Grenzen der Gewaltfreiheit
Den Aggressor durch Gewaltlosigkeit demaskieren - radikale Gewaltverweigerung wie bei Mahatma Gandhi funktioniert nicht in jeder Konstellation. © Getty Images / Gamma-Keystone
Das schwierige Ideal des Pazifismus
32:46 Minuten
Erleben wir in Sachen deutscher Pazifismus derzeit wirklich eine Zeitenwende? Für den Philosophen Thomas Kater kommt es dabei darauf an, wie man Pazifismus versteht. Denn der habe viele Spielarten, und nicht alle hätten mit Gewaltverzicht zu tun.
Es sei jetzt vorbei mit dem Pazifismus der letzten Jahrzehnte. Dieser Satz ist angesichts des Kurswechsels der Bundesregierung in Fragen der Aufrüstung der Bundeswehr derzeit oft zu hören.
Aber waren wir wirklich so pazifistisch? Zumindest nicht, wenn man unter Pazifismus versteht, sich von jeder kriegerischen Aktion fernzuhalten, meint der Philosoph Thomas Kater mit Blick auf die Beteiligung der Bundesrepublik an Kriegseinsätzen in Ex-Jugoslawien und bei anderen militärischen Interventionen.
Der Pazifismus hat viele Spielarten
Doch das ist nicht die einzige Lesart des Pazifismus, wie der Professor an der Universität Leipzig deutlich macht: Als politischer Begriff sei Pazifismus „durchaus vielschichtig“ und umfasse Phänomene wie Zielpazifismus, Gesinnungspazifismus, Nuklearpazifismus oder einen verantwortungsethischen Pazifismus. Und nicht alle dieser Spielarten bedeuten die totale Ablehnung von Gewalt.
So sei etwa der Nuklearpazifismus, wie ihn auch Karl Jaspers in „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“ (1958) entwickelte, keine Position, die Militär als solches ablehne, sondern „zunächst einmal die atomare Bewaffnung“, unterstreicht Kater.
Das Heldentum des Angreifers demaskieren
Auch die Pazifisten des frühen 20. Jahrhunderts, etwa Bertha von Suttner und vor allem Alfred Hermann Fried, hätten keine radikale Position der Gewaltverweigerung vertreten, sondern sich "gegen den Militarismus und Bellizismus der deutschen Politik Anfang des 20. Jahrhunderts" gewandt.
Eine originär philosophische radikalpazifistische Position sieht Kater hingegen bei Hans Driesch und dessen Buch „Die sittliche Tat“ (1927).
„Er schreibt dort, er leide Leiden um der sittlichen Realität willen. Der Feind wird bald merken, wie er steht, ja, er wird merken, dass er eine lächerliche Rolle spielt – das Schlimmste, was seinem ‚Heldentum‘ geschehen kann.“
In diesem Szenario nehme der Angegriffene die Position eines „Heroismus des Verweigerns“ ein und lasse sich vom Angreifer überwältigen, „um somit dann, wie es in dem Zitat heißt, den Angreifer in seiner ganzen Lächerlichkeit offenbar werden zu lassen“.
Eine solche Haltung der Gewaltverweigerung hätten auch große Figuren des Pazifismus im 20. Jahrhundert wie Mahatma Gandhi eingenommen, so Kater.
Pazifismus funktioniert nur für Konfliktparteien
Bei militärischen Konflikten funktioniert eine Haltung des Gewaltverzichts allerdings nur für direkt involvierte Parteien: „Wenn wir davon ausgehen, dass es große Verflechtungen gibt, dann ist diese Position der radikalen Gewaltverweigerung ja in letzter Konsequenz gar nicht haltbar."
Letzteres ist dem Philosophen zufolge allerdings die Situation, in der wir uns derzeit befinden: „Nämlich die des Dritten, der sich zu einem Konflikt, einem Krieg verhalten soll und sich in dieser Haltung der Stellungnahme zu diesem Krieg und seiner Position dazu eben nicht verweigern kann“, sagt er. „Das wäre aus grundlegenden moralischen Gründen schlichtweg inakzeptabel.“
(uko)