Der Fall Thomas Oberender
Streitet alle Vorwürfe gegen ihn ab: der Intendant der Berliner Festspiele, Thomas Oberender. © picture alliance/dpa/Jens Kaläne
Wegschauen und versäumte Kontrolle
09:38 Minuten
Bis Ende des Jahres ist Thomas Oberender noch Chef der Berliner Festspiele. Nach den Vorwürfen gegen ihn wegen Machtmissbrauchs sieht die Journalistin Barbara Behrendt auch Fehler bei Ex-Kulturstaatsministerin Monika Grütters.
Erniedrigung, Willkür, keine Kritikfähigkeit, Hunderte Überstunden, Kranksein wird nicht akzeptiert, mit Folgen wie Schlafstörungen, Tinnitus, Burn-out, Gewichtsverlust – das sind die Vorwürfe ehemaliger Mitarbeiter gegen Thomas Oberender, den Intendanten der Berliner Festspiele.
Nach außen ruhig wirkend
Dass er lange seinen Posten nicht räumen musste – zum Ende des Jahres hat er gekündigt – und auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters nicht früh eingeschritten ist, habe mehrere Gründe, sagt die Kulturjournalistin Barbara Behrendt. Oberender sei politisch sehr gut vernetzt, zudem wirke er nach außen als ruhiger und kluger Intellektueller.
„Alles andere als cholerisch, mit Themen wie Diversität und Geschlechtergerechtigkeit hat er öffentlichkeitswirksam geworben. Das klingt natürlich immer gut.“
Doch nach Recherchen von rbb und dem Fernsehmagazin "Kontraste" sei naheliegend, dass Oberenders nicht ohne Druck kündigte, vermutet Behrendt. Nachdem sich im Frühjahr eine Mitarbeiterin wegen Burn-outs krankgeschrieben habe, soll die Geschäftsführerin der Kulturveranstaltungen des Bundes frühere Mitarbeitende zu Oberender befragt haben. Diese Erfahrungsberichte hätten dann Kulturstaatsministerin Grütters vorgelegt werden sollen.
„Ein paar Wochen später kam die Pressemitteilung, dass Oberender sich neuen Herausforderungen zuwenden wird. Es ist schon seltsam, erst den Vertrag über fünf Jahre zu verlängern, um dann wenige Monate später den Rückzug zu verkünden.“
Kein Einschreiten von Monika Grütters
Oberender streitet alle Vorwürfe ab. Unklar bleibe zudem, ob Grütters von den Vorwürfen schon früh gewusst habe, denn sie äußerte sich dazu nicht auf eine Anfrage vom rbb, so Behrendt.
„Wenn alle paar Monate die Stelle der Referentin der Intendanz öffentlich neu ausgeschrieben wird, wenn es sogar Coachings für Oberender gegeben haben soll, dann sollte die zuständige Kulturstaatsministerin das mitkriegen – vor allem als Vorsitzende des Aufsichtsrats der KBB, zu der die Festspiele gehören.“
Es wäre Grütters Pflicht gewesen, Oberender abzumahnen und nach dessen Führungsproblemen zu fragen, kritisiert Behrendt. Innerhalb von zehn Jahren hätten zwölf Frauen in dessen Vorzimmer gearbeitet und wieder aufgehört. „Bei seinem Vorgänger Joachim Sartorius, der auch zehn Jahre Intendant war, gab es keinen einzigen Wechsel im Vorzimmer.“
Sich durchsetzen, egal wie
Drohgebährden Oberenders soll es auch gegen Männer gegeben haben. Etwa gegen Uwe Gössel, der bis 2014 das Internationale Forum des Theatertreffens geleitet hat: „Oberender habe ihm den Zeigefinger ins Gesicht gehalten und gedroht, er werde beruflich keinen Fuß mehr auf den Boden bekommen, wenn er weiterhin das Gerücht verbreite, dass das Forum abgeschafft wird.“
Noch immer verfügten Einzelne über zu große Macht,
erläutert Thomas Schmidt
, der 2019 die Strukturen im Theaterbetrieb untersuchte. So führten die üblichen Verträge zu großen Abhängigkeiten.
Im Fall Oberenders seien offensichtlich viel zu wenige Menschen am Haus eingeschritten, kritisiert Behrendt. "Wenn im Intendantenzimmer Weinen und Anschreien zu hören ist, wenn Leute im Vorzimmer eine nach der anderen krank werden und kündigen, dann sind doch alle Leitungsebenen - auch die stellvertretende Intendantin - gefragt zu handeln."