Theologen am Ball

Rezensiert von Thomas Kroll |
Im Jahr 1954 reagierte die katholische Kirche noch verschnupft auf Herbert Zimmermanns freudig erregten Ausruf "Turek, du bist ein Fußballgott!". Jetzt dient der Ausdruck als Titel eines Buches - geschrieben von Theologen. Sie machen sich Gedanken zum Beispiel darüber, warum etwa Fußball nicht immer gerecht sei, warum die Wahrheit nicht immer auf dem Platz liege und warum es im Fußball zugehe wie "im richtigen Leben".
"Sinnloser als Fußball ist nur noch eins: Nachdenken über Fußball." Martin Walsers Sentenz reizt zum Widerspruch. Andreas Merkt, Regensburger Professor für Historische Theologie, greift den Fehdehandschuh, hier: den Spielball, auf und geht gemeinsam mit einer Schar von Kollegen zum Gegenangriff über. Fußball, so Team-Chef Merkt, ist Kult, da wollen und können Theologen mitreden.

Folglich machen sich elf Theologen und eine Theologin Gedanken um Beispiel darüber, warum etwa Fußball nicht immer gerecht sei, warum die Wahrheit nicht immer auf dem Platz liege und warum es im Fußball zugehe wie "im richtigen Leben".

Menschen gewinnen - im Lotto oder vor Gericht. Menschen verlieren - ihren Job oder einen geliebten Menschen. Großen Siegen, stellt Ulrich Kropac heraus, stehen bittere Niederlagen zur Seite. Davon weiß selbst ein erfolgsverwöhnter Verein wie der FC Bayern München ein Lied zu singen. Man denke nur an das Champions League-Finale 1999!

"Was anfänglich als Sieg erscheint, kann sich letztlich als Niederlage erweisen und umge-kehrt. ... Wie im Fußball bleibt auch im Spiel des Lebens bis zur letzten Minute Zeit, alles zu wenden, was manchmal auch auf geradezu wunderbare Weise geschieht. Fußball und Glaube: Von beiden kann man Zuversicht lernen."

Wie Kropac geht auch Kees Waaijman davon aus, dass Fußball ein komplexes und unvorhersehbares Spiel ist - "und genau dadurch ein Bild des Lebens selbst." Er möchte mit seinem Artikel vermitteln, wie Fußball zu einer spirituellen Erfahrung werden kann. Seine Einladung lautet: "Gucken wir ... Fußball. Dabei kann man Spiritualität genießen."

Dennoch kommt der Karmelit und Professor für Spiritualität nicht ohne begleitende, erschließende Worte aus. Dabei verweist er auf die Bibel. Im alten Israel dienten Beispiele aus dem alltäglichen Leben, um Kinder in die Spiritualität der Weisheit einzuführen. Das Buch der Sprüche bietet vielfältige Belege. Auch Jesus griff bei seinen Gleichnissen auf klare Bilder aus seiner Lebenswelt zurück.

Warum heute nicht Bilder und Metaphern nutzen, die der Fußball bietet? Der Holländer erinnert in diesem Zusammenhang an seinen Landsmann Johan Cruyff, den Ausnahmefußballer der 70er Jahre. Neigen mittlerweile junge Fußballer dazu, immerfort zeigen zu wollen, was sie können, mag man im Blick auf Cruyff erkennen, dass Fußball die Kunst ist, sich zu bewegen, Raum frei zu machen und zur rechten Zeit da zu sein. (Für letzteres werden Deutsche auch Gerd Müller anführen können.) Anders gewendet:

"Loslösen ist das Schlüsselwort der Spiritualität. Nicht kitten und kleben, nicht gipsen und kleistern, sondern wegbewegen, den Raum frei machen. Das ist in der Erziehung so und auch in der Liebe, am Arbeitsplatz und in der Kirche. Nicht helfen, sondern wegbewegen und Raum frei machen."

Freilich wird man auch hier differenzieren müssen: Es gibt eine Zeit zum Tackling und eine Zeit zum Laufenlassen, "eine Zeit zum Umarmen und eine Zeit, die Umarmung zu lösen" (Koh 3,5b). Alles hat seine Zeit, lautet denn auch eine der theologischen Grundüberlegungen, die fünfmal den Gedankenfluss im Beitrag von Erwin Dirscherl unterbrechen. Der Regensburger Dogmatik-Professor denkt über die (Tor-)Chance nach und fragt im Zuge dessen, warum wir, so ein Grunddatum menschlicher Existenz, "immer erst im Nachhinein alles besser wissen."

Jüngst hat der Nachfolger auf dem Ratzinger-Lehrstuhl einen Grundriss Theologischer Anthropologie in Buchform vorgelegt mit dem Titel: "Die Entschiedenheit des Menschen angesichts des Anderen." Ein Schelm, wer da an einen einschussbereiten Fußballstürmer vor dem Torwart denkt.

Zum Autoren-Team zählt auch Peter Scheuchenpflug, der angesichts voller Stadien und leerer Kirchen der Frage nachgeht, was die Kirchen vom Fußball lernen können. In seinen Augen haben, verkürzt gesagt, die Großkirchen das Monopol der Sinnstiftung verloren. Auch was die Rhythmisierung des Lebens betrifft, was Festkultur, Lebensstil und -gestaltung anbelangt, ha-ben die etablierten Kirchen die Pool-Position nicht mehr inne:

"Der Samstag ist ab dem frühen Nachmittag dem Fußballgott geweiht; der Sonntagnach-mittag gehört den Autorennen mir ihrer hypnotisierenden Wirkung."

Wie dem begegnen? Das Konkurrenzverhältnis der 50er und 60er-Jahre wiederbeleben? Scheuchenpflug plädiert für einen offenen Dialog der Kirchen mit dem Kulturphänomenen Fußball. Dadurch könnten die etablierten Kirchen Anstöße für neue Formen symbolischen Handelns gewinnen sowie Impulse für die Gestaltung von Gottesdiensten.

"Solange die emotionale Anrührung im Gottesdienst nur im innersten Herzenskämmerlein aufglimmen darf und die feuchten Augen der Schwiegermutter bei Trauungen und der leichte Gänsehautschauer beim Absingen von 'Stille Nacht' das Maximum an öffentlicher Regung darstellen, hat Bach gegen Beckenbauer und Palestrina gegen Pelé keine Chance, verhallt das 'Erhebet die Herzen' im weiten Kirchenschiff, wohingegen bei 'La Ola' keiner am Sitz kleben bleibt."

Eingangs des Buchs wird Martin Driller zitiert, der lange Zeit für den FC Nürnberg spielte: "Fußball ist wie eine Frikadelle: Man weiß nie was drin ist." Beim Buch "Fußballgott" ist es eine Mischung aus bekannten Zutaten und Zitaten. Hinzu kommen, um im Bild zu bleiben, manch exotische, ungewohnte und wohlschmeckende Gewürze. Anders gewendet: Die Lektüre des gut zweihundertseitigen Taschenbuchs mit dem Untertitel "Elf Einwürfe" gleicht einem Fußballspiel. Mal hat es den Anschein, das Spiel tröpfelt so dahin, der Autor hält den Ball flach. Mal gewinnt man den Eindruck, das Spiel wird intensiviert - und es ist eine Wonne, als Leser dabei zu sein.


Andreas Merkt (Hg.): Fußballgott. Elf Einwürfe
Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2006, 220 Seiten