Thomas Hettche über

"Weiße alte Männer"

Thomas Hettche über "Weiße alte Männer"
Thomas Hettche © Deutschlandradio / privat
Weiße alte Männer sind selten hübsch, zumal wenn man Nachrichten aus den USA sieht. Bei weisen alten Frauen dagegen denken wir, weil das sprachliche Klischee die Farbe verdrängt, sofort an beeindruckende Großmütter und deren lebenserfahrene Weisheit. Weiß und weise.
Gewalt, die sich der Sprache bedient, richtet sich auf die Umwertung der Bilder, die wir mit den Wörtern verbinden. Weiß wird traditionell mit Reinheit und Unschuld assoziiert und man könnte meinen, es sollte schwierig sein, diesen seit allen Zeiten positiven Begriff anders zu besetzen, und doch ist gerade das in den letzten Jahren geschehen. Und zwar bezeichnenderweise, was die weißen alten Männer angeht, ausdrücklich im Bezug auf ihre Weisheit.
Studenten, hört man, weigern sich, Texte von Platon, Kant und Wittgenstein zu lesen. Die Farbe ihrer Haut wird zum Argument gegen jene, die seit zweieinhalbtausend Jahren nichts anderes sagen, als dass die Hautfarbe und das Alter und das Geschlecht und die Herkunft und die Klasse derer, die miteinander denken, gleichgültig sei.
Man möchte es für einen Scherz halten, doch es ist bitterer Ernst. Wie immer schon gilt es auch heute vor denen auf der Hut zu sein, die noch die Toten töten wollen. Sie wissen genau: Das kann einzig die Sprache. Und gerade an diesem Beispiel zeigt sich die brutale Gewalt sprachlicher Umwertung.
Aus einem "s" wird "ss" und die Formel weiße alte Männer, zumal in der Zuspitzung tote weiße alte Männer, macht in unseren Köpfen aus Philosophen nackte, schwache Körper, deren Haut zu wenig Sonne gesehen und alle Spannkraft verloren hat. Opfer am Rande der Grube, auf die gleich weißer ungelöschter Kalk fallen wird.
"Kalt-Deutsch. Die Sprache der Gegenwart." Deutschlandfunk Kultur nimmt die Veränderungen in der Sprache unserer Gegenwart unter die Lupe und schreibt das Wörterbuch der Alltagssprache weiter.
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