Thierse: Gegen eine Denkmalsinflation am Bundestag

Moderation: Jürgen König |
Ein Entwurf des Münchner Architekten Andreas Meck – eine an klassischen Vorbildern geschulte Anlage – gilt laut "FAZ" als Siegerentwurf für das geplante Bundeswehr-Mahnmal, das an die 2600 getöteten Soldaten seit ihrem Bestehen erinnern soll. In der Diskussion um einen angemessenen Ort plädiert Wolfgang Thierse für das Verteidigungsministerium im Bendlerblock.
Jürgen König: Es war im Flugzeug, kurz vor Weihnachten 2005, auf dem Rückflug von Afghanistan nach Deutschland, da hatte Bundesverteidigungsminister Jung eine Idee. Ein Ehrenmal zu errichten für die über 2.600 ums Leben gekommenen Soldaten und zivilen Mitarbeiter der Bundeswehr. Und der Ort für dieses Ehrenmal, schrieb Franz Josef Jung später im Berliner "Tagesspiegel", dieser Ort könne nur der Bendlerblock sein, der Sitz des Verteidigungsministeriums, der repräsentative Ort der Bundeswehr in Berlin. Andere wiederum meinten, das Ehrenmal solle stattdessen lieber in der Nähe des Parlamentes, also am Berliner Reichstag, stehen. Schließlich sei der Deutsche Bundestag das allein ausschlaggebende Verfassungsorgan, um über die Entsendung von Bundeswehreinheiten zu befinden. Zu einem Gespräch über das geplante Ehrenmal der Bundeswehr begrüße ich Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Tag, Herr Thierse!

Wolfgang Thierse: Guten Tag!

König: Wo sollte das Ehrenmal stehen?

Thierse: Ich halte den Vorschlag von Verteidigungsminister Jung für ganz vernünftig, dieses Denkmal im Bendlerblock, also im Bereich des Verteidigungsministeriums, anzusiedeln. Das ist ein Ort, wo wir jedes Jahr der Widerständler gegen den Nationalsozialismus gedenken, der Offiziere des 20. Juni, und ich finde, das ist kein schlechter Traditionszusammenhang, in den man ein solches Denkmal stellen kann.

König: Nun ist das ein, zwar ein öffentlich zugänglicher, aber doch ein Ort, der etwas abseits der großen Öffentlichkeit sich befindet. Ich meine, das Vietnam Memorial – sagte gestern Peter Steinbach, der Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand bei uns im Programm – das Vietnam Memorial stünde ja auch nicht im Innenhof des Pentagon. Meinen Sie nicht, dass ein Ort, der mehr Öffentlichkeit evoziert, angemessener wäre?

Thierse: Also, der Vergleich mit dem Vietnam Memorial ist ein bisschen fatal. Die Bundeswehr hat keinen Krieg geführt, vor allem keinen so problematischen Krieg, wie es der Vietnamkrieg war. Wir reden über ein Denkmal für die Angehörigen der Bundeswehr, die in unterschiedlichen Einsätzen – die niemals Kriegseinsätze waren – gestorben sind auf höchst unterschiedliche Weise, durch Unglücksfälle oder durch terroristische Attacken wie zuletzt in Afghanistan. Das ist schon ein großer Unterschied. Und auch das Verteidigungsministerium, der Bendlerblock, ist ein öffentlicher Ort. Aber ich will noch ein anderes Argument in Erinnerung rufen. Der Vorschlag, es in die Nähe des Reichstagsgebäudes zu bringen, ist ja zunächst mal ganz überzeugend. Aber dann will ich darauf hinweisen, dass in der Nähe des Reichstagsgebäudes das Holocaust-Denkmal ist, demnächst das Denkmal für die ermordeten Sinti und Roma, demnächst ein Denkmal für die ermordeten und verfolgten Homosexuellen. Alles Orte, wo wir an die Opfer der Verbrechen des Nazi-Regimes erinnern. In einen solchen Zusammenhang, denke ich, gehört ein solches Bundeswehr-Denkmal nicht.

König: Gleichwohl, das Ehrenmal auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums zu errichten, widerspricht das nicht dem Charakter der Bundeswehr als Parlamentsarmee?

Thierse: Aber noch einmal. Wenn man alles in den Zusammenhang des Parlaments stellt und das Reichstagsgebäude umringt mit Denkmälern, dann relativieren sie sich. Denkmalsinflation mindert die Bedeutung des einzelnen Denkmals, und deswegen finde ich es schon nicht schlecht zu sagen, das Denkmal kommt in den Zusammenhang, in dem ja auch die unmittelbare Befehlsgewalt ist, also das Verteidigungsministerium. Dies ist ein besonderer Ort, zumal wir uns eben an der Stelle ja auch erinnern an frühere Opfer der deutschen Wehrmacht, jeden positiven, jeden guten Teil der deutschen Wehrmachtstradition im Unterschied zu den fatalen, den entsetzlichen, den schlimmen Teilen der Wehrmachtstradition.

König: Wie kommt es eigentlich, Herr Thierse, dass das geplante Ehrenmal noch nicht zu der öffentlichen Auseinandersetzung geführt hat, die den Absichten doch eigentlich angemessen wäre? In einem Land, in dem die Gedächtnis- und Erinnerungskultur so ausgeprägt ist, da wäre das doch eigentlich zu erwarten gewesen.

Thierse: Ja, die Frage kann ich schlecht beantworten, das müssen andere beantworten. Journalistische Aufmerksamkeit wird ja nicht von Politikern gesteuert, sondern dafür sind Journalisten und andere Personen, die das öffentliche Leben bestimmen, selber verantwortlich. Die Politik kann und sollte auch nicht öffentliche Debatten und Erregungen inszenieren.

König: Aber eine Initiative zu diesem Ehrenmal hat es vom Bundestag aus nicht gegeben.

Thierse: Nein, aber wir haben positiv zustimmend darauf reagiert, dass der Verteidigungsminister einen solchen Vorschlag macht. Man kann natürlich kritisieren, dass der Bundestag nicht auch noch dieses Denkmal initiiert hat. Aber da will ich daran erinnern, dass das auch für die anderen gilt. Das Holocaust-Denkmal ist nicht ursprünglich aus einer Idee des Bundestages entstanden, sondern von einer Bürgerinitiative entwickelt worden. Das, finde ich, ist auch der richtige Zusammenhang. Nicht der Bundestag geriert Ideen für Denkmäler, sondern diese Ideen kommen aus der Bürgergesellschaft, die etwas für besonders wichtig halten, für erinnerungs- und für denkwürdig, und dann kann und soll gegebenenfalls der Bundestag sich dieses Anliegens annehmen. Das scheint mir die richtige Reihenfolge.

König: Es steht ja nun der Siegerentwurf für das Ehrenmal fest, jedenfalls hat das gestern die "FAZ" gemeldet. Ein Entwurf des Münchner Architekten Andreas Meck. Geplant sei eine an klassischen Vorbildern orientierte Anlage mit einem zentralen Steinblock, an dem Kränze niedergelegt werden können, das Ganze in den Ausmaßen von zehn mal vierzig Metern. Kennen Sie den Entwurf?

Thierse: Ich kenne ihn nicht, es ist ja bisher nur eine Sache des Verteidigungsministeriums gewesen, deswegen kann ich auch kein Urteil, auch zumal kein ästhetisches Urteil, darüber abgeben. Ich fände allerdings wichtig, dass über einen solchen Entwurf auch noch diskutiert wird. Es hat zum Beispiel – der Vergleich ist natürlich nicht ganz angemessen – beim Holocaust-Denkmal ja einen langen und intensiven Streit auch über die Gestalt gegeben. Und dieser Streit hat dem Denkmal nicht geschadet, sondern hat ihm gut getan, ich fände es schon nicht ganz falsch, wenn es auch noch eine Diskussion über dieses Denkmal und seine Gestalt gibt, also, das Denkmal für die Bundeswehrsoldaten und Angehörigen, die gestorben sind.

König: Zumal es nicht wenige sind, die sagen, der Entscheidungsprozess, der dann zum Bau des Holocaust-Mahnmals führte, sei die eigentliche Errungenschaft für die Erinnerungspolitik und das demokratische Bewusstsein in Deutschland. Wir sprachen vorhin über die Debatte, die es nicht gegeben habe in Deutschland. Wir hatten den Eindruck, dass die Arbeit der Findungskommission wie auch die Überlegung zur Wahl des Standortes – jetzt wieder aufs Bundeswehr-Ehrenmal bezogen – praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Wir haben gestern hartnäckig versucht, zur Empfehlung dieser Findungskommission eine Stellungnahme der Bundeswehr oder des Verteidigungsministeriums zu bekommen – ohne jeden Erfolg. Nicht einmal, wer in der Kommission sitzt, war zu erfahren. Niemand, so wurde uns beschieden, werde etwas sagen, bevor nicht Minister Jung über den Entwurf entschieden habe. Uns kam das so vor, eine Angelegenheit von großer Tragweite wird da wie eine Privatsache behandelt.

Thierse: Das halte ich für absolut unangemessen und sage mit einer gewissen Distanz: Das ist offensichtlich das hierarchische Denken, das in einer Armee – auch in der Bundeswehr – vorherrscht und das eben bis in das Ministerium hineinreicht. Da sind natürlich politische Parteien, das Parlament, andere Teile der politischen Öffentlichkeit etwas anderes gewohnt. Ich kann den Bundesverteidigungsminister nur einladen, nun das wirklich zum Gegenstand einer auch öffentlichen, kritischen und freundlichen Debatte zu machen. Es wird sicher Leute geben, die überhaupt die Idee eines solchen Denkmals für falsch halten, aber es wird viele andere geben, die sagen, das ist nicht schlecht, da sind Menschen gestorben bei Einsätzen, die sie im Auftrage des deutschen Parlaments, im Interesse Deutschlands und für humanitäre Anliegen getan haben. Darüber sollten wir miteinander öffentlich reden, was bisher nicht der Fall gewesen ist, kann ja nachgeholt werden.

König: Und dieses öffentliche Reden müsste dann auch einschließen, dass man den Schritt von der Verteidigungsarmee hin zur internationalen Eingreiftruppe auch noch mal flächendeckend diskutiert.

Thierse: Ich bin sehr dafür, dass wir sehr differenziert darüber urteilen. Die demagogischen Vorwürfe, dass die Bundeswehr sich immerfort an Kriegen beteilige, ist ja in der Sache überhaupt nicht gerechtfertigt. Vor jedem Einsatzbeschluss gibt es eine intensive Diskussion im Bundestag, sicher auch in Teilen der Öffentlichkeit, am Beispiel Afghanistan kann man sehen die Frage: Sollen wir so tun, als gäbe es auf der Welt keine Konflikte, sollen wir so tun, als ginge uns das alles nichts an, oder haben wir nicht die Pflicht, aus humanitären, aus politischen, auch aus völkerrechtlichen Gründen heraus Beiträge zu leisten, dass Frieden ermöglicht wird, dass Frieden gestützt wird, dass Wiederaufbau ermöglicht wird? All das haben wir ja am Beispiel von Ex-Jugoslawien intensivst, leidenschaftlich, emotional diskutiert und wir müssen es gewiss immer wieder neu diskutieren. Es gibt keine allgemeine, allein selig machend richtige Antwort.

König: Es sind aber deutsche Soldaten schon für internationale, schnelle Eingreiftruppen vorgesehen. Response Force oder die Battle Groups – das sind ja Verpflichtungen, bei denen sich das Parlament möglicherweise gar nicht mehr widersetzen könnte, einfach weil es sehr schnell gehen muss.

Thierse: Ja, aber das ist auch eine sehr nüchterne Entscheidung. Es gibt ja unterschiedliche Vorschläge, eine unterschiedliche Praxis in den Demokratien, ganz wesentlich in Deutschland ist die Armee eine Parlamentsarmee. In anderen Ländern, die nicht weniger demokratisch und nicht weniger anständige Länder sind wie Frankreich oder Großbritannien, entscheidet die Regierung sehr schnell über solche Einsätze oder Beteiligung an Einsätzen. In Deutschland ist immer das Parlament verpflichtet, die wirkliche Entscheidung zu treffen. Deswegen gibt es ja auch Vorschläge zum Beispiel von der CDU, unsere Praxis etwa der Großbritanniens oder der Frankreichs anzunähern. Ich bin da sehr skeptisch, ich halte für richtig, dass wir die Hürde, die das Parlament darstellt, unsere Meinungsbildung und damit die öffentliche Meinungsbildung, dass diese Hürde bleiben soll.

König: Das geplante Ehrenmal der Bundeswehr – ein Gespräch mit Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Herr Thierse, vielen Dank.