Ungefilterter Rechtsextremismus
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Das Stück "Die Empörten" über Rechtspopulismus von Erfolgsautorin Theresia Walser bei den Salzburger Festspielen scheitert kläglich, urteilt unser Kritiker. Fremdsprachige Zuschauer bekämen ungefiltert deutschen Rechtsextremismus vorgesetzt.
Die beiden großen Koproduktionen mit deutschen Stadt- und Staatstheatern zum Finale der Salzburger Festspiele klingen stark nach aktueller Politik – "Die Empörten", das neue Stück von Theresia Walser, als Salzburger Auftragsarbeit realisiert mit dem Team um Schauspiel-Chef Burkhard C. Kosminski am Staatstheater Stuttgart (und dort demnächst auch im Repertoire), versteckt im Outfit einer ziemlich abstrusen Komödie Thesen und Theorien über die finstre Welle des Rassismus, Nationalismus und Faschismus neuester deutscher Bauart; Ferenc Molnárs klassischer "Liliom", geschrieben vor exakt hundert Jahren und Ungarns wichtigster Export auf europäischen Bühnen, wird von den aktuellen ungarischen Bearbeitern, Regisseur Kornel Mundruczó und Dramaturgin Kata Weber, fürs Thalia Hamburg in Hamburg derart eingeengt, dass das Stück wie ein Beitrag zur "#MeToo"-Debatte wirkt.
Bei Walser tobt der rechte Mob in deutscher Provinz und vor lockend-touristischer Voralpen-Kulisse. In den Wortmeldungen einer Provinzpolitikerin, die sich selber als (wieder mal) von der Vorsehung zur Retterin von Deutschtum, Volk und Abendland berufen stilisiert, hat Theresia Walser ganz viel vom allerwiderlichsten, paranoid-populistischen Gedankenmüll angehäuft; in so gruseliger Überdosierung, dass ernsthaft Sorge aufkommen muss um die internationalen Gäste beim Festival, die ja womöglich nur die englischen Übertexte lesen und wenig von der (natürlich beabsichtigten) Entlarvungsstrategie der Autorin mitbekommen. Die Japanerin oder der Amerikaner, die das Theater in Salzburg verlassen, könnten durchaus geschockt sein von so viel Nazipalaver im deutschen Theater.
Und dass Walser dieser fürchterlichen Politschranze (die nur ein bisschen Alice Weidel ähnelt) viel komplizierten biografischen Hintergrund verpasst, hilft gar nicht – die Wort- und Satzkaskaden aus Fremdenhass und biodeutscher Idiotie bleiben mit und ohne Hintergrund Grauen pur. Eine tapfere Bürgermeisterin wehrt sich gegen die Attacken aus deutschtümelnder Unterwelt, hat aber matte Chancen – zum einen, weil sie die kleine Gemeinde durch überkandidelte Wirtschaftsprojekte in Schieflage administriert hat, zum anderen, weil mitten im Wahlkampf der eigene Stiefbruder (ein Pizzabote) in der Fußgängerzone Amok gefahren ist und einen muslimischen Mitbürger getötet hat. Um nun den Ruf der eigenen Familie (und den eigenen Kopf bei der Wahl) zu retten, klaut Frau Bürgermeisterin die brüderliche Leiche mit Hilfe des anderen Bruders und versteckt sie in einer historischen Kiste, die im Rathaus steht. In der lag schon Luther – und jetzt eben die Leiche des (wie wir erfahren) stark suizidalen Täters.
Brodeln im braunen Sud
Den lokalen Polit-Veteran im Rathaus, Berater der Noch-Bürgermeisterin und zugleich Redenschreiber der Rechtsaußen-Frau, will Walser als zentrale Figur verstanden wissen; und Andre Jung spielt sie auch so, so fein und filigran das eben möglich ist in diesem Text. Er ist der Zerrissene, auch in sich selbst fühlt er all den menschenverachtenden und fremdenfeindlichen braunen Sud brodeln, der in Typen wie der Politikerin hervorbricht. In uns allen, legt Frau Walser nahe, lauert der neue Faschismus – ob derlei Relativismus ausreicht, um die Brut unter Kontrolle zu halten, darf, ja muss bezweifelt werden. Und wie viel Raum sollte ihm das aufklärerische deutsche Theater einräumen? Die Stuttgarter Bühne hat ja zuletzt gerade hirnrissige Polit-Angriffe von Rechts abwehren müssen. Wie viel Entlarvung überhaupt noch möglich ist mit einem Text wie dem von Walser, muss sich in Stuttgart erweisen.
Der Star-Effekt wirkt übrigens nur bedingt − vielleicht bei Andre Jung, bei Caroline Peters eher nicht. Ihre Bürgermeisterin könnte auch im Eifel-Dorf Hengasch amtieren, wo die Schauspielerin viele Jahre lang als Fernsehpolizistin tätig war. Und Stuttgarts Schauspiel-Chef Burkhard C. Kosminski inszeniert Walser viel zu brav und unmutig mit dem Stuttgarter Ensemble, schlägt keine Erkenntnisschneisen durch Walsers krudes Konstrukt.
Der ungarische Film- und Theater-Regisseur Kornel Mundruczó geht mit dem "Liliom" des Landsmanns Monlnár deutlich gröber um; und das ist gut so. Die stark volkstheaterhafte Gemütlichkeit hat er mit Dramaturgin Kata Weber komplett eliminiert in der Geschichte vom Ausrufer auf dem Rummelplatz, dem alle Frauen nachlaufen, jüngere und ältere; stattdessen lädt er die Fabel mit regelmäßigen Zwischenspielen vor dem eisernen Vorhang auf, in denen dem vor den Toren zur Ewigkeit wartenden Tunichtgut moralisch der Prozess gemacht wird nach Lilioms Selbstmord. Und dieses Tribunal ist munitioniert mit allerlei Argumenten wie eben in der "#MeToo"-Debatte handelsüblich. So aber wird Molnárs soziale Fabel reduziert auf die unumstößliche Tatsache, dass die Hauptfigur überhaupt nicht mit Frauen umgehen kann; mit Männern übrigens auch nicht.
Was bedeuten die Greifarme?
Das Hamburger Thalia-Ensemble um Jörg Pohl agiert kraftvoll kollektiv. Aber zur Hauptattraktion werden zwei computergesteuerte Greifarme rechts und links auf der Bühne, die live die Szenerien umräumen können. Der Effekt ist stark – hat er aber auch etwas zu bedeuten, etwa mit Blick auf Technisierung und Entmenschlichung der Welt in diesen Zeiten? Schwer zu sagen.
Das Ende ist hoffnungsvoll, im Original und in der aktuellen Bearbeitung – Liliom darf noch einmal zurück auf die Welt, trifft die Frau, mit der alles besser werden sollte (und mit der nichts besser wurde), und die Tochter, die er mit ihr hatte: ein Mädchen aus dem "Eisenhans"-Projekt des Thalia Theaters (das Menschen mit Behinderung versammelt) bringt dem untoten Liliom Seilspringen bei. Dieses Bild bleibt – und ist vielleicht das politischste unter den vielen Salzburger Oberflächen.