Thüringen

Bürgermeisterwahl ohne Kandidat

Döbritschen in Thüringen
Wahllokal im Dorf Döbritschen in Thüringen. © Deutschlandradio Kultur / Foto: Henry Bernhard
Von Henry Bernhard |
In Thüringen wurden gerade die Bürgermeister gewählt. Für 543 Orte gab es 652 Bewerber. In vielen Gemeinden war es schwer, Kandidaten für den ehrenamtlichen Job zu finden. Korrespondent Henry Bernhard war am Wahltag in Döbritschen, einem Dorf mit 202 Einwohnern.
"Ich muss meinen Wahlzettel noch mitnehmen…"
Horst Hallmeyer schnappt sich Schlüssel und Wahlzettel. In einer Stunde schließt das Wahllokal. Ein neuer Bürgermeister soll gewählt werden. Noch ist es Hallmeyer. Aber er will nicht noch mal.
"Na ja, ich werde dieses Jahr 80 und bin gesundheitlich nicht mehr so fit. Da möchte ich schon mich langsam zurückziehen."
Die Knie wollen nicht mehr so recht erzählt er als er mich durch sein Dorf führt. Döbritschen, irgendwo zwischen Jena und Weimar. 250 Einwohner, kein Durchgangsverkehr, Vogelgezwitscher. 19 Jahre war Hallmeyer hier Bürgermeister. Mit einer Unterbrechung die ganze Zeit seit 1989. Um die zehn Stunden Arbeit waren das pro Woche, zusätzlich zu den 60 Stunden in seiner eigenen Optik-Firma in Jena, aus der er erst vor einem Jahr ausgestiegen ist.
"Es hat Spaß gemacht! Na ja, am Anfang war das noch so relativ einfach. Da war natürlich noch mehr Gelder und sowas vorhanden. Und jetzt die letzten Jahre ist das ja viel schwieriger geworden, weil es ja Fördermittel nur für ganz wenige Dinge gibt."
Und weil es nichts mehr zu verteilen gibt, hat sich kein Kandidat für die Bürgermeisterwahl gefunden.
"Guten Tag!"
"Also, die Wahlbeteiligung ist recht gut."

Wer soll Bürgermeister werden?

Die Wahlzettel im Gemeindehaus haben ein großes freies Feld, in das man einen Namen eintragen soll. Wer soll Bürgermeister werden? Hallmeyer geht kurz in die Küche, füllt seinen Wahlschein aus und wirft ihn in die gelbe Wahlurne. Danach steht man noch beieinander, es gibt immer was zu klären. Die Jagdgenossenschaft, das schnelle Internet, das kommen soll. Auch Peter Ulrich steht dabei.

"Viele Bürger wurden angesprochen, ob sie es machen könnten; aber keiner hat sich dazu bereit erklärt. Wahrscheinlich zu viel Verantwortung – ich weiß es nicht. Demokratie muss man in dem Fall wahrnehmen. Das ist eigentlich die Pflicht, die normale Pflicht eines Bürgers hier. Eine andere Chance haben wir fast nicht."

Und warum hat er nicht kandidiert?
"Nee, einfach … Ich bin da zu ehrgeizig, glaube ich. Und das tut der Gesundheit nicht gut."
Das Wahlkomitee mischt sich ein.
Frau: "Die Sache würde ich mir viel zu schwer machen! Und schlaflose Nächte haben usw. Wenn ich da anders gestrickt wäre, könnte man das – du auch! – könnte man auch machen!"
Mann: "Also, viele scheuen sich vor der Verantwortung, die sie haben, und haben fast Angst davor. Denn es ist ja doch eine Last."
Stimme: "Es ist um sechse. Tür zu, Auszählung…"
Wenig später liegen 23 Häufchen mit Stimmzetteln auf dem Tisch. 23 Namen. An der Spitze zwei Frauen mit jeweils um die 40 Stimmen. Für die Wahl wären 59 nötig gewesen. Also Stichwahl zwei Wochen später.
Hans-Peter Ulrich: "Die Spannung steigt: 42 Minuten noch. Nee! 22 Minuten!"
Die gleiche Wahlkommission.
Stimme: "124 + 5. Also schon mehr als beim letzten Mal."
Stimme: "Minkmars fehlen noch. Die waren beim letzten Mal auch da…"
Sie sinnieren darüber, wer noch kommen könnte. Und darüber, wer nie kommt.
Hans-Peter Ulrich: "Manche kommen grundsätzlich nicht. Vielleicht sind es auch diejenigen, die am meisten schimpfen. Ich weiß es nicht."
Harald Niklen: "Es ist so weit. 18 Uhr genau. Also, ich erkläre die Wahlhandlung offiziell für geschlossen. Im Anschluss erfolgt die Auszählung."
Das Auszählen geht deutlich schneller als zwei Wochen zuvor. Die Entscheidung fällt zwischen den beiden Meistgenannten der ersten Wahl.
Stimme: "So, jetzt zählen wir mal durch…"
Die beiden Häufchen sind am Ende fast genauso groß.
Stimme: "… 68 für Susann Hörl."
Stimme: "65 für Marina Kaufmann! Das war aber ein knappes Rennen! Und zwei ungültige Stimmen."

Die Verliererin trägt es mit Fassung

Die Wahlverliererin Marina Kaufmann steht daneben. Sie trägt es mit Fassung.
Marina Kaufmann: "War ein knappes Ergebnis. Es ist einfach so! Aber ich bin ein guter Verlierer. Ich hab’s versucht. Und ich lebe seit 40 Jahren hier in dem Ort. Man will ja auch ein bissel was bewegen. Aber, deswegen kann man trotzdem in der Gemeinde aktiv mitarbeiten. Also, so ist das nicht."
Die Wahlgewinnerin, Susann Hörl, sitzt nur 60 m Luftlinie entfernt in ihrem Garten.
Autor: "Hallo, herzlichen Glückwunsch!"
Susann Hörl: "Also doch!?"
Autor: "Ja. Werden sie die Wahl annehmen?"
Susann Hörl: "Das ist eine gute Frage nach der letzten Bürgerversammlung. Also, ich denke schon, ja. Dazu haben mich zu viele gefragt."
Nebenan im Wahlbüro atmen alle durch. Denn lehnt sie ab, gibt es Neuwahlen.
Harald Niklen: "Na gut, wenn sie es nicht annimmt, dann muss sie uns zum nächsten Mal mindestens einen Kuchen spendieren,…"
Stimme: "Aber einen großen!"
Harald Niklen: "So, jetzt wird’s ein bisschen schwierig hier. Das ist nur was für sportliche Leute."

Als alle Formulare ausgefüllt sind, steigt Harald Niklen auf den Dachboden. Denn nur dort hat er Handyempfang. Er muss die Ergebnisse melden.
Harald Niklen: "Noch das Fenster aufmachen."
Harald Niklen: "Jetzt kommt der Balken, wenn das Fenster offen ist!
Ja hallo! Wir haben das Wahlergebnis!"

135 von 183 Bürgern haben gewählt. Fast 74 Prozent. Rekord in Döbritschen.