Thilo Krause: "Elbwärts"

Am Nullpunkt der eigenen Biografie

05:54 Minuten
Zu sehen ist das Cover des Buches "Elbwärts" von Thilo Krause.
Freundschaften über die Grenze Hinweg: In "Elbwärts" von Thilo Krause findet der namenlose Ich-Erzähler Halt bei Bekannten aus Tschechien. © Hanser Verlag / Deutschlandradio
Von Helmut Böttiger |
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Ein junger Mann zieht mit Frau und Kind dorthin zurück, wo er aufgewachsen ist. Erst nach und nach enthüllt sich in Thilo Krauses Roman "Elbwärts" das Unglück, das ihn an seine Kindheit in der DDR fesselt. Ein Buch, das weitaus politischer ist, als es zunächst scheint.
Es gehört zur Erzählhaltung dieses Romans, dass der Ich-Erzähler keinen Namen hat. Er ist in einem Dorf oberhalb des Elbtals aufgewachsen. Nach vielen Jahren, in denen er weit weg war, ist er zurückgekehrt und mit seiner Frau ins frühere Nachbardorf gezogen. Erst langsam enthüllt sich, was ihn an die eigentlich längst überlebte Vergangenheit fesselt. Zentral ist dabei die enge Jugendfreundschaft mit Vito, die mit bleibenden Schuldgefühlen verknüpft ist: Vito ist bei einer riskanten Kletterpartie der beiden in den Elbfelsen abgestürzt und verlor ein Bein. Der Kontakt der Freunde ist einige Zeit danach endgültig abgebrochen.
Die Wiederbegegnung mit Vito ist mit knappen Dialogen und der dichten Beschreibung der Räume psychologisch äußerst präzise geschildet. Und die Dorfbewohner, zu denen der Protagonist keinen Kontakt findet und die ihn immer beäugen, werden auf beklemmende Weise hinter ihren Vorhängen erkannt.

Momentaufnahmen und Handlungsfetzen

Auch in den knappen Szenen mit seiner Frau, von der er sich durch die fordernde Konfrontation mit der heimischen Sehnsuchtslandschaft immer mehr entfremdet, und der "Kleinen" zeigen, dass dieser Autor die Techniken der Aussparung und Andeutung souverän beherrscht. Aber das ist nur die Basis dieses Romans. Seine Sprache scheint sich langsam davon abzuheben. Die einzelnen Momentaufnahmen und Handlungsfetzen sind wie Bilder, die vieldeutig sind, stehenbleiben und das nächste auslösen.
Dass dieser Autor als Lyriker begonnen hat, merkt man seiner Prosa an. Der chronologische Zeitablauf ist außer Kraft gesetzt, es gibt Vor- und Rückblenden, die Erinnerungen an die Kindheit in der DDR laufen mit den Gegenwartsereignissen parallel. Eine besondere Färbung entsteht daraus, dass die wichtigsten Vertrauenspersonen beider Zeitschichten zwei Tschechen von jenseits der nahen Grenze sind: In der Schule ist es der Hausmeister Jiři, und in der haltlosen Gegenwart findet der Ich-Erzähler im Busfahrer Jan einen Freund. Dieser bildet einen extremen Gegensatz zu den feindseligen Dorfbewohnern, der "Batikfrau" etwa oder dem Mann mit der Schiebermütze.

Nazicamps in der Kiefern- und Felsenlandschaft

In einzelnen grellen Szenen, wie einer FDJ-Versammlung in der sozialistischen Schule, wird deutlich, dass es eine Kontinuität von der DDR zu den Nazi-Umtrieben der Gegenwart gibt. Die Nazicamps in der Kiefern- und Felslandschaft sind ein Bild dafür, dass der Protagonist sich seine Heimat nicht wieder zu eigen machen kann: "Mir ist, als hätten die Nazis sich direkt in den Vorgarten meiner Kindheit erleichtert."
Dieser Roman ist weitaus politischer, als es zunächst scheint. Die Umstände seines Rückkehrversuchs bringen den Ich-Erzähler erst dazu, seine Träume und Sehnsüchte genauer zu befragen. Als Konsequenz setzt er seine Biografie auf einen Nullpunkt. Ein bemerkenswertes Buch.

Thilo Krause: "Elbwärts". Roman
Hanser Verlag, München 2020
206 Seiten, 22 Euro

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