Thomas Hürlimann: Heimkehr. Roman
Verlag S. Fischer, 2018
528 Seiten, 25 Euro
Grandiose literarische Schelmerei
Ein Mann kehrt heim, vielleicht war er auch nie weg. Der Schweizer Thomas Hürlimann beweist mit seinem Roman "Heimkehr", dass er ein Fabuliermeister ist, der die Grenze zwischen Tod und Leben ausmisst. Er hat diese Grenze am eigenen Leib erfahren.
Am Anfang steht ein Unfall, der den Protagonisten ins Koma versetzt, aus dem er zu seiner größten Überraschung auf Sizilien wieder aufwacht. Er gilt hier wegen einer auffälligen Narbe als einer, der er nie war, wird vom Mafiaboss hofiert und ausgestattet und kehrt dann doch auf vielen Umwegen zurück in sein Heimatland, in die Schweiz. Im heimischen Zürcher Intellektuellen- und Medienmilieu hört er sich um, wird nicht erkannt und mit dem fremden Blick der Anderen auch zu einem Anderen. Dabei weiß er, wer er ist: Der Sohn, der Junior eines erfolgreichen Gummifabrikanten, der ihn einst vor die Tür setzte, weil er nur der "Abfall" war, der nicht weit vom Stamm fiel. Dabei hatte er kreativ im elterlichen Unternehmen als Werbemann gearbeitet und die "Wohlfühlhose" für inkontinente Senioren in den Warenkatalog gebracht.
Auf dem Weg zum Vater oder vielleicht auch vom Vater zurück, der ihn nach Jahren wieder heimgerufen hatte, war der Unfall passiert, den dieser Heinrich Übel Junior (der Geburtstag und Jahr mit dem Autor teilt) nun zu rekonstruieren versucht, weil ihm jede Erinnerung daran fehlt. Ein solcher Unfall war auch der Ausgangspunkt für den Roman, wie Hürlimann erzählt hat, die Erfahrung zwischen Leben und Tod zu schweben, habe ihn nie wieder verlassen. Sein Lebensbuch hat er diese Geschichte genannt, an der er 12 Jahre gearbeitet hat, deren Erscheinen wegen einer Krankheit immer wieder verschoben werden musste.
Aus Liebe ins triste Ostberlin verschlagen
Der kluge Autor nutzt die großen Heimkehrthemen der Literaturgeschichte, und wenn man Vergnügen daran findet, kann man die Figuren auf dieser Folie lesen: Den omnipräsenten Vater nennt der Sohn selber Laertes, die Circe wohnt als Hure im Wohnwagen am See, die schöne Aphrodite - Botticelli nachempfunden - steigt hier mit den leuchtend roten Haaren nicht aus einer Muschel, aber nackt aus dem Meer. Sie ist eine eindrucksvolle Erscheinung und überraschenderweise eine aufrechte DDR-Genossin, die am sizilianischen Strand die neueste Innovation ostdeutscher Erfindungskunst dabei hat: Ein drahtloses Telefon in einem Ohrensessel. Dass das die ostdeutsche Wirtschaft nicht mehr retten kann, weiß auch bald der Held, den es aus Liebe schließlich ins triste Ostberlin verschlägt.
Man muss Homer und die Odyssee jedoch nicht parat haben. Bei der Lektüre klingeln auch ohne Vorwissen die Ohren und die Augen gehen einem über, eben war man noch auf einer sinnlichen sizilianischen Beerdigungsfeier, schon ist man im Ostberliner Plänterwald, wo mit Goldstücken auch eine kindlich ersehnte Prinzessinnenpuppe zu haben ist. Hürliman rast durch seine Geschichte, in der auch ein Sophia-Loren-Verschnitt samt Carlo Ponti-Ehemann vorkommt, eine Zürcher Taxizentrale, die die Schaltstelle der Mafia ist - und nicht zuletzt ein geheimnisvoller sprechender Kater, der am Ende auch Autofahren kann.
Immer wieder existenzielle Fragen und Einschübe
Dass man es aber nicht nur mit einer grandiosen überbordenden literarischen Schelmerei zu tun hat, nicht nur mit Übertreibungen und satirischen Figurenzeichnungen, mit Traumwirklichkeiten und der Lust am Absurden, das merkt man immer wieder an den existentiellen Fragen und Einschüben. Man kehrt nie an den alten Ort zurück. Und versucht es doch immer. Am Ende geht die Reise an der Seite des Katers in den Tod - oder auch zurück ins Leben. Wer kann die Wege am Ende dieses großen Fabulierbuchs schon genau ausmessen und deuten.