Bizarrer Höhepunkt eines Streits in der SPD
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Thilo Sarrazin hat in Erfurt aus seinem Buch "Feindliche Übernahme" gelesen - auf Einladung des Landtagsabgeordneten Oskar Helmerich. Der war 2014 für die AfD in den Landtag eingezogen und wechselte 2016 zur SPD. Jetzt piesackt er die Genossen.
Was auf dem ersten Blick eine Lesung mit Sarrazin ist, ist bei genauerem Hinsehen der bizarre Höhepunkt einer Auseinandersetzung innerhalb der Thüringer SPD. Im Zentrum steht Oskar Helmerich, Sozialdemokrat, Landtagsabgeordneter. Er hat seinen Parteifreund Thilo Sarrazin eingeladen, dessen Buch vorzustellen, den Bestseller mit dem Titel: "Feindliche Übernahme: Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht".
Für den Sozialdemokraten Oskar Helmerich kein Grund zur übertriebenen Vorsicht:
"Er setzt sich heute mit dem Thema Islam auseinander, Migration. Und dieses Thema beschäftigt viele Menschen. Und ich habe für mich entschieden, dass das Thema auch ein Thema sein muss, das die SPD angeht. Und mein Eindruck war bisher, dass die SPD das vernachlässigt."
Helmerich bekommt keinen Beifall
In seiner Partei, in seiner Fraktion im Landtag und im Erfurter Stadtrat hat Helmerich dafür keinen Beifall geerntet. Sein Parteivorsitzender, Wolfgang Tiefensee, distanzierte sich schon vor Wochen von der Veranstaltung. Die habe nichts mit der SPD zu tun. Der SPD-Fraktionschef im Landtag, Matthias Hey, ebenso:
"Ich freue mich ja immer, wenn Abgeordnete Eigeninitiative entwickeln – auf diese Initiative hätte ich gern verzichtet."
So manche Jusos und auch einige Genossen wollten Helmerich aus der SPD ausschließen. Doch alle Bemühungen hinter den Kulissen, Helmerich von seinen Plänen abzubringen, liefen ins Leere.
Er hat 400 Tickets verkauft, Stückpreis 24 Euro, Sarrazin ist teuer, der Saal auch. Kurz vor Beginn kommt Wolfgang Tiefensee herein, der Thüringer SPD-Vorsitzende. Er hätte mit dem auf dem Podium diskutieren können, aber das wollte er auf keinen Fall.
"Wehret den Anfängen! Deshalb bin ich hier."
Tiefensee will die Ehre der SPD retten. Aber die steckt in einem Dilemma: Sie braucht Oskar Helmerich im Landtag, denn die Rot-Rot-Grüne Koalition hat nur eine Stimme Mehrheit. Und hängt damit von einem Mann ab, der die SPD zur Zeit piesackt, mit der Einladung Thilo Sarrazins, mit selbstentworfenen Wahlplakaten für die Kommunalwahl, auf denen er das SPD-Logo überkleben mußte:
"Die Aussage 'Kein Bleiberecht für Gefährder' gefällt dem Kreisvorsitzenden Ullrich nicht. Ich persönlich sehe das als eine Art Zensur und Bevormundung. Es ist so, dass ich aber das Gefühl habe, dass momentan die Anwürfe, die ich aus der SPD bekomme, sich wenig unterscheiden von denen, die ich von der AfD hatte."
Lukrative Stelle in der Landesverwaltung?
Denn bis vor drei Jahren saß Oskar Helmerich für die AfD im Landtag. Die SPD nahm ihn dann gern, umso mehr, als bald eine Sozialdemokratin zur CDU wechselte. Dafür soll ihm vom damaligen SPD-Vorsitzenden sogar eine lukrative Stelle in der Landesverwaltung angeboten worden sein, schreibt die Südthüringer Zeitung. Daran sei rein gar nichts, meint Helmerich:
"Da kann ich gar nichts zu sagen. Wenn das so wäre, dann brauchte ich hier die Veranstaltung nicht machen. Würde ich auch nicht machen."
Sein Parteivorsitzender möchte lieber gar nicht erst drauf angesprochen werden:
"Jetzt machen wir erst mal Sarrazin! Immer eins nach dem anderen."
Sarrazin redet erst mal eine halbe Stunde über sich und seine Kritiker und stellt dann sein Buch vor. Nüchtern, sachlich. Dann darf Wolfgang Tiefensee sprechen, nicht auf dem Podium, aber davor. Er verteidigt die Menschenwürde:
"Was heißt das eigentlich, wenn ich ausgrenze, wenn ich eine bestimmte Religion oder Ethnie in unserem Land nicht haben will? Wie soll das geschehen? Und deshalb bitte ich sie, dass wir darüber diskutieren, wie wir unsere Gesellschaft gemeinsam gestalten wollen!"
Die Diskussion zwischen Sarrazin und zwei Muslimen verläuft weitgehend sachlich. Das Publikum buht bei Letzteren aber immer wieder.
Keine Aussicht auf einen Listenplatz
Ob die Veranstaltung für sie irgendetwas mit der SPD zu tun gehabt habe, verneinen am Ende alle Befragten.
"Nein, gar nicht, in keinster Weise."
"Nein, eigentlich nicht."
"Nein, nicht direkt. Das war parteiübergreifend."
"Ich muss ihnen sagen, was mich ein wenig negativ berührt hatte, war dieses Negativ-Feedback, was es gab innerhalb der SPD gegen diese Veranstaltung. Und das ist dann natürlich auch was, was einen ein bisschen in Stimmung bringt, dass man es sich gern mal anhören möchte."
"Nein, eigentlich nicht."
"Nein, nicht direkt. Das war parteiübergreifend."
"Ich muss ihnen sagen, was mich ein wenig negativ berührt hatte, war dieses Negativ-Feedback, was es gab innerhalb der SPD gegen diese Veranstaltung. Und das ist dann natürlich auch was, was einen ein bisschen in Stimmung bringt, dass man es sich gern mal anhören möchte."
Zur Erinnerung: Oskar Helmerich wollte Wähler von der AfD zurückgewinnen. Er rechnet nicht mit einem Listenplatz der SPD bei der Landtagswahl.