Berliner Staatsoper Unter den Linden

    Christian Thielemann beerbt Daniel Barenboim

    Der Dirigent Christian Thielemann dirigiert konzentriert, im Vordergrund sind mehrere Köpfe von Musikern zu sehen.
    Christian Thielemann in seinem Element: Wird er wie Daniel Barenboim auch eine Ära in Berlin prägen? © picture alliance / dpa / Roman Zach-Kiesling
    Der Nachfolger von Daniel Barenboim steht fest: Christian Thielemann ist der neue Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. Er kennt die Staatskapelle bereits gut.
    Der Dirigent Christian Thielemann wird Nachfolger von Daniel Barenboim als Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. Barenboim hatte das Amt Anfang des Jahres aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt. Der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) gab die Entscheidung über die Neubesetzung des Postens auf einer Pressekonferenz bekannt. Thielemann werde das Amt 2024 übernehmen, kündigte Chialo an.
    Thielemanns Name war schon länger in der Nachfolgedebatte gehandelt worden – er war bereits bei einer Neuinszenierung von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ an der Staatsoper für Barenboim eingesprungen und hatte diesen auch während einer Asientour der Staatskapelle vertreten.
    Die beiden Dirigenten kennen sich seit Jahrzehnten, Thielemann war einst der Assistent von Barenboim. In der Diskussion um dessen Nachfolge hatte Thielemann selbst immer wieder auf seinen bis 2024 laufenden Vertrag in Dresden verwiesen, wo er die dortige Staatskapelle leitet. Sein Vertrag in Dresden war nicht verlängert worden.
    Thielemann begann seine Karriere als Assistent von Herbert von Karajan und war in der Vergangenheit unter anderem Generalmusikdirektor an der Deutschen Oper Berlin und in gleicher Funktion bei den Münchner Philharmonikern aktiv. Auch als künstlerischer Leiter der Osterfestspiele in Salzburg zeichnete er sich aus.
    Im Jahr 2000 debütierte Thielemann bei den Bayreuther Festspielen und prägte dort mehr als zwei Jahrzehnte lang das musikalische Geschehen. In 22 Jahren leitete er 185 Aufführungen – zwischenzeitlich war er auch Musikdirektor der Festspiele.

    Bayreuth: mehr als nur eine Arbeitsstätte

    Bayreuth war immer mehr als nur eine Arbeitsstätte für Thielemann. Der langjährige, 2010 verstorbene Festivalleiter Wolfgang Wagner war für ihn eher Ziehvater als Chef. Der Dirigent gilt inzwischen als einer der besten Wagner-Interpreten der Welt und hat - mit einer Ausnahme im Jahr 2011 - in den vergangenen zwei Jahrzehnten kein Festspiel-Jahr ausgelassen. Er ist erst der zweite Dirigent nach Felix Mottl (1856-1911), der alle zehn in Bayreuth aufgeführten Wagner-Opern auf dem Grünen Hügel dirigiert hat.
    Die Romantik ist Thielemanns Steckenpferd: Neben den Wagner-Dirigaten machten ihn auch Richard Strauss-Interpretationen berühmt, sein Beethoven-Zyklus mit den Wiener Philharmonikern gilt als legendär. Er hat eine Schwäche für Preußen und gilt politisch als zumindest konservativ.
    Mit seinem auffällig langen Dirigentenstab sticht Thielemann die Takte von unten an, wenn er der Musik Nachdruck verleihen will. In lyrischen Passagen sieht es hingegen aus, als wolle er sich ins Orchester hineinlegen – so weit beugt er sich mitunter vor. Seine Dirigiertechnik ist eigenwillig, aber effektiv.
    Seit diesem Jahr ist Thielemann nun nicht mehr in Bayreuth dabei – und tritt jetzt in die Fußstapfen eines anderen Stardirigenten.
    Wird Thielemann in Berlin wie Barenboim ein Ära begründen können? Unser Musikredakteur Rainer Pöllmann hat Zweifel. In rein musikalischer Hinsicht sei die Entscheidung für Thielemann nachvollziehbar, meint er: "Thielemann ist ein großartiger Dirigent – jedenfalls für das schmale Repertoire, das ihn überhaupt interessiert, nämlich die deutsche Spätromantik."

    Keine Entscheidung für Aufbruch und Neues

    Für die Liebhaber und Genießer „exzellenter“ Klassik sei der Posten des Generalmusikdirektors an der Staatsoper damit gut besetzt. Doch der "Traditionalist" Christian Thielemann stehe auch für ein Weiter-so, "für den Status Quo in einer Klassik-Szene, die selbstbewusst ist und sich ihrer selbst und ihres Publikums sicher glaubt". Ein Zeichen für Aufbruch, Wagemut und Neues sei die Entscheidung für den Dirigenten hingegen nicht, meint Pöllmann.
    Der Musikredakteur von Deutschlandfunk Kultur erinnert außerdem daran, dass Thielemann die Deutsche Oper Berlin und die Münchner Philharmoniker "mit großem Krach" verließ. Und seine Zeit an der Semperoper in Dresden ende ebenfalls keineswegs harmonisch, wie auch schon in Bayreuth. "Es braucht ein gewisses Maß an Optimismus, zu erwarten, dass es jetzt an der Lindenoper alles anders läuft", sagt Pöllmann.

    Mit zahlreichen Preisen geehrt

    Allerdings: Auch Thielemanns Vorgänger in Berlin galt als nicht einfach. Daniel Barenboim wurde mit zahlreichen Preisen geehrt, geriet aber auch wegen seines autoritären Führungsstils in die Kritik. Er war wohl immer ein besserer Musiker als Manager: "Musik ist sein Leben. Er ist Musik“, sagte die Geigerin Anne-Sophie Mutter über den Dirigenten.
    Barenboim war Anfang der 1990er-Jahre Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper geworden. Er sollte eine Ära in Berlin prägen. Als Musiker war er auch ein politischer Brückenbauer. Gemeinsam mit dem US-palästinensischen Literaturwissenschaftler Edward Said gründete er 1999 das "West-Eastern Divan Orchestra", in dem israelische und palästinensische Musiker gemeinsam spielen.
    Daniel Barenboim dirigiert ein Orchester: Generalprobe für das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 2022, das am 1.1.2022 stattfand.
    Trat aus gesundheitlichen Gründen zurück: Daniel Barenboim.© picture alliance / First Look / picturedesk.com / Roman Zach-Kiesling
    Die Zeit rund um seinen 80. Geburtstag im vergangenen November hätte voller Festakte und Musik sein sollen, doch seit einer Operation an der Wirbelsäule hatte Barenboim zahlreiche Konzerte absagen müssen. Im Oktober 2022 hatte er auf Twitter bereits einen mehrmonatigen Rückzug angekündigt und erklärt, bei ihm sei eine "schwere neurologische Krankheit" diagnostiziert worden.
    Im Januar 2023 gab Barenboim dann schließlich seinen Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen bekannt. Er könne nicht mehr die Leistung erbringen, die zu Recht von ihm erwartet werde, erklärte er zur Begründung. Einige Monate später wurde er zum Ehrenbürger Berlins ernannt.

    ahe, UF, dpa, afp
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