Thomas Harding: Future History 2050
Aus dem Englischen von Edmund Jacoby
Dokumentation Florian Toperngpong
Verlagshaus Jacoby & Stewart 2020
192 Seiten, 18 €
Geschichtsschreibung aus der Zukunft
06:23 Minuten
Kann man Nachrichten aus der Zukunft erhalten? Wenn ja, wie schickt man eine Botschaft in die Vergangenheit? Und ließe sich auf diesem Weg womöglich in die Geschichte eingreifen? In "Future History 2050" spielt Thomas Harding diesen Gedanken durch.
Berlin 2020. Im Landesarchiv findet der Historiker Thomas Harding Notizen aus der Zukunft, datiert auf das Jahr 2050. Und wir wissen sogar, wie sie aussehen. Es gibt Bilder. Sie stammen von dem Graphiker Florian Toperngpong und sind Teil der literarischen Inszenierung, die darauf zielt, die spielerische Gestaltung der Zukunft so authentisch wie möglich erscheinen zu lassen.
Hundertjährige Großmutter wird befragt
"Es geht um Geschichte", lässt der Autor Thomas Harding den Historiker Thomas Harding schreiben. Die Dokumente erzählen davon, wie die Schülerin Billy Schmidt im Jahr 2050 ihre hundertjährge Großmutter, eine ehemalige Geschichtsprofessorin, befragt, um mehr über die Vergangenheit im Allgemeinen und die Geschichte von Billys Onkel Quentin, einem Umweltaktivisten, der im Gefängnis gestorben sein soll, herauszufinden.
Thomas Harding hat 2014 mit seinem Buch "Hanns und Rudolf" (2014) selbst eine solche Familienrecherche mit historischer Bedeutung vorgelegt. In der Fiktion geht es ihm nun um eine Geschichte der Zukunft. Das ist natürlich keine Geschichtsschreibung, sondern, der Begriff fällt auf der zweiten Seite: Science-Fiction, eine Future-Fiction der Geschichtswissenschaft.
Umkehrung der Perspektive
Pfiffig ist die Umkehrung der Perspektive: Während uns die Frage umtreibt, ob man Botschaften aus der Zukunft empfangen kann, ist das Thema 2050: Wie kann man Botschaften in die Vergangenheit schicken – und zwar so weit zurück, "dass sie dann noch genügend Zeit haben, den SHOCK (sprich: die Umweltkatastrophe, der wir entgegensteuern) zu verhindern, aber nicht so weit, dass sie es nicht mit der Angst zu tun bekommen, wenn sie nichts machen. Wir einigen uns darauf, dass 2020 ideal wäre."
SHOCK oder Ökozid
Science-Fiction lebt aus dem Spiel mit möglichst konkreten Details, die auf einleuchtende und zugleich spektakuläre Weise aus der Gegenwart in eine imaginierte Zukunft verschoben werden. An diesem Spiel ist Harding sichtlich mehr gelegen als am Plot, zumal es der geballten Faust auf dem Cover gar nicht bedurft hätte, um klar zu machen, dass er eine Mission hat, die er mit seinem Personal teilt: den SHOCK, manche reden auch vom "Ökozid", doch noch zu verhindern. Der Versuch zu verstehen, wie es dazu kommen konnte, treibt die jungen Leute in der Zukunft um. Aber vielleicht lässt sich ja sogar noch etwas dagegen unternehmen …
Reiz liegt in der Dynamik
Das Thema ist natürlich hochaktuell: "Seit Beginn der 2020er Jahre", lesen wir zum Beispiel, "kam es immer häufiger zu Ausbrüchen von Virusepidemien. Die eine breitete sich über China aus, die nächste über Spanien, die dritte über Brasilien." Doch das Schicksal von Science-Fiction ist immer, dass der Zukunftsentwurf gewisse Ereignisse nicht voraussehen kann, die die Welt verändern. Genau darum geht es ja. So war das Buch gerade gedruckt, als der Lockdown die Weltgeschichte in eine unerwartete Richtung schubste. Aber das macht nichts, weil der Reiz dieses Buchs in der Ausgestaltung der von ihm selbst entworfenen Dynamik liegt und die spielerische Konstruktion vor allem eines will: Aufrütteln und uns, ob Schülerin oder Hundertjährige, darauf einschwören, den SHOCK doch noch zu verhindern.