Theologie

Die Faszination des Islam entdecken

Von Ita Niehaus |
Er hatte es sich in Heidelberg gewünscht, doch entstanden ist das Zentrum in Tübingen: Erdal Toprakyaran ist dort seit einem Jahr Juniorprofessor. Und er bescheinigt ihm eine glänzende Zukunft.
September 2013. Die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart veranstaltet eine Tagung zum Thema "Muslime in Baden-Württemberg." Selbstbewusst steht Erdal Toprakyaran am Rednerpult.
Vor fast 4 Jahren war der islamische Religionshistoriker das letzte Mal in der Akademie zu Gast. Damals saßen auf dem Podium die Direktoren der Universitäten Tübingen, Freiburg und Heidelberg und rührten die Werbetrommel. Sie alle wollten den Zuschlag erhalten, um ein Zentrum für Islamische Theologie aufzubauen.
Erdal Toprakyaran drückte Heidelberg die Daumen. Denn dort hatte er Islamwissenschaften und Ethnologie studiert und 2005 auch promoviert. Als Tübingen schließlich das Rennen machte, war Erdal Toprakyaran zunächst enttäuscht.
„Aber damals wusste ich natürlich nicht, dass ich mich dann später erfolgreich in Tübingen bewerben würde. Von daher hat es für mich ein gutes Ende genommen. Und ich bin jetzt ganz zufrieden, dass es jetzt doch Tübingen geworden ist."
Eine große Chance
Seit über einem Jahr ist der 39-jährige Juniorprofessor für Islamische Geschichte und Gegenwartskultur nun Direktor des Tübinger Zentrums für Islamische Theologie. Im Aufbau der Islamischen Theologie an deutschen Universitäten sieht er eine große Chance. Nicht nur für sich selbst.
„Es war ja wie ein Wunder, dass auf einmal zum ersten Mal ein Land, das nicht zur islamischen Welt gezählt wird, beginnt, islamische Theologen auszubilden. Und dass Deutschland das gemacht hat, finden wir ja natürlich toll. Das macht uns ein stückweit stolz, dass in unserem Land das geschieht."
110 Studierende haben sich bisher am Tübinger Zentrum eingeschrieben, um ihren Bachelor in Islamischer Theologie zu machen oder um Religionslehrer zu werden. Ein Masterstudiengang wird noch entwickelt, auch die Professuren sind noch nicht vollständig besetzt. Es ist eben Pionierarbeit, sagt Erdal Toprakyaran. Der kräftige Mann wirkt freundlich, konzentriert und er wählt seine Worte mit Bedacht. Denn er weiß: Islamische Theologen und Theologinnen in Deutschland werden genau beobachtet.
„Wir beneiden oft andere Wissenschaftler, die einfach nur ihre Forschung machen und mit all diesem Politischen gar nichts zu tun haben. Die Hälfte fast unseres Tagesgeschäfts hat irgendwas mit Politik, Gesellschaft, etc. zu tun, die andere Hälfte mit der Verwaltung. Da bleibt leider wenig Zeit für Forschung. Und das wäre eigentlich so wichtig, weil wir alle relativ jung sind und noch viel machen müssen."
Den interreligiösen Dialog fördern
Das Zentrum arbeitet eng mit der evangelischen und katholischen Theologischen Fakultät der Universität Tübingen zusammen. Ebenso mit der von Hans Küng gegründeten Stiftung Weltethos, die den interreligiösen Dialog fördert.
„Das Interreligiöse könnte ein Merkmal - wobei auch die anderen Standorte interreligiös arbeiten. Aber ich denke, Tübingen, durch die Stiftung Weltethos und insgesamt diese interreligiöse Atmosphäre in Tübingen, könnte einen Tick mehr diesbezüglich beitragen. Das zweite ist vielleicht das historische. Weil viele unserer Mitarbeiter einen historischen Ansatz pflegen, das wird aber die Zeit zeigen."
Aufgewachsen ist Erdal Toprakyaran in Grünstadt in der Pfalz. Seine Eltern stammen aus der Türkei. Der Vater war Kraftfahrer, die Mutter Hausfrau. Erdal Toprakyaran bezeichnet seine Eltern als "durchschnittlich religiös." Er selber wandte sich als Jugendlicher zunächst von seinem Glauben ab.
„Es war eher das Gesamtbild, dass ich die Prediger auch gar nicht mehr verstanden habe. Sie sprechen meistens türkisch. Dann auch diese vielen Verbote, die manchmal in Moscheen zu streng vermittelt werden. Dass man sagt, die Freundin darfst du nicht haben, und Alkohol sowieso. Dass man dann als junger Mann denkt, muss das jetzt alles sein. Heute hat sich das ein bisschen gebessert, aber das war vor zehn, 20 Jahren ein bisschen strenger alles."
Fasziniert von islamischer Mystik
Bald jedoch entdeckte er die Faszination des Islam. Traditionen wie das gemeinsame Gebet, den Ruf des Muezzin oder das Zusammensein an religiösen Feiertagen. Und:
„Dass ich gesehen habe, diese tanzenden Derwische. Hab gedacht, sieht ja toll aus, aber warum machen die das? Und fing dann an, mich mit islamischer Mystik zu beschäftigen. Und dort habe ich dann die schöne poetische Seite des Islam mehr und mehr entdeckt. So hat sich das ergeben, dass ich mich doch nicht von meiner Religion distanziert habe, sondern diesen Weg weitergegangen bin."
Nach wie vor ist die islamische Mystik ein Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Arbeit. Erdal Toprakyaran versteht sich als Religionshistoriker. Ihn interessiert besonders der geschichtliche Kontext der Offenbarungen im Koran. Die häufig geäußerte Kritik von Vertretern Islamischer Verbände, an den neu gegründeten Zentren in Deutschland gebe es zu wenig gut ausgebildete Theologen, teilt er nicht.
„Es hat Vorteile, weil diese Leute, die aus der Islamwissenschaft kommen, aus der Religionswissenschaft, neue Ideen und Methoden mitbringen. Und wenn es eine gesunde Mischung gibt mit Leuten, die tatsächlich Islamische Theologie in einem islamischen Land studiert haben, und in Deutschland würde ich im Moment sagen, haben wir so eine Mischung. Solange alle ihre Arbeit ernst nehmen, offen sind, ist das eine große Chance."
Auch die Angst, in Deutschland könne so etwas wie ein "Staatsislam" oder ein "Islam light" entstehen, erscheint ihm unbegründet.
Anfragen aus der ganzen Welt
„Bisher spüren wir überhaupt keinen Druck, keine Einflussnahme von außen. Wir sind völlig frei in unserer Forschung, Lehre. Von daher ist unsere Zielsetzung, dass gute Theologie, gute Wissenschaft betrieben wird. Ohne dass wir uns überlegen, wie nah oder wie fern wir vom Staat oder sonstigen Gruppierungen sind."
Auslandssemester an den traditionsreichen islamischen theologischen Fakultäten in der Türkei etwa oder in Ägypten sind in Tübingen fester Bestandteil des Studiums. Aber auch das Interesse der Islamischen Länder an den deutschen Zentren für Islamische Theologie ist groß. Es finden gemeinsame Tagungen statt, die Wissenschaftler tauschen sich aus. Und: Viele Nachwuchswissenschaftler möchten gerne an den deutschen Zentren ihren Master machen oder promovieren. Auch Erdal Toprakyaran bekommt fast täglich Anfragen aus der gesamten arabischen Welt.
„Es sind viele auch, die Auslandserfahrung haben und dann zu uns kommen, überrascht, wie freundlich die Dozenten sind, wie viel Zeit wir uns nehmen. Dass wir ihnen nicht sagen, sie müssen jetzt daran glauben oder diese Position einnehmen, sondern wir überlassen es den Studierenden, alle Positionen zu erforschen und dann für sich zu entdecken, was für sie vernünftiger ist, besser. Von daher sind sie auch sehr überrascht, wie viele Freiheiten sie hier bekommen."
Die Berufsaussichten sind gut
Um die Zukunft der Tübinger Absolventen macht sich Erdal Toprakyaran keine Sorgen. Die Berufsaussichten für islamische Religionslehrer sind gut, künftige islamische Theologinnen und Theologen können zum Beispiel als Wissenschaftler oder als Imame arbeiten.
„Die lassen sich natürlich ein bisschen auf ein Abenteuer ein. So viele Theologen wird man vielleicht nicht brauchen, aber ich denke, da gibt es schon viel Potenzial in der deutschen Gesellschaft, weil viele Migranten jetzt angekommen sind, ihre eigenen Geschäfte haben. Und dann auch manchmal Interesse haben, jemanden einzustellen, der Kompetenzen auf dem Gebiet des Islam hat. Sehr gefragt ist momentan Islamic Banking und Finance, das ist ein riesiger Arbeitsmarkt."
Und wie sieht Erdal Toprakyaran die Perspektiven des Tübinger Zentrums für Islamische Theologie?
„Es wäre schon toll, wenn in zehn Jahren dann wir in Tübingen einfach die Anerkennung der Kollegen genießen würden, wo man dann wie selbstverständlich zusammenarbeitet und die Akademisierung des Islam in Deutschland vorantreibt."
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