Sandra Konrad: "Das beherrschte Geschlecht. Warum sie will, was er will"
Piper Verlag, 2017
384 Seiten, 24 Euro
"Wenig Gefühl für die eigenen Grenzen"
"Das beherrschte Geschlecht" hat die Psychologin Sandra Konrad ihre Analyse weiblicher Sexualität betitelt. Frauen seien so sehr daran gewöhnt, dass ihre Grenzen verletzt würden, dass sie dies einfach hinnähmen. Die Folge: Beim Sex macht sie oft, was er will und unterdrückt ihre eigenen Bedürfnisse.
Sexualität ist mehr als nur Sex – es geht um Rollenzuschreibungen, Regeln und Rechte. Frauen haben sich im 20. Jahrhundert eine selbstbestimmte Position hart erkämpft. Aber: Wie frei, gleichberechtigt und sexuell selbstbestimmt sind Frauen heute, im 21. Jahrhundert wirklich? Hat weibliche Sexualität sich emanzipiert oder lediglich maskulinisiert? Und wie viel wissen Frauen wirklich über ihre eigene sexuelle Identität?
Dieser Frage ist die Hamburger Psychologin und Sexualtherapeutin Sandra Konrad nachgegangen und entlarvt in ihrem Buch "Das beherrschte Geschlecht. Warum sie will, was er will" anhand der Geschichte weiblicher Sexualität die bis heute wirksamen Geschlechterklischees. Dabei verbindet sie psychohistorische Erkenntnisse mit aktuellen Forschungsergebnissen aus der Sexualwissenschaft und zahlreichen Interviews mit jungen Frauen.
Große Diskrepanz zwischen Wunsch und Realität
Konrads Fazit: Außerhalb inniger, intimer Liebesbeziehungen herrsche eine große Diskrepanz zwischen dem, was Frauen nach außen hin behaupteten – Selbstbestimmtheit beim Sex – und dem, was sie dann wirklich im Schlafzimmer bei Gelegenheitssex tun: nämlich in den meisten Fällen, was er will.
Warum ist das so? Die Geschichte weiblicher Sexualität und die Art, wie viele Frauen durch ihre eigenen Mütter sozialisiert worden seien, wirke sehr stark, sagt Konrad.
"Was passiert ist in der Geschichte, ist, dass weibliche Lust sehr stark von Männern diktiert wurde und bei Abweichung auch pathologisiert wurde. Das heißt: Die Frau, die zu lustvoll erschien – dem Mann jedenfalls – die wurde als nymphoman beschimpft. Die Frau, die nicht lustvoll genug war, die wurde dann eher als frigide pathologisiert."
Arena für der Machtverhältnisse
Viele Männer hätten immer noch Angst vor selbstbewussten Frauen, die klar sagten, was sie wollten und was nicht. Man könne durchaus sagen, dass Sex eine Arena für das Ausfechten der Machtverhältnissen sei. Frauen stellten hier oft ihre eigenen Bedürfnisse hintenan. Warum das so sei, zeige auch die #MeToo-Debatte:
"...wie sehr Männer ihre Macht missbrauchen und wie sehr sie die Grenzen von Frauen verletzen. Und wie sehr Frauen daran gewöhnt sind, dass ihre Grenzen verletzt werden. Das ist auch etwas, das mich in den Interviews sehr erschreckt hat: Dass Frauen mir erzählt haben, wie oft sie über ihre Grenzen gegangen sind – und Dinge mitgemacht haben, die überhaupt nichts mehr mit ihrer eigenen Lust und dem, was sie tun wollten, zu tun hatten. Sie haben das nicht für sich gemacht, sondern für den Mann. Oft haben Frauen wenig Gefühl und wenig Gespür für ihre eigenen Grenzen."
Eine "gute" Frau eignet sich den maskulinen Blick an
Als problematisch stuft Konrad im Zusammenhang mit der #MeToo-Debatte ein, dass es oft erschreckend wenig Solidarität zwischen Frauen gebe. Auch hier sieht die Psychologin als tiefere Ursache, dass Frauen über sehr lange Zeit immer wieder verdeutlicht worden sei, sie seien nur dann "gute" Frauen, wenn sie sich den maskulinen Blick zu eigen machten und sich damit "auf die Seite der männlichen Macht" stellten.
Der nach wie vor existierende Geschlechterkampf ließe sich nicht "mal eben so" beenden. Und:
"Wir sollten uns weniger als Männer und Frauen begegnen, sondern als Menschen."
(mkn)
(mkn)
Disclaimer: Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.