Max Frisch - Wie sie mir auf den Leib rücken! Interviews und Gespräche
Herausgeber Thomas Strässle
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
238 Seite, 22,00 Euro
Ein erstaunlich uneitler Autor
Das Theaterstück "Biedermann und die Brandstifter" und die Roman "Stiller", sowie "Homo Faber" haben den Schweizer Schriftsteller Max Frisch einem breiten Publikum bekannt gemacht. Thomas Strässle hat jetzt mit zum Teil bisher unveröffentlichte Gespräche mit ihm veröffentlicht.
Niemand verabscheute die Festlegung so sehr wie Max Frisch. Die Sehnsucht, immer wieder ein anderer zu werden, ist sein großes Thema. Dem von Zuschreibungen umstellten Menschen den Ausweg aus einer Welt zu zeigen, die mit jedem Tag enger wird – das sah er als Aufgabe der Literatur. Wie Canetti gegen den Tod anschrieb, so Frisch gegen die Versteinerung zu Lebzeiten.
Deshalb hatte er auch Probleme mit Interviews: Überdruss angesichts der immer gleichen Fragestellungen, bei denen die zunehmend routinierten Antworten zu Stereotypen der Selbstauslegung zu werden drohten. "Wie sie mir auf den Leib rücken" heißt nun ein Band mit ausgewählten Frisch-Interviews aus den Jahren 1959-1889, die ansonsten kaum noch zugänglich sind. Der Titel zitiert eine Formulierung Frischs aus einem Gespräch mit dem Literaturkritiker Fritz J. Raddatz und drückt die Aversion ("Langsam wird’s blöd…") gegenüber nervig bohrenden, den Autor entlarven wollenden Fragen aus. Dennoch ließ sich Frisch immer wieder auf lange Interviews ein. Er begriff es als Glücksumstand, dass so viele Leser Auskunft von ihm wollten, weil sie sich in seinen Werken wiedererkannten.
Ein reiches Repertoire an Reflexionen
Die Interviews wünschte er sich als Gespräche ohne Frage-Antwort-Ritual. Beim Lesen hat man aber den Eindruck, dass seine Äußerungen bedachter und sorgfältiger formuliert sind, als es bei spontaner wörtlicher Rede üblich ist. Auch ohne Konzept hatte er ein reiches Repertoire an Reflexionen abrufbereit im Kopf. Wie Frisch seine Gedanken aber immer wieder in andere Kontexte stellt und ganz verschiedene Aspekte eines Themas ins Auge fasst, zeigt exemplarisch das 1967 geführte Gespräch über die Erscheinungsformen des Hasses, den er eben nicht nur als destruktive Kraft begreift.
Es geht in diesem Band um Werkstattfragen und lebensphilosophische Problematiken, um die Grundmotive der Romane und das Verständnis vom Theater, um die Parabel als Gegenmittel gegen allzu platten Realismus und den Zusammenhang von Alter und Resignation. Unausweichlich aber geht es seit den späten 60er-Jahren auch um das Verhältnis von Literatur und Politik. Der spätere Max Frisch fühlte sich zugehörig zu einer Intellektuellen-Generation, die der "Glauben an den Sozialismus" verband. Seine Schweiz-Kritik sorgte für viel Unmut, gerade weil sie viel Beachtung fand.
Und schon sprießen die Mikrofone
Trotzdem fällt auf, dass er politische Forderungen an die Schriftsteller zurückweist, wenn sie das Werk einzuengen drohen. "Da kommen immer wieder Leute, die meinen, der Onkel Max (…) soll auf die Barrikaden", spottet er einmal. Der literarische Erfolg stifte "eine Hochachtung auch in Kreisen, wo man nicht genau weiß, was den Mann eigentlich auszeichnet". Und schon sprießen die Mikrofone: "Das ist nicht ohne Komik. Das literarische Werk gibt Autorität auf einem Gebiet, wo man sich nicht ausgewiesen hat." Angesichts der "Politisierung" plädiert er deshalb schon 1967 gegenüber Dieter E. Zimmer für eine "Reprivatisierung" der Literatur.
Diese Gespräche zeigen einen sympathischen und erstaunlich uneitlen Autor, der auch das Geheimnis verrät, wie man unter dem Druck des Weltruhms produktiv bleibt: "Beim Schreiben vergesse ich meistens, dass ich im Namen von Max Frisch arbeite, und dann fühle ich mich wohler."