Die Ausstellung "Thomas Bayrle. Seniorenfeier" ist vom 4. März bis 26. Juni 2016 im Museum Wiesbaden zu sehen.
Seniorenfeier mit Zeichnungen von Sexpuppen
Er gilt als origineller Vertreter des German Pop, schon vor 50 Jahren waren Thomas Bayrles Bilder-Maschinen im Museum Wiesbaden zu sehen. Jetzt beschäftigt sich dort eine Jubiläumsausstellung mit dem Werk des Frankfurter Künstler-Urgesteins - unter dem ironischen Titel "Seniorenfeier".
Acht Bilder-Maschinen knarren und klappern leise in der Ausstellung "Seniorenfeier" vor sich hin. Ein Elektromotor bewegt die aus Sperrholz gesägten Figürchen: die Fußballer, die Putzfrauen, die Chinesen. Sie alle formen sich zu einem großen Ornament der Masse.
Thomas Bayrle: "Ich hab mich sehr früh mit Mao und auch China befasst, und natürlich habe ich diesen Great Leap Forward, dass die aus Nichts einen wahnsinnigen Pfannkuchen gemacht haben Schon damals konnte man das sehen. Die allererste Maschine, die es gab, das war 'Mao'."
Das war '65. Und die funktioniert jetzt noch?
"Die funktioniert jetzt noch. Das ist ein Mao vor Sportlern, ein Riesenfeld mit Sportlern, die Kniebeuge machen".
1966, im Museum Wiesbaden, hatte Thomas Bayrle zusammen mit den Düsseldorfern ausgestellt: mit Gerhard Richter, Konrad Lueg, Sigmar Polke. Die sprachen in ihrer Kritik des kleinbürgerlichen Konsumwahns vom "Kapitalistischen Realismus". Mit viel Humor und Sarkasmus. Thomas Bayrle brachte mit seinen Bilder-Maschinen die Verhältnisse zum Tanzen. Karikierte den Putzwahn der deutschen Hausfrau mit einer animierten Ajax-Flasche. Oder die aggressiven Werbekampagnen von Colgathe mit zahllosen gebleckten Zähnen, die von Bürsten geschrubbt werden:
Thomas Bayrle: "Oder hier, Zähneputzen einüben. Das war ein japanisches Foto, das ich gefunden habe, wo Kinder Zähneputzen einüben."
Wandfüllende Bildtapeten
Schon früh entwickelte Thomas Bayrle wandfüllende Bildtapeten. Immer ein Grundmotiv, das dann in tausendfacher Wiederholung zum überwältigenden Ornament wird. Im Raum mit den Bilder-Maschinen sind es: zwei Chinesen, viel Kartoffeln, viele rote Fahnen. Der Künstler, so erzählt er, schlachtete die Zeitschrift "China im Bild" aus. Dort fand er sein Bildmaterial:
"Ich habe oft nach chinesischen Mustern gearbeitet, ich hatte das lang schon abonniert, 'China im Bild', und hier geht's um die Entwicklung der Kartoffel. Das sind drei Wissenschaftler und hier ist die Kartoffel, da ging's darum, dass der Nachbau nicht nachlässt. Und das wurde so grotesk verkauft, mit Texten von Mao. Die waren so grotesk, dass man's kaum glauben konnte."
Der frühe Thomas Bayrle wirkt wie ein überaus fleißiger Prophet der heutigen digitalisierten Welt, des grassierenden Photoshops. Das ist in der Zeit vor der Digitalisierung gemacht, das heißt ziemlich viel Handarbeit?
Thomas Bayrle: "Das ist alles Handarbeit, aber natürlich mit Montage, mit Siebdruck, mit den Methoden, die halt da waren. Und natürlich ist die Intention gewesen, dass es eines Tages eine Maschine geben wird, die das macht. Und deshalb wollte ich nicht so einen Stil haben, oder eine Handschrift."
Kleine wuchernde Zeichen
Thomas Bayrle zeigt mir seine frühen Zeichnungen. Da ist alles zum ersten Mal ausprobiert, was dann in seinen späteren Montagen und Objekten auftaucht: das Ornament der Bildmodule, das Wuchern der kleinen Zeichen zur Superstruktur. Verblüffende Einfälle wie diese große Birne, aus Hunderten von LKWs zusammengesetzt.
Thomas Bayrle: "Das sind Lkws, die Birnen geladen haben und die eine Stadt wie sagen wir mal Peking mit Birnen versorgen."
Und zugleich auch eine utopische Architektur?
"Ja, das ist für mich wichtig, dass das Architekturen sind, und zwar räumlich und technisch so aufgebaut, als könnte man's bauen".
Und auch seine Zeichnungen von Sexpuppen sind ebenso erotisch wie penibel. Zum Beispiel die sich dem Freier gebückt darbietende Dame. Sie besteht komplett aus den Bildzellen ihrer eigenen High Heels.
Thomas Bayrle: "Das ist Sex, unter Adenauer wurde ja Sex noch geächtet, und dann hat plötzlich Beate Uhse erkannt, dass man damit einen Haufen Geld verdienen kann. Und zack, als würde ein Hebel rumgelegt, war's erlaubt. Und war dann genau so ein Massenprodukt wie wenn man Brötchen kauft oder irgendetwas Anderes."
Hybride Skulpturen
In einem großen, von der Decke hängenden Pappobjekt mit dem Titel "Sars" kommt dann Bayrles Universum der Zeichen auf den Punkt. "Sars" ist eine hybride Skulptur aus Mikro- und Makrokosmos:
"Die ist von 2005, als eben die Vogelgrippe in China ausbrach. Und das ist gleichzeitig ein Virus, aber es ist auch ein Space Shuttle. Das finde ich so gut aufgehängt wie noch nie. Das hat hier soviel Platz und Luft. Und das besteht aus Elementen, die Buchstaben S und A und R sind hier verarbeitet, das sind Flechtwerke aus Autobahnen, und die selbst wiederum die Form eines Buchstabens haben."
Im nächsten Jahr feiert Thomas Bayrle seinen 80. Geburtstag. Und wird dazu vom New Museum New York geehrt. Der German-Pop-Artist aus Frankfurt hat langen Atem bewiesen. Und sein Werk wirkt heute jung wie noch nie. Trotz des selbstironischen Ausstellungstitels:
"Aber ich find auch diesen perversen Begriff Seniorenfeier, wie hier hunderttausend Ältere mit Kaffeekränzchen und so weiter abgefüttert werden – das fand ich ganz gut, wenn ich da mal selbst reingehe."