Der so genannte Redispatch wird häufiger: Denn im Rahmen der Energiewende setzt Deutschland vermehrt auf Windkraft, die vor allem im dünner besiedelten Norddeutschland produziert wird – zur stromhungrigen Industrie in Bayern muss die Energie aber erst mal kommen:
"Wenn jetzt zum Beispiel eben aus Hamburg Windstrom nach München verkauft wird und gleichzeitig, die Leitung aber dicht ist, also ein Netzengpass entsteht, dann greift der Netzbetreiber ein , dem sozusagen das Netz gehört und der verantwortlich dafür ist, dass der Strom überall ankommt und dass kein Strom ausfällt, der greift dann ein und sagt dem Windpark, entschuldige, die Leitung ist voll, fahr mal du runter und du, liebes Gaskraftwerk in München, fahr mal du hoch. Weil wir haben hier in München einen höheren Bedarf und den können wir nicht decken, weil die Leitung ist eben voll. Und das nennt man dann Redispatch und das funktioniert außerhalb des Marktes und behebt eben diese Engpässe im Netz."
Der Windpark im Norden bekommt dann eine Entschädigung für den Strom, den es verkauft hat, aber nicht versenden konnte. Gleichzeitig bekommt aber auch das Gaskraftwerk in München die Kosten, die für das Anfahren des Kraftwerks und die Stromproduktion anfallen, erstattet. Fast eine Milliarde Euro hat Deutschland im vergangenen Jahr für den Redispatch ausgegeben – 2014 waren es noch 370 Millionen Euro, sagt auch Peter Driessen vom BIHK. Bei jedem Kraftwerk, das abgeschaltet wird, nehmen die Eingriffe in den Strommarkt zu. Die Kosten zahlen Verbraucher und Industrie, erklärt er. Bei der neuen Trasse werden bayerische Firmen dagegen schon beim Bau richtig mitverdienen, hofft Driessen.
"Vom Stromtrassenbau werden bayerische Unternehmen mit Sicherheit profitieren im Tiefbau. Denn die Maßnahmen werden im Zweifel vor Ort ausgeschrieben und müssen hier auch umgesetzt werden."
Auch an den Leitungen selbst, die neu entwickelt werden müssen, könnten bayerische Firmen mitverdienen; Siemens zum Beispiel forscht an gasisolierten Übertragungsleitungen für Gleichstrom, die unterirdisch verlegt werden und große Strommengen unter der Erde übertragen könnten. Doch es gibt auch Konkurrenz aus dem Ausland, beispielsweise aus der Schweiz. Südlink ist ein Projekt mit einer Dimension, die es vorher noch nicht gegeben hat, sagt Peter Driessen. Er hofft: Dass die Firmen, die die Leitungen bauen werden, Produktionsstandorte in Bayern begründen – egal, wo der Hauptsitz ist.
"Das kann ne Chance für Bayern sein, wenn es gelingt, entsprechende Gewerbeflächen da bereitzustellen."
Verhaltener Optimismus in Bayern also. Doch trotz der Einigung auf Bundesebene ist nach wie vor nicht absehbar, in welcher Form Südlink kommt, wenn Südlink denn kommt: Es könnte durchaus sein, dass es Streit über die Trassenführung gibt, die Erdverkabelung einfach zu teuer wird, oder der Bau sich wegen Klagen der Bürgerinitiativen weiter auf ungewisse Zeit verzögert. Das Licht würde trotzdem auch nach der Abschaltung des letzten Kernkraftwerks in Bayern nicht ausgehen, da sind sich alle Beteiligten einig. Dank Strom aus dem Ausland oder konventionellen Reserve-Kraftwerken, die im Notfall angefahren werden können. Aber, das alte Problem bleibt: Es könnte teuer werden, für die Verbraucher und für die Industrie.