Der spießige Marxist
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Korrekt, penibel und bürgerlich: so haben Zeitgenossen den Philosophen Theodor W. Adorno erlebt. Ein scharfsinniger Kapitalismuskritiker in marxistischer Tradition und dann dieser Habitus - wie geht das zusammen?
"Also, ich heiße Adorno und kann nicht leugnen, dass ich ordentlicher Professor für Philosophie und Soziologie an der Frankfurter Universität bin."
Theodor Wiesengrund Adorno, der Paradephilosoph Nachkriegsdeutschlands, war ein scharfsinniger Kapitalismuskritiker in marxistischer Tradition. Was ihn zu einem Vordenker der Studentenbewegung der 60er-Jahre machte und zu einem Idol der Aufsässigen, die mit immer längeren Haaren das biedermeierliche Bundesbürgertum verstörten. Und er? Sein ganzes Auftreten passte eher zu Konrad Adenauer als zu Rainer Langhans.
Auch die Studenten sahen aus wie "kleine Regierungsräte"
"Ich hab ihn ja in meinem Frankfurter Semester in seiner gutbürgerlichen Art, allein schon in dieser peniblen Kleidung, sehr oft gesehen", sagt Volker Gerhardt, heute emeritierter Philosophieprofessor.
"Er hat eine Lebensweise gehabt, die eben in einer korrekten Unauffälligkeit bestand und vor allen Dingen auch in einer überpointierten, peniblen Art zu sprechen und zu artikulieren. Man kann aus der Lebensform, die er ganz bewusst in einem ganz offensichtlich bürgerlichen Sinn, wohnend im Frankfurter Westend, demonstriert hat, zeigen, dass er eine Distanz gewahrt hat, die sich eben in besonders korrekten Formen gezeigt hat."
In den frühen 1960er-Jahren traten allerdings auch die Studenten noch so penibel gescheitelt und krawattentragend auf, dass der Publizist Erich Kuby 1965 ihre Fähigkeit zum Protest anzweifelte: sie sähen ja alle schon aus wie kleine Regierungsräte.
"Adorno hatte in seiner Umgebung Studierende, die dann zu den führenden Sprechern des SDS gehört haben, Hans-Jürgen Krahl zum Beispiel, oder auch von den jüngeren SDS-Vorsitzenden, Frank Wolf, mit dem er zusammen Cello gespielt hatte", sagt Volker Gerhardt.
Erst Cello, dann das: Adornos studentische Fans ließen sich die Haare wachsen, bauten Barrikaden, veranstalteten Sit-Ins und hörten Beatmusik. Für den Philosophen nix als von der Kulturindustrie befeuerte Regression.
"Was gegen die Beatles zu sagen ist, ist ... ganz einfach das, dass das, was diese Leute bieten, und womit überhaupt die Massenkultur, die dirigistische Massenkultur uns überschwemmt, seiner eigenen objektiven Gestalt nach etwas Zurückgebliebenes ist."
"Und viele haben ihm dann vorgeworfen, dass er diese Form des Lebens dann nicht nur in Frankfurt am Kettenhofweg realisiert hat, sondern in Wiesbaden im Kurhotel und im Kurgarten, und er eben dort das angenehme Leben eines bürgerlichen Daseins, möglicherweise auch noch mit leichtem feudalen Abhub, genossen hat", sagt Volker Gerhardt.
Willkommen, Herr Professor, im Grand Hotel Abgrund.
Die Distanz zu wahren, ging ihm über alles
"Distanz von Praxis ist allen anrüchig. Beargwöhnt wird, wer nicht zupacken, nicht die Hände sich schmutzig machen will. ... Man soll mitmachen. Wer nur denkt, sich selbst herausnimmt, sei schwach, feige, virtuell ein Verräter." So Adorno in einem seiner letzten Rundfunkvorträge 1969.
"Darin haben manche einen Widerspruch gesehen", sagt Volker Gerhardt. "Ich sehe darin den Versuch, eine Ahnung von Distanz gegenüber den Lebensformen deutlich zu machen, die für ihn wichtig war. Indem man einfach durch Überkorrektheit und Zeichen einer gewissen Formalität die Nähe, das Aufgehen in den Verhältnissen zu vermeiden sucht."
Mancher Philosophenkollege Adornos gab sich da lockerer.
"Ich kann mich erinnern an eine Diskussion in Frankfurt - es kam Ernst Bloch aus Tübingen nach Frankfurt", so Gerhardt. "Und es gab kein besonders herzliches Verhältnis zwischen denen ja aus einer gemeinsamen marxistischen Tradition kommenden Denkern. Und während Ernst Bloch utopisch-weltumarmend immer von den Freunden Max, Horkheimer, Max und Theodor sprach, blieben beide Vertreter der Kritischen Theorie immer bei 'Herr Bloch hat eben gesagt'. Da konnte man sehen, wie aus dem Umgang mit ganz bestimmten Formen noch ein Moment der Distanz zu erkennen war – und das, würde ich sagen, ist ein Anzeichen, dass man nicht so unmittelbar aufgehen möchte in den Verhältnissen, um auf diese Art und Weise den Bewegungsspielraum der Kritik anzuzeigen."
Der 68er-Protest als "scheinhafte Fassadenaktion"
Die Aufforderung der Studierenden, jetzt gefälligst in die Praxis überzugehen und das immer ausgefeilter beschriebene Unheil auch mal zu bekämpfen, empfand Adorno als Zensur, als Einschränkung der Denkfreiheit:
"Demgegenüber ist der kompromisslos kritisch Denkende, der weder sein Bewusstsein überschreibt, noch sich terrorisieren lässt, zu handeln, in Wahrheit der, welcher nicht ablässt. (...) Wer denkt, ist – in aller Kritik – nicht wütend. Denken hat die Wut sublimiert."
Das Denken vermag die Wut zu sublimieren. Ob ein solcher Gedanke bei den aufbrausenden Studentenrebellen verfing? Viele wollten ihre Wut gerade nicht sublimieren, sondern durch die befreiende revolutionäre Tat ausleben.
Dazu Adorno: "Ich finde, dass eben doch die Tatsache, dass man uns nun quasi moralisch vorwirft, 'Ihr habt diese Ideen in den Köpfen gehabt, und die Studenten, die haben die dann verwirklicht, und ihr Schweine, ihr identifiziert euch dann nicht einmal damit', dass das doch im Grunde dem Topos entspricht, dass der Gedanke, der möglicherweise unangenehme Konsequenzen hat, nicht gedacht werden kann. Auf der anderen Seite weiß jeder, der die Kritische Theorie im Ernst kennt, dass dieser Theorie die Umsetzung in scheinhafte Fassadenaktionen ... vollkommen fremd ist."
Es gibt kein richtiges Leben im falschen, lautet Adornos inzwischen kalenderspruchreifes Diktum – also auch keinen richtigen Protest gegen die falschen Verhältnisse?
"Adorno hatte ja dann gegenüber den Studenten, die den Widerstand leisteten, ein sehr kritisches Verhältnis", sagt Volker Gebhardt. "Dass sie jetzt zu einem massiven Protest übergingen, das war ihm, bei aller Solidarität in den Zielen, doch eher befremdlich."
"Ein höchst widerliches Affentheater"
Am 31. Januar 1969 ließ Adorno sein von Studierenden besetztes Institut polizeilich räumen. Am 22. April stürmten drei barbusige Studentinnen blumenstreuend Adornos Vorlesung, und der Philosoph flüchtete mit vors Gesicht erhobener Aktentasche:
"Ich denke nicht daran, eine Zeile von dem, was ich geschrieben habe, zurückzunehmen. Ich denke aber auch genau so wenig daran, solche Aktionen, wie die, die ich erlebt habe, wie die Studenten eine Vorlesung von mir mit einem höchst widerlichen Affentheater gesprengt zu haben, in irgendeiner Weise gutzuheißen."
Das Affentheater - ist es nur ein Clash alter und neuer Lebensformen und Ästhetik? Oder auch das Unbehagen gegenüber einer allzu ungestümen Bewegung?
Adorno selbst sahe es so: "Da gibt es auf der einen Seite die Möglichkeit, dass man onkelhaft, mit sogenanntem lächelnden Verständnis, von den jungen Leuten redet... Dann gibt es jenen mir kaum weniger widerstrebenden Standpunkt des sich Anklebens an die Jungen, des Mitlaufens... - und auch damit möchte ich nicht gerne etwas zu tun haben."
Gerade das Angepasste, Unauffällige des äußeren Auftritts verschaffte dem Philosophen geistige Unabhängigkeit.
"Er hat die Form seines Auftretens, das alles überboten durch eine Intellektualität", sagt Volker Gebhardt. "Und ich würde sagen, da ist das Element der Kritik für ihn das Wesentliche gewesen und nicht die Ausfüllung von bestimmten Lebensformen."