Thomas Pletzinger: "The Great Nowitzki"

Ganz nah dran und doch unbegreiflich

06:00 Minuten
Das Buchcover zeigt Dirk Novitzkis Kopf im Halbprofil vor dunklem Hintergrund.
© Verlag Kiepenheuer & Witsch / Deutschlandradio
Von Moritz Behrendt |
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Er ist einer der weltbesten und der bekannteste deutsche Basketballer: Der Würzburger Dirk Nowitzki wurde in der amerikanischen NBA zum Star. Thomas Pletzingers Biografie über den Ausnahmesportler ist stets nah dran und vor allem: große Literatur über Sport.
Der Flamingo-Fadeaway war Dirk Nowitzkis Markenzeichen. Ein einbeiniger Sprungwurf, tausendfach wiederholt, berechenbar und doch nicht abwehrbar. Nowitzkis Biograph Thomas Pletzinger geht es ein wenig wie den Gegnern des besten deutschen Basketballspielers der Geschichte: Er ist eng am Mann und dennoch bleibt Nowitzki in entscheidenden Momenten unbegreiflich.
Das schmälert die Qualität des Buches aber keineswegs. Denn wie sich Pletzinger dem Phänomen Nowitzki nähert, ist schlichtweg grandios.

Gespür für Dramaturgie

Als teilnehmender Beobachter hat er Nowitzki über Jahre begleitet, auf Auswärtsspiele, zu Werbetrips und zum täglichen und sehr speziellen Einzeltraining, ob in Randersacker bei Würzburg, in Dallas oder in Shanghai.
Dirk Nowitzki sitzt auf der Couch in einem Hotelzimmer und schaut ein NBA-Spiel auf einem Fernseher.
Als teilnehmender Beobachter hat er Nowitzki über Jahre begleitet, auf Auswärtsspiele, zu Werbetrips und zum täglichen und sehr speziellen Einzeltraining, ob in Randersacker bei Würzburg, in Dallas oder in Shanghai.© Tobias Zielony
Pletzinger schreibt mit zielsicherem Gespür für Timing und Dramaturgie. Die Beschreibung eines einzigen Basketballs-Moves kann eine Seite umfassen, dann geht es wieder ganz schnell.
Sein Buch hat Rhythmus, ist inspiriert von Musik, wie der Basketball selbst. Pletzinger fängt die essenziellen Momente von Nowitzkis Karriere ein, ohne jemals auf Klischees zurückzugreifen: Verlorene Endspiele, der Titelgewinn in der NBA mit den Dallas Mavericks, Verletzungen und der Kampf zurück, das lang erwartete Karriereende.

Wie konnte Nowitzki das Spiel revolutionieren?

Pletzinger, früher selbst ein sehr guter Basketballer, fragt sich ständig, wie Nowitzki nicht nur ein herausragender Sportler werden konnte, sondern einer, der das Spiel revolutioniert hat. Die Suche nach der Antwort führt ihn immer wieder zum Spezialtraining von und mit Holger Geschwindner: Das hatte viel mit Routine und größtmöglicher Konzentration zu tun, aber auch mit Musik, Literatur und Mathematik, mit der Frage, wie man sich innerhalb der Regeln und Konventionen den größtmöglichen Grad an Freiheit erhalten kann, in bestimmten Spielsituationen und ganz grundsätzlich im Leben.
"The Great Nowitzki" ist daher keine reine Sportlerbiographie, sondern große Literatur über Sport und wie man ihn lesen kann, geschult an großen amerikanischen Schreibern wie David Foster Wallace, beglaubigt durch die eigene tausendfache Beobachtung in Sporthallen und am Bildschirm.

Ganz nah dran an Nowitzki

Pletzinger hat mit den wichtigen Wegbegleitern Nowitzkis gesprochen. Mit dessen genialem Mitspieler Steve Nash etwa philosophiert er darüber, was es für Spitzensportler bedeutet, wenn ihre Fähigkeiten langsam schwinden. Vor allem aber ist er ganz nah dran an Nowitzki.
Dieser Zoom, die Form der teilnehmenden Beobachtung ist ohne blinde Flecken nicht möglich. Das gesteht auch Pletzinger ein. Dass er die wenigen Skandälchen Nowitzkis nicht weiter vertieft, geschenkt. Schade ist aber, dass er Fragen nach Sport und Politik, nach dem Umgang mit Rassismus in den letzten Jahrzehnten in den USA nur streift.
Christoph Ribbat hat mit seiner phänomenalen Biographie von Wilbert Olinde gezeigt, wie ein Sportlerleben als Zeitgeschichte gelesen werden kann. Pletzinger hat einen anderen Ansatz gewählt. Bei ihm wird aus einer großen Karriere kluge, gedankenanregende Literatur.

Thomas Pletzinger: "The Great Nowitzki. Das außergewöhnliche Leben des großen deutschen Sportlers"
Mit zahlreichen Fotografien von Tobias Zielony
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2019
512 Seiten, 26 Euro

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