ttt - titel, thesen, temperamente

Warum Thilo Mischke für Kontroverse sorgt

Thilo Mischke bei der Verleihung des 32. Bayerischen Fernsehpreises 2020 in der Residenz München.
Thilo Mischke wird doch nicht "ttt"-Moderator. © imago images / Future Image / Steffi Adam via www.imago-images.de
Der Journalist Thilo Mischke war als Moderator der ARD-Kultursendung „Titel, Thesen, Temperamente“ vorgesehen. Kulturschaffende protestierten dagegen und warfen Mischke sexistische Äußerungen vor. Nun soll dieser die Sendung doch nicht moderieren.
Eigentlich sollte Journalist Thilo Mischke im Februar den langjährigen "ttt"-Moderator Max Moor ablösen. Doch das sorgte für Kritik - wegen zweier Bücher und anderer Äußerungen des Autors, die Kulturschaffende als sexistisch kritisierten. Die ARD revidierte schließlich ihre Entscheidung. Das berichtete die "Süddeutsche Zeitung", die sich dabei auf mehrere Quellen aus der "ttt"-Redaktion berief. Die ARD teilte mit: Die "heftige Diskussion um die Personalie Thilo Mischke überschattet die für uns zentralen und relevanten Themen, die wir mit der Sendung und Marke 'ttt' transportieren und gemeinsam mit der Community diskutieren möchten so, dass dies nicht mehr möglich ist".

Wer ist Thilo Mischke?

Der 43-jährige Journalist hat unter anderem für „Die Zeit“, ProSieben und ZDFneo gearbeitet, er schreibt eine Kolumne für die Berliner Zeitung. Außerdem moderiert er den Podcast „Alles muss raus“. Als investigativer Reporter berichtete er über Bandengewalt in Schweden, die Opioidkrise und Bundeswehrsoldaten in Mali. 2020 gewann er den Bayerischen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage „Deutsche an der ISIS-Front“ über Menschen, die für die Terrormiliz Islamischer Staat in den Krieg ziehen. Vor der vergangenen Bundestagswahl interviewte Mischke im April 2021 für ProSieben die damalige Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (Grüne). 2023 erhielt er den Deutschen Fernsehpreis für seine ProSieben-Reportage „Verlassen und vergessen? Afghanistan im Griff der Taliban“.
Mischke hat auch mehrere Bücher veröffentlicht, darunter ein Buch über Island, eins über Sex sowie den Erfahrungsbericht "Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen" (2013).
Von Mitte Februar 2025 an sollte er die Kultursendung „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ im Ersten neben Siham El-Maimouni moderieren. Nun ruderte die ARD zurück: Mischke werde doch nicht Moderator der Sendung, erfuhr die "Süddeutsche Zeitung" von mehreren Quellen im Senderverbund. „Titel, Thesen, Temperamente“ besteht seit 1967 und gilt als wichtigste Kultursendung der ARD.

Was wird Thilo Mischke vorgeworfen?

Kritisiert wurde Mischke vor allem für das Buch "In 80 Frauen um die Welt" (2010). Es handelt von einer Weltreise, die der Erzähler unternimmt, weil er wettet, dass er unterwegs 80 Frauen verführen kann. Einige Passagen darin werden als sexistisch bewertet, darunter auch der Titel.
„In diesem Buch wimmelt es vor sexuellen Gewaltfantasien, auch Dinge die – könnte man unter anderem diskutieren – strafbar sind“, sagt die Journalistin Rebekka Endler, die in ihrem Podcast "Feminist Shelf Control" entsprechende Passagen zitiert. „Und das Perfide ist: Es ist unklar, ob das ein Roman oder ein Reisebericht ist.“ Mischke selbst bezeichnet das Buch als Roman, auch wenn er im Nachwort schreibt, die Reise habe tatsächlich stattgefunden, und auch wenn er es als Beginn seiner Arbeit als Reportagejournalist bezeichnet.
Mischke wird auch vorgeworfen, in anderen Äußerungen Vergewaltigung zu relativieren und als „männlichen Urtrieb“ zu rechtfertigen. Rebekka Endler kritisiert das als „Rape Culture“.

Wie verteidigt sich Mischke?

Thilo Mischke schrieb dem Deutschlandfunk in einer Stellungnahme, viele der Vorwürfe hätten nichts mit sachlicher Kritik zu tun, sondern seien im überwiegenden Fall diffamierend und versuchter Rufmord. Er sei kein Sexist und kein Rassist, er sei weder homophob noch behindertenfeindlich.
Der Autor hat sich bereits vor Jahren von seinem umstrittenen Buch distanziert und um Entschuldigung gebeten: 2021 sagte er in einem Podcast, er schäme sich ein bisschen für Stil und Ansichten, könne aus dem Buch nicht mehr öffentlich vorlesen. Er habe sich schon vor vielen Jahren von der Buchveröffentlichung distanziert und auch eine Neuauflage verhindert. In dem Podcast findet sich auch eine indirekte Entschuldigung bei allen Personen, die durch solche Bücher verletzt wurden.
Die ARD hatte sich zunächst so zu der Personalie geäußert: „Wir haben mit Thilo Mischke über das 2010 erschienene Buch gesprochen und kennen die Kontroverse. Wir glauben, dass sich die Ansichten und Ausdrucksweisen in den vergangenen 15 Jahren deutlich geändert haben und in einem anderen Kontext zu bewerten sind. Darüber hinaus handelt es sich um einen rein fiktionalen Titel. Nichts davon hat tatsächlich stattgefunden, außer einer Recherchereise, in der er die Orte, die er in dem Roman beschreibt, bereist hat.“
Ferner hieß es von der ARD: „‚ttt‘ stellt sich gegen jede Form von Sexismus und Rassismus und steht, genauso wie Thilo Mischke, für Meinungsvielfalt und Toleranz.“ Seit der Veröffentlichung habe er sich „intensiv und selbstkritisch mit den Vorwürfen, darin ein sexistisches Frauenbild vermittelt und stellenweise rassistische Sprache benutzt zu haben, auseinandergesetzt“. Später revidierte die ARD - laut der "Süddeutschen Zeitung" - dann ihre Personalentscheidung.

Welche Reaktionen gab es zu der Personalie?

Mehr als 100 Kulturschaffende haben einen offenen Brief an die ARD unterzeichnet, in dem sie sich gegen Thilo Mischke als „ttt“-Moderator aussprechen. Darunter sind auch Autoren wie Alena Schröder, Saša Stanišić, Jan Brandt, Ulrike Draesner, Margarete Stokowski und Till Raether. Sie verweisen auf die Erklärung „Gemeinsam gegen Sexismus und sexuelle Belästigung“, mit der sich die ARD im Jahr 2022 verpflichtet hat, gegen Sexismus einzutreten.
Die Unterzeichner finden, dass durch die Personalentscheidung die Kultursendung „nachhaltig beschädigt wird“. Der Autor habe sich auch in den Jahren nach der Veröffentlichung mehrfach öffentlich sexistisch und rassistisch geäußert. Sie schlossen eine Zusammenarbeit mit Mischke als Moderator aus.
Einer der Unterzeichner, der Autor und Lektor Simon Sahner, hält Mischkes Verteidigung für nicht überzeugend. Dessen Äußerung zum Thema sexuelle Gewalt zeigten, dass er nicht sensibel und verantwortungsbewusst darüber spreche. „Und das ist meines Erachtens eine Grundvoraussetzung für Kulturjournalismus heutzutage.“

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