Heißen wir in Deutschland jeden Gast willkommen, auch den, der uns fremd ist, politisch oder kulturell? Und sieht Gastfreundschaft in Reutlingen genauso aus wie in Berlin oder Dresden? – Der Länderreport macht sich diesen Sommer auf die Suche nach der Gastfreundschaft in Deutschland.
Gemeinsam tafeln für Toleranz
Tom Aslan ist Werber, aufgewachsen in Franken und seit ein paar Jahren Wahl-Ostler. Aus dem kleinen Ort Köthen in Sachsen-Anhalt will er eine Hauptstadt der Vielfalt und Toleranz machen - etwa damit, dass er Linke, Rechte, Einheimische und Zuwanderer gemeinsam zum Essen einlädt.
Wenn Du mich als Teddyschmeißer darstellst, dann bekommen wir aber ein Problem miteinander, sagt Tom. Er lacht. Sein Auge zuckt.
Deutschland 2015. Wir schaffen das. Ein Satz, der bis heute das Land im Griff hat. Es waren Sommertage, als am Münchner Hauptbahnhof tausende Helfer zusammen kamen, um Flüchtlinge in Empfang zu nehmen und Spenden zu verteilen. Frenetisches Klatschen, als verstörte Flüchtlinge aus Zügen und Bussen stiegen. Gleichzeitig marschierten selbsternannte Retter des Abendlandes durch Dresden und skandierten ausländerfeindliche Parolen. Im Land der Dichter und Denker wurde schnell ein neues Wort für diese Vorgänge geboren: Willkommenskultur.
Köthen. Sachsen-Anhalt. Sommer 2017. Hier wurde die Zaubermedizin Globuli von Samuel Hahnemann erfunden. Die AfD ist in Sachsen-Anhalt mit 24,4 Prozent die zweitstärkste Partei im Landtag. Und mittendrin wohnt Tom Aslan. Werber, Individualist, Aktivist. Aufgewachsen im Frankenland. Und seit ein paar Jahren Wahl-Ostler.
Aslan: "Aus dem ganzen Land, wir sind damals nach Berlin gezogen und wollten quasi Revolution und Veränderung. Aber wie immer macht man sich ... täuscht man sich vorher und danach enttäuscht man sich. Und es war unheimlich spannend aufs Land zu ziehen. Hierher. Und zu merken, von hier aus kann man so viel mehr bewegen als in einer total überfrachteten und temporeichen Hauptstadt."
Hippie. Weltverbesserer. Idealist. Ja, all das ist Tom Aslan. Auch. Was er nicht ist: Einer, der nur redet. Tom Aslan mischt sich ein. Er schafft es, immer den richtigen Ton zu treffen. Er traut sich mit allen zu sprechen. Der AfD, den Linken und Ausländern. Und mit ihnen versucht er die Zukunft zu gestalten. Und tut es auch. Dazu gehört nicht nur, die Flüchtlinge in Schutz zu nehmen.
Aslan: "Deswegen wage ich mal die steile These das ein Großteil der AfD-Wähler hier im Osten nicht per se rechtsradikal sind oder Rechte sind. Sondern mit ihren Perspektiven unzufrieden sind. Und damit kommt jetzt der Bogen: die Perspektive fehlt da, wo die Fragen der Zeit nicht beantwortet werden. Und sie werden auch aus meiner Sicht von der Politik nicht ausreichend beantwortet."
Antworten suchen. Sich nicht auf die Politik verlassen. Selber etwas unternehmen. Seine Sichtweisen ecken an. Sie ecken an, weil sie kein Feindbild kennen. Deshalb wird er auch von allen Seiten respektiert. Er würde nie Sätze sagen wie: Die da oben sind Schuld oder Obergrenzen müssen her oder die Demokratie ist schuld.
"Das war eine gesellschaftsumbildende Situation"
Sein Geheimnis scheint zu sein: Alle ernst nehmen, ohne seine Überzeugungen zu verlieren. Als die Flüchtlinge kamen, nahm er sie mit seinen Mitstreitern auf. Hörte sich ihre Geschichten an. Half den Fremden Fuß zu fassen im neuen Land. Heute sagt er Sätze wie:
"Es wäre verlogen zu sagen, dass es keinen Antisemitismus, keine Homophobie und keine Frauenfeindlichkeit gibt in der arabischen Kultur. Ich weiß es selbst als Türkischstämmiger, dass es das auch in der türkischen Kultur gibt. Übrigens von meiner Einschätzung her deutlich höher als bei Deutschen."
Auffällig unauffällig. Ruhig, konzentriert und sehr viel in sein Smartphone tippend. So läuft er durch Köthen. Angefangen hat alles zwischen Croissant und Mokka.
Aslan: "Ich saß mit meiner Frau am Frühstückstisch. Und wir haben erfahren, dass es drei Familien gibt, die nach Köthen kommen werden. Und wir haben in dem Moment für uns entschieden, für diese Familien wollen wir mit da sein. Wir wollen nicht nur gastfreundlich sein, wir wollen neugierig sein. Und Menschen kennenlernen.
Das wenige Monate später viele andere Familien dazugekommen sind und wir drei, vierhundert Neubürger in dieser Stadt hatten und um uns herum, neben uns zwei Aktiven, noch 120 weitere erschienen sind, und wie so ein kleines Dorf in so einer Stadt auch mit der Stadt verwoben auch Probleme gelöst wurden und auch Zukunft und Perspektiven geschaffen wurden. Das war mehr als Gastfreundschaft. Das war eine gesellschaftsumbildende Situation, wo keinem was genommen wurde."
Tom Aslan will die Welt verändern
Er kaufte eine Villa, in der zu DDR-Zeiten die FDJ Kreisleitung saß. Hier gründete er seinen Verein. Er nennt sich ganz selbstbewusst Global Change Now e.V. - für eine menschlichere Wirtschaft. Mit diesem organisiert er unter anderem eine Tafel der Kommunikation.
Hier werden Tische aufgestellt, Essen aufgefahren und von links nach rechts alle eingeladen sich kennenzulernen. Tom Aslan zwingt mit Charme zu Kommunikation. Da sitzen sie dann. Die Rechten, die Linken, die Syrer, die Schwulen und die Mittelstandsunternehmer, Lokalpolitiker, Journalisten, Künstler. Tom Aslan sucht nach pragmatischen Lösungen für seine Utopien.
Aslan: "Wenn Leute hier ankamen. Am Anfang geht es um einfache Sachen wie müssen die zum Arzt, brauchen die Kleidung. Wie sind sie untergebracht. Dann kann man sich als Kommune die Frage stellen, welche Form der Unterbringung wollen wir. Die anstrengende Version ist dezentrale Unterbringung. Und die haben wir gewählt. Köthen war eine der ersten Städte, wo alle Neubürger dezentral untergekommen sind."
Tom Aslan hat viel erreicht. Er hat gekämpft, etwas begonnen. Tom Aslan will Vorbild sein. Will diesen kleinen, unwichtigen Ort Köthen zur Hauptstadt der Vielfalt und Toleranz transformieren. Kurz gesagt: Tom Aslan will die Welt verändern.
Aslan: "Was wir brauchen ist familiärer Zusammenhalt. Was wir brauchen ist ausschweifende Essengelage. Was wir brauchen ist, neben der Liebe, die wir als Deutsche zur Verbindlichkeit haben, die Verbindlichkeit zu zwischenmenschlichen Verbindungen. Das können wir lernen von denen, die jetzt zu uns gekommen sind. Was wir beibringen können, ist Offenheit und unsere Neugier, unsere Liebe, die unbegrenzt sind. Auch für andere Minderheiten."
Und dann muss er los. Zu einem Treffen. Er darf nicht viel darüber sagen. Aber nur so viel, es sitzen heute Abend wieder die Rechten und Lokalpolitiker an einem Tisch. Auch dank ihm. Ohne Steine und Molotow-Cocktails.