"Es fehlt eine zivilgesellschaftliche Gegenkultur"
Die Bildungspolitik braucht neue Akzente – vor allem in Sachsen, sagt Thomas Krüger von der Bundeszentrale für politische Bildung. Auch die Schulen seien angesichts von Phänomenen wie der islamfeindlichen Bewegung Pegida gefordert.
Politische Bildung muss stärker und gezielter als bislang gegen Islamfeindlichkeit zu Einsatz kommen, fordert der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger. Im Deutschlandradio Kultur sagte Krüger am Freitag auch im Hinblick auf die Dresdner Anti-Islam-Bewegung Pegida:
"Es fehlt insgesamt eine zivilgesellschaftliche Gegenkultur, spezifisch in Dresden, überhaupt in Sachsen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass in der schulischen Bildung Gemeinschaftskunde, politische Bildung weniger Aufmerksamkeit hat als in anderen Bundesländern."
Die sächsische Bildungspolitik müsse überlegen, neue Akzente zu setzen, denn man habe sich in Sachsen bislang sehr stark auf naturwissenschaftliche und sprachliche Fächer konzentriert.
Politische Bildung für alle
Da, wo bei Pegida-Anhängern Dialogbereitschaft sei, müsse diese auf jeden Fall genutzt werden. Dabei müssten "klare Fakten transportiert werden", um falschen Behauptungen über den Islam und über Muslime entgegen zu wirken. Generell müsse politische Bildung bundesweit alle Zielgruppen dort abholen, wo sie seien. Das gelte beispielsweise auch für Seniorenheime. Was der jungen Generation interaktiv über YouTube und Facebook geboten werden könne, um diese zum Nachdenken über Muslime und zu einer rationalen Auseinandersetzung mit dem Islam anzuregen, könne man den Älteren über Dia-Shows oder Vorträge vermitteln.
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Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Der Anschlag auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" hat auch viele Muslime erschüttert. Die türkisch-islamische Union der Anstalt für Religionen hat wie auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland schon wenige Stunden nach dem Attentat erklärt: Die ausschlaggebende Mehrheit der Muslime in Deutschland fühle sich den Werten der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und dieser Gesellschaft eng verbunden.
Viele Muslime sind deutscher als viele von uns gemeinhin wahrhaben wollen, dennoch scheinen die Vorbehalte gegenüber dem Islam in Deutschland zu wachsen. Die Bertelsmann Stiftung hat ausgerechnet gestern eine Studie veröffentlicht, nach der 57 Prozent der nicht muslimischen Bundesbürger den Islam als Bedrohung empfinden, vier Prozent mehr als noch 2012. Und interessant: Auch die Verbundenheit vieler Muslime gegenüber dem Staat, in dem sie leben, nämlich über 90 Prozent, halten die Demokratie für eine gute Regierungsform. Thomas Krüger ist Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, guten Morgen, Herr Krüger!
Thomas Krüger: Einen schönen guten Morgen!
Brink: Die Gewalt von Terroristen des Islamischen Staates oder Al Kaida im Namen des Islam scheinen ja das Islam-Bild zu beeinflussen. Kann man das ändern?
Krüger: Ja, ich glaube schon, dass man das ändern kann, weil es wichtig ist zu zeigen, wie vielschichtig der Islam ist und wie vielschichtig zum Beispiel auch muslimisches Leben in Deutschland ist. Wir haben in diesem Zusammenhang in der politischen Bildung relativ viel Erfahrung, eine zum Beispiel ist eine gerade tourende Ausstellung, "Was glaubst du denn?! Muslime in Deutschland", die wir derzeit in Frankfurt/Oder zeigen. Das ist eine Ausstellung, die genau auf diesen Punkt abhebt und die sich relativ großer Resonanz erfreut.
Brink: Was passiert denn da? Erzählen Sie mir von Ihren Erfahrungen!
Krüger: Der Ansatz dieser Ausstellung versucht eben, anhand von Biografien deutlich zu machen, wie vielschichtig tatsächlich der Islam in Deutschland ist, und von daher Angebote zu machen, wie sich junge Leute vor allem im schulischen Bereich mit dieser Religion auseinandersetzen können und sie einordnen können. Weil, viele junge Menschen machen nämlich – viel mehr übrigens als ältere – Erfahrungen, Alltagserfahrungen mit dieser Religion in ihrem unmittelbaren schulischen Umfeld, vor allem in den Städten, in denen der Migrationsanteil besonders hoch ist.
Brink: Das ist ja eigentlich eine Sache, die uns oft begegnet. In dem Moment, wo man jemand kennt, löst sich auch diese diffuse Angst auf. Das Islam-Bild der Deutschen – das -zeigt auch diese Studie – hat mit Bildungsniveau oder sozialem Status eher weniger zu tun, entscheidend ist das Alter. Also, die über 55-Jährigen fühlen sich zu 61 Prozent bedroht, während die unter 25-Jährigen nur zu 39 Prozent. Setzen Sie da an mit Ihrer Arbeit?
"Alltagserfahrung spielt eine große Rolle"
Krüger: Ja, das ist ein ganz wesentlicher Faktor. Also, die Alltagserfahrung spielt eine große Rolle dabei, ob man sich sozusagen distanziert fühlt oder Angst hat vor bestimmten Phänomenen. Und Schülerinnen und Schüler, die eben solche Alltagserfahrungen machen, gehen viel entspannter damit um, weil ihre Mitschüler sie jeden Tag erleben und mit ihnen auch unterhalb offizieller Diskussionen Alltagserfahrungen gemeinsam machen und eben sich austauschen darüber. Und damit wird sozusagen das Bild, das Islam-Bild durchlässiger in einer Generation, die einfach jeden Tag damit zu tun hat.
Die Frage ist einfach: Was machen wir sozusagen auf der einen Seite mit jüngeren Leuten, die sich dann radikalisieren? Und auf der anderen Seite, was machen wir mit den Generationen, die viel zu wenig Alltagserfahrung haben? Wie schaffen wir es, da Vorurteile zu nivellieren, wie schaffen wir es, da Angebote an Information zu machen? Und ich glaube, das Entscheidende ist hier, mit politischer Bildung wirklich in die Tiefe der Gesellschaft zu dringen.
Brink: Wie machen Sie das denn, haben Sie Vorschläge? Das ist ja keine neue Erfahrung!
Krüger: Ja, wir versuchen, die verschiedenen Zielgruppen auf den entsprechenden Wegen zu erreichen. Eine ältere Generation wird man über soziale Medien nicht so zwingend erreichen wie eine jüngere Generation.
Bei der jüngeren Generation setzen wir ganz stark darauf, dass die Medien, die genutzt werden, eben auch als Kanäle genutzt werden, um Information zu transportieren, beispielsweise über Youtube, über Facebook entsprechende Angebote zu machen und sie selbst interaktiv zu beteiligen an der Auseinandersetzung mit Fragen der Vielfalt des Islam.
Bei der älteren Generation ist es wichtig, die klassischen Kanäle, aber auch die Orte, in denen sie leben bis hin in die Altersheime hinein als Orte politischer Bildung neu zu entdecken. Da ist, glaube ich, viel aufzuholen, vor allem da, wo wenig Erfahrungen gemacht worden sind.
Brink: Also, Sie sagen ja: Bildung und Alltagserfahrung ist der Schlüssel zu einem differenzierten Islam-Bild. Wie trage ich das jetzt in ... zum Beispiel in ein Altersheim, wie kann das gelingen?
Krüger: In Altersheimen finden relativ viele Veranstaltungsangebote statt, von Dia-Shows bis hin zu Reiseberichten und so weiter. Da ist es doch ein Leichtes, entsprechend mit den Betreibern dieser Einrichtungen zu verabreden, Angebote zu machen, die die Vielfalt dieser Religionen deutlich machen. Und eben nicht nur sozusagen auf eine Religion abheben, sondern durchaus die Vielfalt der Religionen zum Thema zu machen und darüber zu diskutieren. Sie werden auch die Erfahrung machen, dass sehr viel an Feedback und sehr viel an Gesprächsbereitschaft kommt, weil die Neugierde aller Generationen eigentlich in dem Moment, wo Informationen fehlen, in jedem Fall abrufbar ist. Bildung ist ein Szenario, ein Ereignis, was Leute aktivieren kann. Und da muss man sich eben auf die jeweilige Zielgruppe einlassen. Wer das nicht macht, der wird auch keine Ergebnisse erzielen.
Brink: Die Bertelsmann-Studie sagt auch: Die Angst der Deutschen vor dem Islam ist dort am stärksten, wo wenige Muslime leben. Siehe zum Beispiel Pegida in Dresden. Wie erreicht man die?
Kritik an der sächsischen Bildungspolitik
Krüger: Ja, das ist ein sehr interessantes Phänomen, wir wissen da wahrscheinlich noch zu wenig und es gibt auch eine insgesamt noch nicht entschiedene Analyse, ob Pegida ein spezifisches Dresdner Problem ist oder nicht. Meine Meinung ist, dass es eigentlich ein überregionales Phänomen ist, was sich aber spezifisch in Dresden lokal organisiert. Und das hat mit Dresden auch zu tun, das hat zu tun mit den spezifischen Narrativen dieser Stadt, Stichwort 13. Februar, auch die ...
Brink: 13. Februar, also, Sie meinen die Bombardierung Dresdens.
Krüger: Genau, und es ... Dresden hat sozusagen auch eine spezifische Erfahrung, was die DDR-Vergangenheit hat, es fehlt insgesamt eine zivilgesellschaftliche Gegenkultur, spezifisch in Dresden, also überhaupt in Sachsen. Es spielt auch eine Rolle, dass in der schulischen Bildung Gemeinschaftskunde, politische Bildung weniger Aufmerksamkeit hat als in anderen Bundesländern, das ist vielleicht eine Kritik, die man äußern kann, wo die sächsische Bildungspolitik noch mal überlegen muss, neue Akzente zu setzen, denn man hat sich sehr stark auf naturwissenschaftliche und Sprachenfächer konzentriert. Also, es ist wichtig, diese spezifischen Dresdner Faktoren sich anzusehen, aber deutlich zu machen: Wichtig ist, zwei strategische Hebel anzusetzen. Einmal da, wo überhaupt Dialogbereitschaft noch ist – und das ist nicht bei allen Pegida-Anhängern der Fall –, aber da, wo Dialogbereitschaft ist, sollte sie gesucht werden. Mein Kollege Frank Richter von der Landeszentrale für politische Bildung in Sachsen hat das ja immer wieder zum Thema gemacht und versucht. Und das Zweite ist, klare Fakten zu transportieren. Was da an Fakten behauptet wird in Dresden, entspricht ja überhaupt nicht der Realität. Und die klaren Fakten auf den Tisch zu legen, wenn man so will Gegennarrative, die auf Fakten basieren, in die Diskussion zu bringen, Informationen weiterzugeben, das ist, glaube ich, einer der relevanten Punkte für Pegida und Dresden und die Auseinandersetzung damit.
Brink: Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Danke für das Gespräch!
Krüger: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.