Thüringen

Der Aufstand der Armen

Blick vom Plattenbau-Stadtteil Lusan auf die Stadt Gera
Auch Gera kämpft mit Finanzproblemen. © dpa / picture alliance / Universität Jena
Von Henry Bernhard |
Mehr als 100 Kommunen stehen in Thüringen kurz vor der Pleite, darunter auch große Städte wie Gera und Eisenach. Und der Unstrut-Hainich-Kreis hat inzwischen sogar einen Kommunalwald gepfändet. Städte und Gemeinden wiederum rebellieren nun und fordern ihren Anteil von den Mehreinnahmen des Landes.
Gera im vergangenen November. Der Ratssaal ist bis auf den letzten Platz gefüllt, auf der Empore drängen sich Dutzende Besucher. Sie wollen wissen, wie ihre Stadtverordneten abstimmen: Ob sie dem Sanierungskonzept der Oberbürgermeisterin zustimmen oder nicht. Denn die Stadt muss sparen. 130 Millionen Euro in den kommenden 10 Jahren.
Die Aussprache zuvor war sehr kontrovers. Es ist ungewiß, wie die Abstimmung ausgeht. Bei einem ersten Versuch vor zwei Wochen hatten die Abgeordneten das Sanierungskonzept abgelehnt - und die Oberbürgermeisterin Viola Hahn hatte über Nacht die Museen der Stadt geschlossen. Als Alarmsignal.
"Meine sehr verehrten Damen und Herren; ich gebe ihnen das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Die Vorlage erhielt 24 Ja-Stimmen bei 18 Ja-Stimmen und 1 Enthaltung und ist somit angenommen."
Das Sparkonzept ist angenommen, von der Oberbürgermeisterin fällt die Spannung ab:
"Ja, wir sind doch erleichtert. Ich denke, wir haben jetzt eine Grundlage. Jetzt liegt es in unserer Hand, jetzt sind wir in der Pflicht und müssen diesen Stadtratsbeschluß umsetzen. Ja, wie wir für Gera sparen können, um weiter investieren zu können."
Die Wellen waren hochgeschlagen in den Wochen zuvor: Die Schließung der Museen hatte bundesweit Aufmerksamkeit erregt und Empörung hervorgerufen. Im Stadtrat mußte sich die Oberbürgermeisterin einiges anhören.
Der Finanzminister als Bösewicht
"In der letzten Woche - muss ich ihnen sagen - habe ich mich als Geraer mehr als geschämt. Wir schließen Bibliotheken ohne Not, wir schließen Museen ohne Not. Eine Entscheidung, die ebenso mutig wie sinnfrei ist. Meine Damen und Herren, eines steht fest: Das Haushaltskonsolidierungskonzept ist nicht gottgewollt. Es ist uns auch nicht vom Teufel befohlen; nicht vom Teufel selbst. Es ist der Finanzminister Herr Voß, der sagt, 'Gera muss sparen, und zwar auf diese Art und Weise'."
Finanzminister Wolfgang Voß ist momentan der Bösewicht für die Thüringer Kommunen. Voß, der als Staatssekretär im sächsischen Finanzministerium das Sparen gelernt hat, muss den Landeshaushalt schrumpfen, denn die Thüringer werden weniger und die Überweisungen vom Bund sinken. Da müssen auch die Kommunen mit sparen.
Wolfgang Voß:"Wir haben für das Jahr 2013 ein neues FAG, also ein neues Finanzausgleichssystem. Natürlich haben wir auch im Kommunalen Finanzausgleich Masse gespart, weil die Einnahmen des Landes noch um etwa eine Milliarde sinken werden bis 2020. Hier muss man sich drauf einstellen. Aber insgesamt im Durchschnitt scheint es doch 'ne stabile Entwicklung zu sein, was nicht ausschließt, daß es eine Reihe von Gemeinden gibt, die doch Schwierigkeiten haben, ihren Haushalt zuzubekommen."
Genau da liegt das Problem für etwa 100 Thüringer Städte und Gemeinden: Sie sind nicht in der Lage, für das vergangene Jahr einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen, also Einnahmen und Ausgaben in Übereinstimmung zu bringen. Viele Kommunen sind hoch verschuldet, meist sind das auch die ohne Haushalt. Beispiel Eisenach: Oberbürgermeisterin Katja Wolf residiert zwar in einem riesigen Büro - aber das ist ihr peinlich: Gestalten kann sie in Eisenach schon lange nichts mehr.
Katja Wolf:"Wenn absolut unumgängliche Investitionsmaßnahmen anstehen, dann ist es immer verbunden mit dem Gang nach Erfurt und dem Betteln – nicht nur um Fördermittel, sondern auch um Zuschüsse für den kommunalen Anteil. Unsere Schulen sind weitgehend noch unsaniert. Wir können noch nicht mal die Standards im Bereich des Brandschutzes erfüllen. Eine Reihe von Flüssen durchzieht die Stadt.
Der Brückenzustand ist in vielen Bereichen katastrophal, und wir haben eine Reihe von Brücken schon sperren müssen, was natürlich ganze Stadtgebiete abhängt. Wir können nicht mehr unsere Parkflächen entsprechend pflegen; wir machen den Grünschnitt nur noch einmal im Jahr, was natürlich für eine Stadt, die auch vom Tourismus lebt, die mit der Wartburg ein Weltkulturerbe beherbergt, eigentlich eine Katastrophe ist."
Der Reisende, der Eisenach mit der Bahn erreicht, trifft vor dem Bahnhof als erstes auf einen häßlichen Bretterzaun und einen veralteten Busbahnhof. Nichts, was das Auge erfreut. Die Löcher in den Straßen sind tief, stellenweise herausragende Schwellen erinnern an die Straßenbahn, die es seit fast 40 Jahren nicht mehr in der Stadt gibt. Katja Wolf kann auch keine Hoffnungen verbreiten. Der vor einem Jahr neu gestaltete Kommunale Finanzausgleich des Landes bedeutet für die Stadt nichts Gutes.
Katja Wolf: "Wir haben uns als Stadt deutlich verschlechtert, aufgrund, dass es zwar rein rechnerisch das Ziel war, den Finanzausgleich auskömmlich zu berechnen, aber daß schlichtdurch die verschiedensten Rechentricks nicht gelungen oder umgangen wurde. Das heißt, wir haben als Stadt in den letzten Jahren im Millionenbereich jedes Jahr uns in den Zuweisungen verschlechtert. Und das, obwohl es uns noch nie wirklich gut ging."
"Rückgriff auf die Rücklagen"
Der Thüringer Gemeinde- und Städtebund ist seit Monaten in Alarmstimmung: Verzweifelte Bürgermeister und frustrierte Kommunalpolitiker können nur noch den Mangel verwalten. Kürzlich kam die Nachricht, dass in einer Kleinstadt - erstmals in Deutschland - die Mieteinnahmen der Stadt gepfändet werden, um Schulden zu begleichen. Ralf Rusch, der Geschäftsführer des Gemeinde- und Städtebundes, sieht in den 100 Kommunen ohne genehmigten Haushalt erst den Anfang des Elends.
Ralf Rusch: "Wir haben ja eine Umfrage gemacht. Danach müssen 450 Gemeinden – das ist mehr als die Hälfte in Thüringen – müssen ihren Haushalt ausgleichen durch einen Rückgriff auf die Rücklagen, das heißt, auf ihr Sparbuch, wenn sie so wollen. Und das geht auf die Dauer nicht gut. Das weiß jeder, der selber auf sein Sparbuch zurückgreifen muss: Irgendwann ist das Sparbuch alle. Und die Situation haben wir. Und da brauchen wir dringend die Unterstützung vom Land."
Der Finanzminister weiß um die Probleme der Kommunen, erinnert aber auch daran, dass diese immer jammerten. Der neue kommunale Finanzausgleich sei gerechter als der alte, lasse den Kommunen mehr Entscheidungsspielraum und belohne die Kommunen, die hohe eigene Einnahmen haben – ohne die ärmeren zu vergessen. Ein schwieriger Spagat bei einer Masse von knapp 2 Milliarden Euro, die auf über 800 Städte und Gemeinden verteilt wird.
Wolfgang Voß: "Ich hatte damals die Reform vertreten unter der Überschrift, 'Sparsamkeit gegen Sicherheit', womit ich Planungssicherheit meine und Stetigkeit."
Die CDU, zu der der Finanzminister gehört, regiert in Thüringen gemeinsam mit den Sozialdemokraten. Der kommunalpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Matthias Hey, verteidigt den Koalitionspartner.
Matthias Hey: "Den Kommunen wird es nie reichen. Ich glaube, auch wenn ich Mitglied einer anderen Partei bin, daß unser jetziger Finanzminister Voß eine Art atmendes System eingeführt hat, das zumindest ein Stückweit mehr Gerechtigkeit in die Kommunen hineinträgt, als das vorher der Fall war. Und was in den letzten Jahren passiert ist, das war: Wenn eine Kommune gut gewirtschaftet hatte und viele Einnahmen hatte, wurde sie indirekt bestraft, weil sie weniger vom Land bekommen hat.
Er schreibt jetzt ein sogenanntes „Partnerschaftsmodell“ fest und sagt: Es wird zwar immer noch angerechnet, dass es Kommunen gibt, die reich sind, aber ich mache mal eine Art atmendes System: Wenn es dem Land gut geht, gebe ich auch mehr den Kommunen, ohne ganz viele Dinge anzurechnen. Umgekehrt allerdings , wenn es dem Land schlecht geht, kriegen die Kommunen auch weniger.“
Bei der Opposition wird Finanzminister Voß zwar wegen seiner Kompetenz und seiner Verlässlichkeit geschätzt - die Regelung der Kommunalfinanzen jedoch findet keinen Beifall. Bodo Ramelow, Chef der Linken im Landtag, sieht die Städte und Gemeinden ausbluten.
Bodo Ramelow: "Man wollte mehr Transparenz schaffen; in einzelnen Elementen ist das auch erfolgt, aber es war die Warnung und die Mahnung zum Beispiel der kreisfreien Städte war von Anfang an da, daß sie ihre Leistungsaufgaben nicht mehr erfüllen können. Und wenn ich mir das Beispiel Eisenach angucke: Dort wird wie selbstverständlich erwartet, daß die Stadt ein Krankenhaus hat und Theater hat und Schulen hat. Dieselbe Situation in Suhl, noch verheerender in Gera."
Carsten Meyer, Landtagsabgeordneter der Grünen, dagegen findet einige Aspekte des neuen Kommunalen Finanzausgleichs gut.
Carsten Meyer: "Kommunale Selbstverwaltung heißt nicht: Da geht’s uns gut! Sondern, da kann es uns auch mal schlecht gehen, weil wir einfach falsch entschieden haben. Ich glaube, die Umstellung hat unter anderem dafür gesorgt, daß ein bisschen mehr Wahrheit auch bei den Kommunen angekommen ist, was ihre Haushaltssituation angeht. Es ist ja schon dramatisch, wenn man sieht, dass die Kommunen auch im letzten Jahr, das Land auch, mehr Steuereinnahmen gehabt haben. Aber natürlich nicht gleichmäßig verteilt."
Über die Gründe für die Finanznot der Kommunen gibt es verschiedene Thesen. Bei manchem sind sich Regierung und Opposition einig: Dass der Strukturwandel nach 1989 alle getroffen hat, vor allem aber Städte, in denen erst die Industrie wegbrach und dann die Menschen fortzogen. Beispiel Gera: Die Stadt hat in den vergangen zwei Jahrzehnten fast ein Drittel seiner Einwohner verloren, nachdem der wichtigste Arbeitgeber der Region, die Wismut AG, die Uranförderung eingestellt hatte.
Einig ist man sich auch, dass auf die Gewerbesteuereinnahmen kein Verlaß ist, selbst wenn die Gewerbegebiete voll sind: Geht das Geschäft schlecht oder investieren Unternehmen, bleiben weniger Steuern für die Kommunen. Und hat man einen Global Player in der Stadt - so wie Opel in Eisenach -, kann es einem passieren, dass der in 20 Jahren keinen Cent Gewerbesteuern gezahlt hat, weil er die Finanzströme so geschickt umleitet.
Der dritte Grund für die Finanznot sind die steigenden Sozialkosten, etwa für Hartz IV, für Wohngeld, für Eingliederungshilfen. Die treffen die kreisfreien Städte härter als die Landkreise. Der vierte Grund sind Fehlentscheidungen in der Vergangenheit: überzogene Investitionen, wie etwa in acht Spaßbäder für ein kleines Bundesland wie Thüringen.
Diskussion über Kommunalstrukturen
Carsten Meyer: "Einige der Kommunen, die ich kenne, haben durchaus eine eigene Verantwortung für die Finanzmisere mitzutragen. Das hören die Kommunen nicht gerne: Schlechtes Management der Gemeinderäte oder der Verwaltung, überdimensionierte Projekte, das Hoffen auf Entwicklungen, die absehbar nicht eintreten würden: All das sind so Punkte, die man auch einzelnen Kommunen zuschreiben muß. Und ich glaube, das ist eines der großen Probleme, die jetzt gerade hochkommen, daß die Kommunen merken, daß die Solidarität zwischen ihnen begrenzt ist."
Soweit ist man sich über alle Parteigrenzen hinweg einig. In einer Frage jedoch stehen alle Oppositionsparteien und die mitregierende SPD gegen die CDU: In der Frage der Kommunalstrukturen. Thüringen hat sechs kreisfreie Städte - deutlich mehr als jedes andere Bundesland, bezogen auf die Einwohnerzahl.
Thüringen ist in 17 Landkreise unterteilt - Sachsen mit doppelt so vielen Einwohnern reichen 10. Dazu hat Thüringen doppelt so viele Kommunen wie Sachsen. Opposition und SPD sind sich einig: Viele kommunale Finanzprobleme sind eigentlich Strukturprobleme. Noch einmal Carsten Mayer aus der Grünen Landtagsfraktion.
Carsten Meyer:"Ja, das ist der Klassiker, wo das Land seine Verantwortung natürlich nicht trägt. Das sagen wir als Grüne ja immer: Es braucht eine Kreisgebiets- und eine Gemeindegebietsreform! Das ist in Suhl der Fall, das ist in Altenburg der Fall, das ist in Eisenach der Fall, daß da, wo die Gewerbesteuer verdient wird und die Leute arbeiten aus den Städten, die Gewerbesteuer nicht in die Städte fließt. Und dann gibt es eben in Ichtershausen schöne Blumenampeln an den Straßen und in Arnstadt keine Kanalisation in manchen Straßen."
Und Bodo Ramelow von der Linken ist hier bei seinem Lieblingsthema.
Bodo Ramelow: "Die CDU läuft mit einem Alarmismus durchs Land und schreit, „Die Linken wollen Monsterkreise!“ Das ist keine Politik, die zukunftstauglich ist. Die Strategie der CDU war über Jahrzehnte, zwei Jahrzehnte hinweg, 'wir sind die Thüringen-Partei; wir sind gut verankert über die Landräte und Oberbürgermeister'." Und über diese Strategie einer Landräte-Politik hat man sozusagen eine Landratsrepublik entwickelt. Tatsächlich ist das alles nicht mehr tragfähig."
Und auch die mitregierende SPD arbeitet sich in ihrem Bemühen um eine Gebietsreform seit vier Jahren erfolglos am Koalitions partner CDU ab.
Matthias Hey: "Vieles von dem, was an finanziellen Problemen ist in Thüringen, hat auch seinen Grund darin, dass alles so kleinteilig und zersplittert und so kleinstaaterisch ist. Wenn eine Stadt wie Eisenach, die locker unter 60.000 Einwohner hat, sämtliche Aufgaben übernehmen muss, die eigentlich auch ein Landkreis hat, die aber kreisfrei ist, wenn sie also den Nahverkehr, die Schulen, die Gymnasien, alles Weitere selbst finanzieren soll und keine eigenen großen Gewerbesteuereinnahmen hat, denn die großen Betriebe, die viel zahlen, liegen im Umfeld von Eisenach, gehören aber nicht zum Stadtgebiet, dann ist es klar, dass so eine Stadt auf Dauer nicht überleben kann. Und an solchen Beispielen wie Suhl oder Eisenach oder auch Gera sieht man plastisch: Die müssen rückgekreist werden, denen müssen die Aufgaben abgenommen werden."
Finanzminister Voß kennt die Strukturprobleme sehr genau, er kennt auch die effizienteren sächsischen Strukturen - und er verteidigt vor dem Mikrophon die Thüringer Kleinstaaterei.
Wolfgang Voß: "Thüringen ist ja sehr, sehr, sehr, sehr kleinteilig, wenn sie so wollen. Aber, wie wir immer sagen: man kann das nicht am Reißbrett machen. Und eine schablonenhafte Übernahme von gebietskategorischen Vorstellungen jetzt aus anderen Ländern: Ich glaube, das ist so nicht der richtige Weg. Die Ministerpräsidentin und die CDU sagt also: Das geht nicht, das geht an der Wirklichkeit von Thüringen vorbei - und das möchten wir nicht."
Schönau macht Land mitverantwortlich
Dazu passt, dass das Thüringer Landesverwaltungsamt gerade vergangene Woche beschlossen hat, einen Landkreis, den Unstrut-Hainich-Kreis, einen Haushaltsbeauftragten beizustellen – zu gut Deutsch: Den Landkreis unter Zwangsverwaltung des Landes zu stellen. Sicher sind die Finanzprobleme des Kreises schon lange bekannt, sicher sind dort viele Probleme hausgemacht. Aber dennoch liegt es sicher auch an den Landesstrukturen.
Der entmachtete Landrat, Harald Zanker: "Der Beauftragte kommt dann hierher und ist dann letztendlich derjenige, ob ich die und die Ausgabe tätigen darf - beziehungsweise er vollzieht sie auch gegebenenfalls, aber politisch bedeutet das, dass das Wenige, das wir noch haben, auch nicht mehr realisiert werden kann.
Es bedeutet für mich, dass wir Mehrausgaben haben - auch der muss bezahlt werden. Es wird aber auch bedeuten - davon bin ich fest überzeugt -, dass er am Ende zum selben Ergebnis kommt, wie wir auch hier in der Verwaltung: Dass wir ein strukturelles Problem haben. Und insofern ist eigentlich auch der Beauftragte ein Armutszeugnis oder eine Bankrotterklärung der Landesregierung selber."
Bernhard Schönau, FDP-Bürgermeister von Bad Langensalza und Kreistagsabgeordneter im Unstrut-Hainich-Kreis, hat gemeinsam mit den Abgeordneten von CDU und Freien Wählern lange dafür gekämpft, dass der Zwangsverwalter kommt, weil der Landrat die Finanzen nicht in den Griff bekäme. Dennoch sieht Schönau eine erhebliche Mitverantwortung beim Land.
Das Landesverwaltungsamt hätte schließlich in den beiden vergangenen zwei Jahrzehnten Dutzende sinnloser oder überzogener Investitionen durchgewinkt und fragwürdige Haushalte immer wieder genehmigt. So sieht sich auch der Finanzminister als „Nachlaßverwalter einer inkompetenten Landesverwaltung“. Bernhard Schönau meint, das ganze Land Thüringen sei schlicht falsch organisiert.
Bernhard Schönau: "Strukturell muss noch mal eine Veränderung in Thüringen kommen. Dieser jetzige Zustand ist bei 2,2 Millionenn schlichtweg eine Katastrophe. Ich bin also großer Befürworter einer Strukturreform über alle Bereiche hinweg - kommunal bis hin auch zu staatlichen. Das ist keine Frage.
Aber wenn wir ehrlich wären, müssten wir heute auch sagen, Leute, wenn sich nichts verändert, dann sollten wir auch den Mut haben, dass der Kreistag beschließt die Auflösung des Unstrut-Hainich-Kreises. Das wäre ganz ehrlich. Dieses Gebilde ist nicht mehr lebensfähig - rein vom wirtschaftlichen her. Dann lösen wir es auf und dann ist das Land mit gefragt: Wie sieht die Neuordnung dieses Kreise, möglicherweise mit anderen Kreisen, aus? Das wäre ja ganz konsequent."
Immerhin: Der Finanzminister hat eine Task Force gegründet, um genau zu analysieren, wem warum wieviel Geld fehlt. In dieser Woche wird im Thüringer Landtag ein Hilfspaket für die Kommunen beraten: Das Land hat im vergangenen Jahr fast eine halbe Milliarde Euro Überschüsse erzielt, davon sollen 135 Millionen Euro an die Kommunen und Landkreise fließen.
Zum Vergleich: Dies ist in etwa soviel, wie Gera Schulden hat. Mit dem zusätzlichen Geld sollen Investitionen wieder möglich sein, Zwangsvollstreckungen vermieden und Schulden abgetragen werden. Der Kommunalexperte der SPD, Matthias Hey, ist ganz zufrieden mit dem Paket, das die Zeit und die Finanzlücken überbrücken soll, bis der neue Kommunale Finanzausgleich analysiert und möglicherweise nachjustiert worden ist.
Opposition kritisiert Hilfspaket
Matthias Hey: "Und das hat vor allen Dingen den Grund, dass wir im investiven Bereich den Kommunen helfen wollen. Was heißt das? Eine Gemeinde würde zum Beispiel gern eine Schule umbauen, und da gibt es ein ganz dolles Förderprogramm, das besagt: Wenn du mir zwei Euro gibst, geb' ich Dir acht, dann hast du zehn und kannst an deiner Schule alle Fenster erneuern.
Es gibt aber Kommunen, die haben nicht mal mehr den zwei Euro Eigenanteil, um das zu finanzieren; und genau dafür ist unter anderem das kommunale Rettungspaket aufgelegt worden. Und das hilft natürlich - nicht den kleinen Kommunen, sondern auch Städten wie Gera oder Eisenach oder Suhl."
Letztere, die kreisfreien Städte, sollten ursprünglich wenig bis nichts aus dem Hilfspaket erhalten. Das nährte einen bösen Verdacht nicht nur in der Opposition, sondern auch bei der mitregierenden SPD.
Matthias Hey: "Ich weiß nicht, ob man es bewusst vergessen hat, aber wenn man sich die politische Landkarte in Thüringen anschaut, dann ist es natürlich so, dass die Farbe des Parteibuchs der Bürgermeister in den kreisfreien Städten in der Regel nicht schwarz ist. Und vielleicht war das ein Grund."
In der Opposition gibt es viel Kritik an dem Hilfspaket: Die Linke meint, hier würde nur mit Blick auf die Landtagswahl das Geld, dass den Gemeinden vorher gekürzt worden war, auf Gutsherrenart zurückgegeben. Die Linke verlangt eine höhere Grundausstattung.
Es gilt jedoch als sicher, dass das Rettungspaket den Landtag passiert und zumindest einigen Gemeinden aus dem Schlimmsten retten kann. Bis dahin bleibt nur der Bürgersinn - wie in Eisenach bei Oberbürgermeisterin Katja Wolf.
Katja Wolf: "Ein Steinwurf vom Rathaus entfernt ist ein historisch bedeutsamer Platz. Hier ist es uns nur gelungen, die Frage der Sanierung in den Raum zu werfen aufgrund dessen, dass Bürger Spenden gesammelt haben und uns 25.000 Euro zur Verfügung gestellt haben, um den kommunalen Eigenanteil aufbringen zu können. Es ist zumindest ein positiver Effekt, der am Ende in so einer Notsituation zu beobachten ist."
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