Ein Theaterstück, das den Nerv der Zeit trifft
Ein brisanter Stoff, ein politisch denkender Regisseur: Thomas Ostermeiers Theaterfassung von Didier Eribons Buch autobiografischem Bericht "Rückkehr nach Reims" wird in Manchester uraufgeführt. Das Buch habe ihm noch einmal die Macht "sozialer Gewalt" deutlich gemacht, sagt Ostermeier.
Bei seinem Erscheinen im Jahr 2016 sorgte Didier Eribons autobiografischer Bericht "Rückkehr nach Reims" für viel Aufsehen. Heute wird es in einer Theaterfassung als Weltpremiere beim Manchester International Festival gezeigt. Regie führt Thomas Ostermeier, der Intendant der Berliner Schaubühne.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Homophobie, mit der "sozialen Gewalt" von Ausbeutungsverhältnissen und mit dem Phänomen des Populismus – Didier Eribons Vorlage bietet für den Regisseur Ostermeier viel brisanten Stoff. Bei der Theaterfassung handele es sich um ein ganz "spezielles Projekt", erzählt Regisseur Ostermeier im Deutschlandfunk Kultur. Darin würden sich verschiedene erzählende Medien überlagern:
"Also wir haben einmal einen Film gedreht mit Eribon zusammen, in dem er diese Reise noch mal antritt nach Reims zurück. Und (wir haben) diese verschiedenen Orte, die in dem Buch gezeigt werden, besucht, unter anderem auch seine Mutter. Und dieser Film wird dann in dem Bühnenbild, was ein Studio ist, in dem man Filme synchronisiert, übersprochen mit dem Originaltext des Buches von Eribon."
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Homophobie, mit der "sozialen Gewalt" von Ausbeutungsverhältnissen und mit dem Phänomen des Populismus – Didier Eribons Vorlage bietet für den Regisseur Ostermeier viel brisanten Stoff. Bei der Theaterfassung handele es sich um ein ganz "spezielles Projekt", erzählt Regisseur Ostermeier im Deutschlandfunk Kultur. Darin würden sich verschiedene erzählende Medien überlagern:
"Also wir haben einmal einen Film gedreht mit Eribon zusammen, in dem er diese Reise noch mal antritt nach Reims zurück. Und (wir haben) diese verschiedenen Orte, die in dem Buch gezeigt werden, besucht, unter anderem auch seine Mutter. Und dieser Film wird dann in dem Bühnenbild, was ein Studio ist, in dem man Filme synchronisiert, übersprochen mit dem Originaltext des Buches von Eribon."
Nina Hoss und die "Aktivistenbiografie" ihres Vaters
Einer der Stars der Aufführung ist die Schauspielerin Nina Hoss. Sie sei an dem Projekt stark beteiligt gewesen, erklärt Ostermeier. Eine Art Auslöser sei die Zeit ihres Amerika-Aufenthalts während der Trump-Wahl gewesen. Darüber hinaus trage sie ihre eigenen biographischen Erfahrungen in das Theaterstück mit hinein:
"Nina Hoss erzählt von dem Leben ihres Vaters, der in Westdeutschland als Kommunist angefangen hat, dann zu den Mitbegründern der Grünen gehörte und am Ende seines Lebens viele Jahre im Regenwald im Amazonas gearbeitet hat. Und sie konterkariert noch mal diese Biografie von Didier Eribon mit einer eigenen konkreten Aktivistenbiografie ihres Vaters."
"Nina Hoss erzählt von dem Leben ihres Vaters, der in Westdeutschland als Kommunist angefangen hat, dann zu den Mitbegründern der Grünen gehörte und am Ende seines Lebens viele Jahre im Regenwald im Amazonas gearbeitet hat. Und sie konterkariert noch mal diese Biografie von Didier Eribon mit einer eigenen konkreten Aktivistenbiografie ihres Vaters."
Die eigene Biografie als "Mechanismus auf soziale Verhältnisse"
Ostermeier sprach auch über die Faszination, die das Buch von Eribon auf ihn ausgeübt habe. "Mensch, ein Glück, es gibt noch andere wie mich", habe er nach der ersten Lektüre des autobiografischen Berichts gedacht. Die Flucht der Hauptfigur aus seiner Heimatstadt Reims sei eine Reaktion auf die im Elternhaus erfahrenen schwierigen sozialen Verhältnisse, die wiederum von der "sozialen Gewalt der konkreten Ausbeutungsverhältnisse" bestimmt gewesen sei. Die Lektüre haben für ihn einen Erkenntniswert gehabt, beschriebt Ostermeier - auch in Bezug auf die eigene Biografie:
"Und dann sich klarzumachen, dass die eigene Biografie auch durchaus ein Mechanismus auf soziale Verhältnisse ist. Also dass ein Weg in die intellektuelle Biografie in der Großstadt nicht unbedingt eine Befreiung darstellen muss, sondern eigentlich auch ein Muster ist, dem man folgt."
"Und dann sich klarzumachen, dass die eigene Biografie auch durchaus ein Mechanismus auf soziale Verhältnisse ist. Also dass ein Weg in die intellektuelle Biografie in der Großstadt nicht unbedingt eine Befreiung darstellen muss, sondern eigentlich auch ein Muster ist, dem man folgt."
Phänomene des Populismus
Das Buch "Rückkehr nach Reims" von Didier Eribon treffe in vielen Punkten den Nerv der Zeit - von der Homophobie über Phänomene des Populismus bis hin zum Versagen der Linken in Europa, so die Interpretation von Ostermeier:
"Also ich habe eine sehr schöne Begegnung gehabt mit einem schwulen Paar, die danach zu mir kamen – Homosexualität spielt ja in dem Stoff eine sehr große Rolle. Die danach zu mir gesagt haben, 'Everybody in the world should see this play'. Also ich habe schon das Gefühl, dass es etwas trifft, was Phänomene des Populismus versucht zu greifen, das Versagen der Linken und die Verantwortung für den Aufstieg der Rechten auf der Seite der Linken in Europa zu beschreiben und tiefer zu analysieren." (ue)
"Also ich habe eine sehr schöne Begegnung gehabt mit einem schwulen Paar, die danach zu mir kamen – Homosexualität spielt ja in dem Stoff eine sehr große Rolle. Die danach zu mir gesagt haben, 'Everybody in the world should see this play'. Also ich habe schon das Gefühl, dass es etwas trifft, was Phänomene des Populismus versucht zu greifen, das Versagen der Linken und die Verantwortung für den Aufstieg der Rechten auf der Seite der Linken in Europa zu beschreiben und tiefer zu analysieren." (ue)
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Frankreich, Deutschland, Großbritannien – es ist ein Dreisprung, den dieser heutige Theaterabend wagt: aus Frankreich kommt die literarische Vorlage. In "Rückkehr nach Reims" beschreibt der Philosoph Didier Eribon, wie er zum ersten Mal nach Jahrzehnten wieder in seine Heimatstadt fährt, weil sein Vater stirbt.
Diese Begegnung zeichnet einen Film nach, für den unter anderem der deutsche Regisseur Thomas Ostermeier verantwortlich ist. Und der bringt "Rückkehr nach Reims" jetzt auch auf die Bühne, und zwar in Manchester. Guten Morgen, Herr Ostermeier!
Thomas Ostermeier: Ja, guten Morgen!
Welty: Das, was ich gerade versucht habe zu skizzieren, das lässt ja die Vielschichtigkeit des Vorhabens ja schon ahnen. Was genau bringen Sie heute Abend auf die Bühne?
Ostermeier: Es ist in der Tat ein ein bisschen spezielles Projekt, weil verschiedene erzählende Medien sich überlagern. Also wir haben einmal einen Film gedreht mit Eribon zusammen, in dem er diese Reise noch mal antritt nach Reims zurück. Und (wir haben) diese verschiedenen Orte, die in dem Buch gezeigt werden, besucht, unter anderem auch seine Mutter. Und dieser Film wird dann in dem Bühnenbild, was ein Studio ist, in dem man Filme synchronisiert, übersprochen mit dem Originaltext des Buches von Eribon.
Nina Hoss bringt ihre biografischen Erfahrungen mit ein
Also Nina Hoss ist zu sehen, wie sie gemeinsam mit einem Filmregisseur an der Montage, an dem Schnitt sitzt und die Originaltexte drüberspricht. Und dann fangen die beiden an, sich in die Haare zu kriegen darüber, wie man diese Geschichte erzählt.
Und Nina Hoss bringt ihre eigenen biografischen Erfahrungen mit ein und erzählt von dem Leben ihres Vaters, der in Westdeutschland als Kommunist angefangen hat, dann zu den Mitbegründern der Grünen gehörte und am Ende seines Lebens viele Jahre im Regenwald im Amazonas gearbeitet hat. Und (Nina Hoss) konterkariert noch mal diese Biografie von Didier Eribon mit einer eigenen konkreten Aktivistenbiografie ihres Vaters.
Welty: Jetzt ist der Name schon gefallen: Nina Hoss, die Hauptdarstellerin. Dieser Name sorgt in Deutschland ja mindestens für einen Raunen in der Theaterwelt. Wie ist das in Manchester?
Ostermeier: Es ist in Manchester so, dass nach einer Vorstellung immer viele Leute auf sie zukommen und mir ein Selfie machen wollen.
Auseinandersetzung mit Le Pen, der AfD und dem Brexit
Welty: Also Sie haben den Star schon mitgebracht.
Ostermeier: Na ja, es hat natürlich auch damit zu tun, dass Nina an der Entstehung des Projekts sehr stark beteiligt war. Diese Kooperation hat nicht so viel mit dem Star Nina Hoss zu tun. Sondern es hat ganz viel damit zu tun, dass als wir beide anfingen, über dieses Projekt zu reden, sie in Amerika war – das war während der Wahlen zu Trump –, und dann auch bei der Ernennung zum Präsidenten war sie eben da und hat diese ganze Unruhe, Women’s March und die ganze Aufregung auch in den intellektuellen Kreisen an der Ostküste mitbekommen.
Und so haben wir beide gesagt, wir müssen jetzt ein Projekt machen, was sich mit diesem Phänomen (beschäftigt), was wir in Europa mit Le Pen und Orban und AfD und Brexit auch durchaus haben. Wir müssen uns mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Deswegen ist Nina die Schauspielerin für dieses Projekt.
Und so haben wir beide gesagt, wir müssen jetzt ein Projekt machen, was sich mit diesem Phänomen (beschäftigt), was wir in Europa mit Le Pen und Orban und AfD und Brexit auch durchaus haben. Wir müssen uns mit diesem Phänomen auseinandersetzen. Deswegen ist Nina die Schauspielerin für dieses Projekt.
"Die soziale Gewalt der Ausbeutungsverhältnisse"
Welty: Sie haben gesagt, es gibt biografische Parallelen, Merkmale des Wiedererkennens zwischen Hoss und Eribon. Wo sind diese Merkmale des Wiedererkennens zwischen Ostermeier und Eribon?
Ostermeier: Als ich das Buch zugeschlagen habe nach meiner ersten Lektüre, habe ich mir gedacht: Mensch, ein Glück, es gibt noch andere wie mich. Vor allen Dingen die Tatsache, dass, wie Eribon sich ja auch beschreibt als jemand aus einem Hintergrund Arbeiterklasse: schwierige soziale Verhältnisse, Gewalt zu Hause.
Dass man mit seiner Biografie als jemand, der in die Großstadt aufbricht und sich in einem anderen Milieu – in meinem Fall eher im künstlerischen Milieu, in seinem Fall im Intellektuellenmilieu – versucht durchzusetzen, dass das eine Flucht ist und dass es im Endeffekt sogar auch eine Reaktion ist auf soziale Gewalt, die er in dem Buch eben beschreibt bei seiner Familie, bei seinen Eltern.
Die soziale Gewalt der konkreten Ausbeutungsverhältnisse - am Fließband zu stehen und am Fließband zu arbeiten, im Falle seines Vaters sogar zwei Jobs zu haben: Morgens in der einen Fabrik am Fließband zu stehen und nachmittags bis in den späten Abend noch mal an einer anderen zu stehen, weil das Geld nicht reicht. Und viele andere Dinge, die diese Biografie bestimmen.
Und dann sich klarzumachen, dass die eigene Biografie auch durchaus ein Mechanismus auf soziale Verhältnisse ist. Also dass ein Weg in die intellektuelle Biografie in der Großstadt nicht unbedingt eine Befreiung darstellen muss, sondern eigentlich auch ein Muster ist, dem man folgt.
Dass man mit seiner Biografie als jemand, der in die Großstadt aufbricht und sich in einem anderen Milieu – in meinem Fall eher im künstlerischen Milieu, in seinem Fall im Intellektuellenmilieu – versucht durchzusetzen, dass das eine Flucht ist und dass es im Endeffekt sogar auch eine Reaktion ist auf soziale Gewalt, die er in dem Buch eben beschreibt bei seiner Familie, bei seinen Eltern.
Die soziale Gewalt der konkreten Ausbeutungsverhältnisse - am Fließband zu stehen und am Fließband zu arbeiten, im Falle seines Vaters sogar zwei Jobs zu haben: Morgens in der einen Fabrik am Fließband zu stehen und nachmittags bis in den späten Abend noch mal an einer anderen zu stehen, weil das Geld nicht reicht. Und viele andere Dinge, die diese Biografie bestimmen.
Und dann sich klarzumachen, dass die eigene Biografie auch durchaus ein Mechanismus auf soziale Verhältnisse ist. Also dass ein Weg in die intellektuelle Biografie in der Großstadt nicht unbedingt eine Befreiung darstellen muss, sondern eigentlich auch ein Muster ist, dem man folgt.
Reaktionen des Publikums in Manchester auf die Previews
Welty: Es gab vor der Welturaufführung heute schon heute einige Previews. Wie hat das Publikum in Manchester reagiert? Das ist eine Stadt, die sowohl das Licht als auch den Schatten von Industrialisierung gut kennt und nicht zuletzt durch das Attentat am 22. Mai erschüttert wurde.
Ostermeier: Ich sehe da keinen Zusammenhang zwischen dem Attentat am 22. Mai und der Geschichte des Kapitalismus. Oder für das, wofür Manchester steht, als die Stadt, in der Engels geschrieben hat und maßgebliche Studien zum Kapitalismus angestellt hat.
Die Reaktionen des Publikums waren erstaunlich positiv. Erstaunlich positiv deswegen, weil der Abend doch sich eben sehr stark auf das Denken und die Philosophie und die soziologische Analyse dieses Textes einlässt. Ich glaube er ist herausfordernd in seiner Komplexität. Also man muss sich schon sehr konzentrieren, um den Ganzen zu folgen.
Didier Eribons Auseinandersetzung mit dem Thema Homophobie
Also ich habe eine sehr schöne Begegnung gehabt mit einem schwulen Paar, die danach zu mir kamen – Homosexualität spielt ja in dem Stoff eine sehr große Rolle. Die danach zu mir gesagt haben, 'Everybody in the world should see this play'.
Also ich habe schon das Gefühl, dass es etwas trifft, was Phänomene des Populismus versucht zu greifen, das Versagen der Linken und die Verantwortung für den Aufstieg der Rechten auf der Seite der Linken in Europa zu beschreiben und tiefer zu analysieren.
Ich habe das Gefühl, das trifft hier auf sehr fruchtbaren Boden. Hat mich überrascht, weil ich war auch skeptisch, auch nicht ganz sicher, dass das aufgehen kann. Muss man sehen, ob das dann die Kritik morgen ähnlich beurteilt. Aber im Moment bin ich nach den ersten Reaktionen in den Voraufführungen relativ zuversichtlich.
Deutschlandpremiere - am Tag der Bundestagswahl
Welty: Im Herbst kommt "Rückkehr nach Reims" nach Berlin. Deutschlandpremiere ist ausgerechnet der Tag der Bundestagswahl.
Ostermeier: Absichtlich.
Welty: Warum absichtlich?
Ostermeier: Ja, weil der Abend versucht, zum Teil auch historisch über Politik der letzten 20, 30 Jahre nachzudenken. Darüber nachzudenken, was die unterschiedlichen sozialdemokratischen Regierungen (newikrt haben). Die ja in der Verantwortung standen, angefangen mit Mitterand Beginn der 80er-Jahre, dann mit Blair, mit Schröder, mit Zapatero, vielleicht bis zu den Ausläufern mit Hollande jetzt, eine echte Änderung im Wortschatz, aber auch im Denken und in den Prioritäten linker oder sozialdemokratischer Politik stattgefunden hat.
Und deswegen ist das ein Abend, der darüber nachdenkt. Und wir konnten uns nichts Besseres vorstellen als, nachdem die ersten Hochrechnungen bei der Bundestagswahl raus sind und man sich mit der Frage auseinandersetzen muss, warum Schulz es nicht geschafft hat, dann in diesen Abend zu gehen und vielleicht so eine kleine Antwort darauf zu bekommen.
Welty: Die Deutschlandpremiere von "Rückkehr nach Reims" also am 24.9. Heute aber Welturaufführung in Manchester. Und vorher Regisseur Thomas Ostermeier im "Studio 9"-Gespräch. Haben Sie herzlichen Dank!
Ostermeier: Ja, ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.