Thriller

Jede Menge Blut und Whisky

Ein Wüstenabschnitt in Texas.
Die Geschichte ist nur die Spielfläche, auf der Pizzolatto sein literarisches Talent zum Leuchten bringt. © picture alliance / dpa / Karl-Heinz Eiferle
Von Philipp Albers |
Dem amerikanischen Autor Nic Pizzolattos ist mit "Galveston" ein großer Wurf über die existenzielle Verlorenheit gelungen. In dichten, wuchtigen Bildern zeigt er die dunkle Unterseite des amerikanischen Traums. Der Roman ist jetzt auf Deutsch erschienen: berührend.
Anfangs scheint alles klar: Es läuft nicht gut für Roy Cady, der als kleiner Geldeintreiber und Killer für einen schmierigen Mafioso in New Orleans arbeitet. Der Arzt diagnostiziert Lungenkrebs bei ihm, sein Boss hat ihm seine Freundin weggeschnappt und lässt ihn in eine scheinbar tödliche Falle laufen. Klassisches Noir-Material, in jede Menge Blut und Whisky getunkt.
Cady gelingt es, seine Haut zu retten und gabelt dabei eine junge Ausreißerin namens Rocky auf. Fortan sind die beiden auf der Flucht. Das ungleiche Paar, zu dem sich bald noch Rockys dreijährige Schwester Tiffany gesellt, schlägt sich von Louisiana nach Texas durch, genauer nach Galveston, einer lang gezogenen Insel vor Houston. Was sich daraus entspinnt, reicht weit über die Konventionen des Genres hinaus.
Galveston ist der bereits 2011 in den USA publizierte Debütroman von Nic Pizzolatto. Berühmtheit erlangte der Autor dieses Jahr als Schöpfer der gefeierten, vom amerikanischen Bezahlsender HBO produzierten Fernsehserie True Detective. Darin versuchen Matthew McConaughey und Woody Harrelson eine Serie von bizarren Ritualmorden in der Schwüle des amerikanischen Südens aufzuklären. Mehr noch als die Story faszinierten die düster inszenierten Landschaften und der nihilistische Machismo, mit dem der in einem fort Bierdosen kippende McConaughey über die Nichtigkeit des Menschen in einem kalten, sinnentleerten Universum schwadroniert. Auch in "Galveston" bildet das Genre des Noir-Thrillers nur die Spielfläche, auf der Pizzolatto sein literarisches Talent zum Leuchten bringt.
Die Vergangenheit - wie eine Trübung
Vor allen Dingen ist "Galveston" ein Roman über die Gewalt der Erinnerung. Geschickt verwebt Pizzolatto zwei Zeitebenen - auch darin ähnelt der Roman der Serie. Zwanzig Jahre nach den Erlebnissen mit Rocky lebt Roy Cady wieder auf Galveston. Dem Whisky hat er abgeschworen und wartet nur noch auf den Tod, denn die alten Geschichten lassen ihn nicht los. "Die Vergangenheit ist nicht real" sagt er sich und wird doch jeden Tag von ihr heimgesucht. Und die Dämonen der Vergangenheit rücken immer näher, während der verhängnisvolle Hurrikan Ike langsam auf "Galveston" zurollt. Und so erkennt er am Ende, "dass die Vergangenheit sich wie eine Trübung oder wie ein Erinnerungsschorf über die Augen legt. Und eines Tages bricht das Licht sich Bahn."
Pizzolattos ist ein großer Wurf über existenzielle Verlorenheit gelungen, eingetaucht in verwaschene Farben. In dichten, wuchtigen Bildern zeigt er die dunkle Unterseite des amerikanischen Traums. Der trostlose Küstenstreifen zwischen Louisiana und Texas mit seinen Bayous und Ölraffinerien, Trailerparks und billigen Motels, einsamen Highways und Tankstellen - zerfressen vom Salz des Ozeans, von Stürmen und Hitze, vor allem aber von den Verheerungen der industriellen Zivilisation - ist dabei mehr als bloße Kulisse. Diese postapokalyptischen Brachen werden hier zur Seelenlandschaft der Ausgestoßenen und Gestrandeten.
"Du bist erst du, wenn du tot bist. Aber ich lebe noch", sagt Cady. Trotz Gewalttätigkeit und schonungslosem Pessimismus gestattet Pizzolatto seinen Figuren eine berührende, zart-vernarbte Melancholie.

Nic Pizzolatto: Galveston
Aus dem Amerikanischen von Simone Salitter und Gunter Blank
WALDE+GRAF bei METROLIT, Berlin 2014
253 Seiten, 20,00 Euro