Marc Thörner: "Rechtspopulismus und Dschihad"

Heidegger-Jünger im Iran, Assad-Fans in der AfD

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Buchcover "Rechtspopulismus und Dschihad" von Marc Thörner
© Edition Nautilus

Marc Thörner

Rechtspopulismus und Dschihad. Berichte von einer unheimlichen AllianzNautilus, Hamburg 2021

180 Seiten

16,00 Euro

Von Marko Martin |
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Der Auslandsreporter Marc Thörner beschreibt in seinem Buch „Rechtspopulismus und Dschihad“ die atemberaubende geistige Allianz zwischen radikalen Moderne-Verächtern in Europa und im Nahen Osten.
War der Philosoph Martin Heidegger posthum einer der Stichwortgeber der iranischen Revolution von 1979? Was wie eine allzu steile These anmuten mag, gewinnt Plausibilität in Marc Thörners aktuellem Buch „Rechtspopulismus und Dschihad“. Der 1964 geborene Journalist berichtet für ARD-Rundfunkanstalten seit Jahrzehnten aus den Krisengebieten des Nahen Ostens und interessiert sich auch für deren geistige Unterströmungen.
Was er im Laufe seiner Recherchen in Teheran, Kabul, Beirut und Damaskus herausfand: Ja, es gibt sehr wohl eine Gemeinsamkeit zwischen den dortigen Todfeinden, zwischen Sunniten und Schiiten, zwischen islamistischem Dschihad, iranischer Orthodoxie und einem säkularen Diktator wie Assad - und zwar die Frontstellung gegen einen Westen, dessen liberale Verfasstheit gleichermaßen der Heuchelei geziehen wie als Bedrohung wahrgenommen wird.

Mit Heidegger und Jünger gegen den Westen

Noch überraschender freilich, dass viele der oftmals pathetisch pauschalisierenden Anklagen nicht etwa "hausgemacht" sind, sondern aus westlicher Feder stammen, vorzugsweise aus den Schriften Martin Heideggers, Ernst Jüngers, Carl Schmitts oder des französischen Nazi-Kollaborateurs Alexis Carrel, einem der spirituellen Hausgötter der dortigen Neo-Rechten.
In diesen Büchern findet sich all das, was die Lobredner der nahöstlichen Diktaturen ebenfalls anfixt: Maskuliner Kult des starken Staates und einer sogenannten Authentizität, Verachtung aller auf Kompromiss, Geschlechtergerechtigkeit, Ausgleich und Machtkontrolle rekurrierender Institutionen, sexuelle Rigidität, klare Freund-Feind-Bilder.
Dass und wie die einen die anderen inspirierten, ist gut empirisch belegbar. So war etwa der Ägypter Sayed Qutb (1906-1966), Gründer der Muslimbrüderschaft und Spiritus rector einer nachfolgenden Generation von Dschihadisten, zutiefst von Alexis Carrels vermeintlich das Abendland verteidigenden Postulaten geprägt - nicht zuletzt von der Idee, kampf- und todesbereite Zellen junger Männer zu gründen, um die sogenannte eigene Kultur zu verteidigen. Der Ideengeber der Le-Pen-Partei als Zitatenschatz in den Texten des Islamisten Qutb.

Dschalal Al-e-Ahmeds „Verwestgiftung"

Eine vergleichbare nahöstliche Karriere machte Ernst Jüngers Kampfschrift „Über die Linie“, die im Teheran der Schah-Zeit einen derart starken Eindruck auf einen Ideologen namens Dschalal Al-e-Ahmed hatte, dass er ein Buch mit dem toxischen Titel „Verwestgiftung“ schrieb, das noch heute im Iran der Referenztext zum angeblich halt- und gottlosen Westen ist.
Dazu gilt laut Thörner, der für sein Buch auch exil-iranische Schriftsteller besucht und befragt hat, in der gegenwärtigen Islamischen Republik zumindest ein Philosoph aus dem Westen nicht als von der Moderne geschädigt: Martin Heidegger. Aber führt es nicht dennoch zu weit, dem kryptischen Denker vom Todtnauberg Einfluss zuzuschreiben auf jene Massen, die 1979 den Schah stürzten?
Thörner argumentiert, dass gerade die Anbindung an einen deutschen Philosophen entscheidend dafür gewesen sei, säkulare Intellektuelle als Multiplikatoren für die Revolution zu gewinnen. Doch auch für Religiöse bot Heidegger, der am Ende seines Lebens die Devise „Nur ein Gott kann uns retten“ ausgegeben hatte, noch genug Schnittmengen, um ihn anschlussfähig zu machen - und das bis zum heutigen Tag.

Querfrontverläufe werden entdeckt

All diese Entdeckungen verdanken sich freilich keiner Ohrensessel-Exegese, sondern Reisen an die entsprechenden Orte - von Thörner präzise, ja geradezu mit literarischem Gespür beschrieben. Ebenso atemberaubend seine Gespräche mit dem hiesigen Jünger-Fan Alexander Gauland oder einem AfD-Funktionär, der vom Massenmörder Assad schwärmt und den Westen der eigentlichen Aggression zeiht.
Dass solche Positionen auch im Kreml-Propagandasender "RT" (vormals "Russia Today") und in der Linksaußen-Postille „Junge Welt“ zu finden sind, macht das Panoptikum schließlich vollständig. Randständig ist derlei allerdings nicht, weshalb man sich auch hüten sollte, dieses aufklärerische Buch lediglich mit verdutztem Lächeln zu lesen. Die Querfrontverläufe, die hier beschrieben werden, sind nämlich ebenso real wie brandgefährlich. 

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