Info: "Gottschalk liest?" startet am 19. März um 22 Uhr im Bayerischen Fernsehen. Gäste der ersten Sendung sind Sarah Kuttner, Vea Kaiser, Daniel Biskup und Ferdinand von Schirach.
"Das ist meine Rache am Feuilleton"
Im Bayerischen Fernsehen läuft heute Abend die erste Ausgabe der Literatursendung "Gottschalk liest?". Eine völlig neue Rolle für den Showmaster - der diese aber gelassen und mit Selbstironie annimmt.
Heute abend ist Thomas Gottschalk erstmals in seiner neuen Rolle als Moderator einer Literatursendung zu sehen. Viermal im Jahr soll "Gottschalk liest?" künftig im Bayerischen Fernsehen laufen. Der Entertainer wird dann mit Gästen über aktuelle Bücher sprechen, was manche sicher kritisch beäugen: Ein Showmaster in der Kultur? Kann das denn klappen?
Reich-Ranicki als literarischer Ziehvater
Er habe gedacht, er traue sich mal, erzählt Gottschalk im Interview mit Deutschlandfunk Kultur. Den Segen von seinem literarischen Ziehvater Marcel Reich-Ranicki habe er bekommen - und auch mit Hellmuth Karasek sei er oft zusammen gewesen. "Und die beiden lustigen Gesellen haben mir ein bisschen den Respekt genommen, den ich immer vor Literatur und vor dem Feuilleton hatte. Ich fand mich ja immer vom Feuilleton ungeliebt - und das ist nun meine Rache."
Weniger Kritik, mehr Neugierde
In seiner Sendung wolle er sich nicht über die Autoren erheben, betonte Gottschalk: "Indem ich hinterher sage, das war nix, was du da abgeliefert hast". Er sei selbst oft Opfer von Kritik gewesen und habe einiges als ungerecht empfunden: "Warum müsst ihr euch am Montag den Kopf darüber zerbrechen, was am Samstag bei mir für Seifenblasen zerplatzt sind?" Insofern verfolge er keinen kritischen, sondern eher einen neugierigen Ansatz: "Ich tue das, was sich vielleicht jeder Leser wünscht, der ein Buch zur Seite legt: 'Darüber würde ich gerne mal mit dem Autor sprechen.'"
Themen, die in Vergessenheit geraten
Was die Resonanz auf seine Sendung angeht, ist der Moderator völlig gelassen: "Es ist mir inzwischen wurscht. Das ist genau der Punkt, wo ich angekommen bin." Er bilde sich nicht ein, dass es wegen ihm im Bayerischen Fernsehen plötzlich einen Quotenschub geben werde:
"Kein Mensch braucht Lesen im Fernsehen. Aber das öffentlich-rechtliche Fernsehen braucht Themen, die zusehends in Vergessenheit geraten."
"Alle ein bisschen schlauer als ich"
"Kindliche Neugier" bringe er für seine neue Rolle mit, sagt der Showmaster. Ein bisschen aufgeregt sei er bei der Aufzeichung der ersten Sendung trotzdem gewesen, "weil ich den Eindruck hatte, dass alle, die da sitzen, ein bisschen schlauer sind als ich". Trotzdem habe alles gut funktioniert, findet er: "Ich glaube nicht, dass wir uns blamiert haben."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: "Wegen der Gesamtverblödung des deutschen Fernsehens bin ich in die Kulturecke geschubst worden, wo ich eigentlich nie hin wollte." Das hat Thomas Gottschalk vor seiner neuen Sendung im Bayerischen Fernsehen gesagt. Die Sendung heißt "Gottschalk liest?", mit einem Fragezeichen am Ende, wird heute Abend um 22 Uhr das erste Mal ausgestrahlt, sie ist aber schon fertig aufgezeichnet. Deshalb habe ich Thomas Gottschalk gefragt: Wie war’s denn nun in der Kulturecke?
"Ich fand mich ja immer vom Feuilleton ungeliebt"
Thomas Gottschalk: Das hört sich etwas arrogant an, aber es ist tatsächlich so, dass ich ja mein ganzes Leben lang mich als Unterhalter betrachtet habe und auch Lesen als Unterhaltung verstehe. Nachdem ich also lange genug jetzt nun mit Ram Jam und "Black Betty" unterwegs war, hab ich gedacht, ich trau mich mal.
Ich hab ja den Segen von meinem literarischen Ziehvater Marcel Reich-Ranicki bekommen, der ja auch mit einer gewissen Leichtigkeit an diese Sachen gegangen ist, und ich war auch mit dem Hellmuth Karasek eigentlich oft zusammen. Und die beiden lustigen Gesellen haben mir so ein bisschen den Respekt genommen, den ich immer vor Literatur und vor dem Feuilleton hatte. Ich fand mich ja immer vom Feuilleton ungeliebt, und das ist nun meine Rache.
Kassel: Aber nun haben Sie in den letzten Wochen immer wieder betont, ich bin ja kein Feuilletonist, ich mach das jetzt einfach mal so, ich hab auch nichts mehr zu verlieren, aber ich sag mal, ich glaub das nicht ganz. Denn wenn man guckt, das berühmte Rilke-Manuskript, das leider in Ihrer Villa in Malibu mit verbrannt ist, Ihre sehr erfolgreiche Autobiografie, das Wahnsinnsverhältnis zu Reich-Ranicki haben Sie selber gerade erwähnt, da hab ich das Gefühl, wenn Sie ganz ehrlich sind, sind Sie auch ein Buchmensch, oder?
"Ich habe den neugierigen Ansatz"
Gottschalk: Ja, gut, dieses Rilke-Manuskript hab ich ja leider nicht geschrieben, und ansonsten bin ich immer durch Zufall da reingerutscht, hab aber dann gemerkt, die kochen auch alle nur mit Wasser. Und ich begreife eben Lesen als etwas anderes, vor allen Dingen will ich mich nicht über den Autor erheben, indem ich ihm hinterher sage, das war nichts, was du da abgeliefert hast.
Ich war ja selbst in meiner bescheidenen Unterhaltertätigkeit auch öfters ein Opfer von Kritik und habe immer diese Ungerechtigkeit empfunden: Freunde, das war doch nicht so gemeint, das war nicht für euch gemacht, warum müsst ihr euch am Montag den Kopf darüber zerbrechen, was am Samstag bei mir für Seifenblasen geplatzt sind.
Insofern hab ich überhaupt nicht den kritischen Ansatz, sondern den neugierigen Ansatz. Ich tue das, was sich vielleicht jeder Leser wünscht, der ein Buch zur Seite legt: Darüber würde ich gerne mal mit dem Autor sprechen.
Und das ist natürlich ein besonderer Genuss, mit jemandem wie Ferdinand von Schirach zusammenzusitzen und über sein aktuelles Buch zu reden. Das ist eine kleine Essaysammlung, die mich sehr beeindruckt hat, weil dieser Mensch im Gegensatz zu mir die Fähigkeit zu einer knappen Formulierung besitzt, weil der so intelligent und auch ohne Schnörkel schreibt. Also, solchen Menschen dann gegenüberzusitzen, das ist ein Genuss.
Kassel: Aber es wird natürlich genau das passieren, was schon bei "Wetten, dass...?" und anderen Formaten passiert ist, dass man einzelne Sachen auf die Goldwaage legt und das diskutiert wird. Und jetzt haben Sie ja das Problem, dass zwei Gruppen von Leuten zuschauen werden, und davon gehe ich mal aus: Einmal die Kulturinteressierten, die vielleicht sagen, Büchersendungen seh ich gerne, warum das jetzt Gottschalk machen muss, versteh ich nicht ganz, und die Gottschalk-Fans die sagen, Bücher, nicht so mein Ding, aber wennֹ’s Gottschalk macht, dann wird’s bestimmt lustig. Wie kriegt man das unter einen Hut?
"Kein Mensch braucht Lesen im Fernsehen"
Gottschalk: Es ist mir inzwischen wurscht, das ist genau der Punkt, an dem ich angekommen bin. Es wird so viel geschrieben und es wird so wenig gelesen. Die einen pupsen online rum, die anderen schreiben in Zeitungen, die keiner mehr kauft. Früher, zu meinen großen Radiozeiten, bin ich hier in München an immer zwei Zeitungsständen vorbeigefahren – "TZ" und "AZ". Und wenn da die Schlagzeile war, der Gottschalk hat’s hinter sich, dann wurde mir ganz ängstlich zumute, weil ich gedacht hab, das ist die Welt der Medien. Heute zersplittert das alles so.
Und ich sage: Wenn da eine gewisse Anzahl von Menschen durch unglücklichen Zufall oder per Absicht diese Sendung verfolgt und hinterher sagt, ach Gott, das Buch interessiert mich jetzt mal, guck dir mal den Gottschalk an, das war jetzt eigentlich ganz nett – das ist alles, was ich erreichen will.
Ich bilde mir nicht ein, dass ich da nun plötzlich im bayrischen Fernsehen einen Quotenschub erreiche, weil ich lese. , aber ich finde, das öffentlich-rechtliche Fernsehen braucht Themen, die heute zusehends in Vergessenheit geraten.
Und wir wissen alle, dass unsere Kinder nicht genug lesen, und ich bin ohne Not mit Gustav Schwabs "Griechische Sagen: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums" ins Bett gegangen und habe mich dafür interessiert, dass Achilles seinen sterbenden Freund Patroklos in irgendeinem Zelt dort betreut hat. Das fand ich spannend, das braucht heute keine Sau mehr. Aber da habe ich etwas mitgebracht, was meine Kinder nicht mehr geschafft haben. Und wenn da so ein bisschen später Glanz noch zu sehen ist, würde mich das freuen.
Kassel: Aber eins kann ja nun bei dieser Sendung nicht funktionieren: Sie sind bei "Wetten, dass...?" und anderen Format ja von vielen bewundert und von manchen kritisiert worden für einen gewissen Mut zur Verweigerung einer übertriebenen Vorbereitung. Das geht bei so einer Lesesendung nicht, da muss man sich schon vorbereiten, oder?
Zufrieden mit dem Ergebnis
Gottschalk: Na ja, ich muss mich insofern vorbereiten, als ich die Bücher gelesen habe. Und ich wusste auch bei "Wetten, dass...?", wer meine Gäste sind und wie die Wetten aussehen, und mehr braucht man nicht. Ich hab diese Bücher gelesen und bin Gott sei Dank nicht mit einem Ghostwriter versehen worden hier vom Bayerischen Fernsehen, wo man sagen kann, der Mann hat länger Germanistik studiert als du.
Ich habe diese kindliche Neugier mitgebracht, die man Büchern gegenüber hat. Ich war ein bisschen aufgeregt, weil ich den Eindruck hatte, dass alle, die da sitzen, ein bisschen schlauer sind als ich, aber so im Querformat hat das alles ganz gut funktioniert, und ich glaube nicht, dass wir uns blamiert haben mit der Angelegenheit. Also ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem Ergebnis und freue mich darauf, dass es weitergeht.
Kassel: Kann man heute dann überprüfen im Bayerischen Fernsehen, aber wir sind noch nicht ganz durch, jetzt kommt noch die Schnellrunde: Das sind – untypisch für mich – kurze Fragen mit – das ist wieder typisch für mich – der Bitte um kurze Antwort. Hat alles mit Büchern zu tun, aber es sind keine Wissensfragen.
Gottschalk: Um Gottes Willen, also kurze Antworten gibt’s bei mir überhaupt nicht.
Kassel: Man kann es doch versuchen. Ich hab’s jetzt einmal gesagt, jetzt kommt die erste Frage: Kaufen Sie Bücher nach Cover, nach dem ersten Satz oder nach Empfehlungen?
Gottschalk: Nach Empfehlungen oder nach Neugier, was die Autoren betrifft.
Kassel: Wie oft haben Sie schon mal ein Buch nicht zu Ende gelesen?
Gottschalk: Das ist mir ab und zu passiert, wäre mir auch beinah bei einem Buch passiert, das ich heute Abend in der Sendung vorstellen werde, aber das ist genau der Punkt: Wenn man dann zu Ende ist, denkt man, hat sich doch noch gelohnt.
Kassel: Eselsohren im Buch okay oder geht gar nicht?
Gottschalk: Sie sind okay, mach ich auch. Ich bin aber keiner, der da so mit diesen Klebchen arbeitet und schon gar nicht sich mit Filzschreiber dann wichtige Stellen anstreicht.
Kassel: Ihr Verhältnis zur Lyrik?
Gottschalk: Ein durchaus gespanntes. Also meine Lyrik ist vernachlässigenswert.
Kassel: Welches Buch wollen Sie eigentlich schon Ihr ganzen Leben lang lesen und haben es immer noch nicht gemacht?
Gottschalk: "Doktor Schiwago".
Kassel: Ja, warum nicht, vielleicht finden Sie ja dazu noch die Zeit. Wir sind eigentlich durch, aber ich …
Gottschalk: Ich bin auch durch.
Kassel: Ich bin auch durch, aber eine Sache geht mir nicht aus dem Kopf: Das klingt jetzt alles so, was Sie mir gesagt haben, als ob Sie wirklich keine Angst mehr vorm Scheitern hätten.
Gottschalk: Nee!
Kassel: Als ob Sie jetzt wirklich vorbeigehen können an der "TZ", an der "Süddeutschen", an den Internetforen, wenn die schreiben, ja, zu Recht das Fragezeichen im Titel, ich glaub ihm wirklich nicht, dass er liest. Ist Ihnen das wirklich egal, kann man da so weit kommen?
Gottschalk: Ja, ich bin so oft gescheitert. Also ich saß in Berlin mit "Wetten, dass...?", da war ich Mitte 40, da war der Pastewka Gast, da war dann die Schlagzeile: So alt ist Gottschalk also. Da hab ich auch gedacht, oh Gott, jetzt muss ich mich erschießen oder was auch immer. Mir ist so oft das Ende angekündigt worden, mein eigenes, und das Ende des Fernsehens im Allgemeinen, dass ich inzwischen an meine Unsterblichkeit glaube.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.