Lee Child: "Wespennest"
Aus dem Amerikanischen von Wulf Bergner,
Blanvalet, München 2014
445 Seiten, 19,99 Euro
Einsamer Held in Nebraska
Eine Stadt in Nebraska lebt in Angst vor einer Gruppe von Verbrechern. Plötzlich strandet ein einsamer Fremder in der Präriestadt und tritt den Tyrannen entgegen: Es ist Jack Reacher, der ewige Held in Lee Childs Romanen.
"Wespennest" ist der fünfzehnte auf Deutsch erschienene Roman um Jack Reacher, den Helden de Luxe für aufgeklärte Geister. Erfunden hat den Einzelgänger ohne Wohnsitz, ohne soziale Bindungen und ohne Besitz der Brite Lee Child. Es gibt wohl nur wenige Schriftsteller, denen bei solch einer langen Serie nicht der Atem ausgehen würde. Child gehört zu ihnen.
Jack Reacher ist so etwas wie die Personifikation der Zivilgesellschaft. Er mischt sich ein, ungefragt, ohne Auftrag, ohne Mandat, wenn er Unrecht wittert oder Zeuge böser Taten wird. Allerdings ist er ein sehr militanter Vertreter dieses Einmischungsprinzips - als ehemaliger Militärpolizist ist er mit Gewalt innig vertraut und setzt sie selbstverständlich als Option sozialen Handelns ein. Das ist schlecht für die Schurken, die sich für die Inhaber des Gewaltmonopols halten, wenn sie anständige Leute tyrannisieren.
Einsames Hotel und nackte Gewalt
In "Wespennest" ist Reacher in Nebraska gestrandet. Flaches, dünnbesiedeltes Land, wir können uns die Gegend in etwa so vorstellen wie die Landschaft in "Fargo", dem Country-Noir-Film par excellence der Coen-Brüder. Ein einsames Motel leuchtet wie ein Ufo im unendlichen All, die Autoscheinwerfer schneiden nachts Lichtschneisen durch die klare Luft wie Linien auf abstrakten Gemälden, aber die Verhältnisse, mit denen Reacher es zu tun bekommt, sind höchst kompliziert.
Denn so einsam und isoliert Nebraska auch zu sein scheint, so autokratisch und allmächtig die Lokaltyrannen die Bevölkerung mit Hilfe nackter Gewalt im Griff haben - eingebunden in das weltweite Netz des organisierten Verbrechens ist auch die tiefste Provinz. Klar, dass Reacher sich sofort mit dem unangenehmen Clan anlegt, der die Gegend nach Gutsherrenart beherrscht. Aber er stört zudem wichtige, große Geschäftspartner des Clans, und das passt den Bossen ganz und gar nicht.
Kein Gutmenschen-Roman
Nun wird es in Nebraska fast slapstickhaft komisch: Gleich drei Verbrecherorganisationen entsenden drei Killerpärchen in die Great Plaines, um erst Reacher und dann ihre mörderische Konkurrenz umzubringen. Eine Menge Arbeit für Reacher, der es dennoch schafft, nebenbei noch einen alten Entführungsfall aufzuklären. Damit belohnt er nicht zuletzt die Zivilcourage einer älteren Frau, die ihn unterstützt und dabei Leib und Leben riskiert. Auch das ein Merkmal von Reacher-Romanen: Zivilcourage ist ein hohes Gut, und Child feiert es, so oft es geht und gern mit den reichlich vorhandenen starken Frauengestalten, die ohne femme-fatale-Klischees gezeichnet werden.
Aber bevor jemand auf die Idee kommt, "Wespennest" sei ein "Gutmensch"-Roman: "Wespennest" ist ein eisiger, clever kalkulierter Thriller, intellektuell brillant, lakonisch und mit einem säureklaren Blick auf die realen Verhältnisse unserer Zeit. Kein Wunder, dass Gewalt in einem solchen Konzept eine zentrale Rolle spielen muss. Lee Child erklärt nichts, sondern setzt alles in action um. Perfekt.