Thüringen

Freiwilligendienst als zweiter Arbeitsmarkt

Junge Betreuerin in einem Altenheimen
Ältere Menschen betreuen: ein typischer Bufdi-Job © picture alliance / dpa / Foto: Klaus Rose
Von Henry Bernhard |
Eigentlich wurde der Bundesfreiwilligendienst für Menschen erfunden, die sich bürgerschaftlich engagieren wollen. In Thüringen aber übernehmen vielfach Langzeitarbeitslose die gering bezahlten Bufdi-Stellen. Ihre Hoffnung: die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt.
"Am allerliebsten würde ich natürlich was mit Behinderten machen und dann mit Behinderten arbeiten, im Christoferuswerk zum Beispiel, oder irgendwie sowas."
Es ist nicht so einfach, ein Interview mit Susanne Kühne zu führen. Sie sitzt am Eingang der Caritas-Zentrale in Erfurt. Bei ihr müssen alle vorbei: Besucher, Anrufer, Hilfesuchende. Der Kopierer steht hinter ihrem Tresen.
"Das Telefon klingelt, an der Tür klingelt's, ein Kollege kommt noch vorbei und will irgendwelche Sachen erledigt haben oder so. Das macht aber viel Spaß und ist auch sehr lehrreich für mich: Ich habe viele Sachen neu gelernt, ja den Umgang mit verschiedenen Sachen gelernt. Zum Beispiel kommen ja hier auch sehr schwierige Klienten, die ein schwieriges Päckchen auf sich geladen haben und so weiter. Das ist dann nicht ganz einfach. Also, man muss dann zum Teil erst mal versuchen, die einzuordnen: In welche Beratung kommen die? Oder: Welche Beratung wäre für die sinnvoll? Das zu koordinieren, auch zu organisieren und so, ist manchmal sehr schwierig. Ja, das lernt man hier so."
"Wenn sich was ergeben hätte, hätte ich das auch gemacht"
Susanne Kühne ist 43 Jahre alt. Gelernt hat sie zwar Gärtnerin, aber nie im Beruf gearbeitet. Gearbeitet hat sie aber immer: in der Küche, in Büros, in der Zulassungsstelle – bis auf die drei Babypausen. Mit ihrem jüngsten Sohn blieb sie zweieinhalb Jahre zu Hause. Den alten Job, mit täglich 100 Kilometer Weg zur Arbeit, konnte sie dann nicht weitermachen. Und gefunden hat sie erst einmal nichts.
"Mit Sicherheit! Wenn sich was ergeben hätte, hätte ich das auch gemacht. Aber hat sich halt nicht ergeben. Es ist halt sehr schwierig, da was zu kriegen."
"Soll ich das wegschicken?"
Eine Kollegin kommt vorbei und gibt einen Brief ab, der heute noch raus soll.
"Genau, das sind auch solche Aufgaben: Die Post halt hier auf den Postweg bringen und solche Sachen, genau. Dann auch eintrafen, sodass es verfolgt werden kann, wann was weggeschickt wurde usw."
225 Euro Taschengeld im Monat
An den Bundesfreiwilligendienst ist sie durch Zufall geraten. Bei einem Beratungsgespräch bei der Caritas vor anderthalb Jahren kam die Frage auf, warum sie es nicht gleich hier probieren will. Schon wenige Wochen später konnte sie anfangen. 30 Stunden die Woche, montags hat sie frei. Dafür bekommt sie 225 Euro Taschengeld im Monat. Pro Stunde sind das weniger als zwei Euro. Davon kann man nicht einmal sich selbst, geschweige denn eine Familie ernähren.
"Nein, ich fühle mich hier nicht ausgebeutet. Das hat vielleicht auch den Hintergrund, dass ich hier sehr gute Erfahrungen selber schon gemacht habe und jetzt einfach auch ein Stück zurückgeben kann."
Es steht wieder einer an der Tür, der einen Termin hat, aber nicht so recht weiß, bei wem.
"Ich kann ein Stückweit von dem zurückgeben, was ich hier bekommen habe. Uns ist halt die Wohnung abgebrannt, und durch die Bekannten hier haben wir ganz schnell unbürokratisch erste Hilfe bekommen; und nach der Geburt unseres stillgeborenen Kinds haben wir hier unproblematisch große Hilfe bekommen und so weiter. Seitdem mein Mann krank ist, haben wir hier Hilfe bekommen, und man kann dann einfach – Ich, wir! Wir sehen das für uns so! –, wir können einfach ein Stückweit zurückgeben von dem, was wir hier bekommen haben."
Raus aus der Arbeitslosenstatistik
Für Susanne Kühne wird der Bundesfreiwilligendienst im besten Fall eine Zwischenstation sein – auf dem Weg zurück in die bezahlte Arbeit.
"Ich denke, da muss man auch ein Stück reinwachsen, das ist einfach so. Na, so Büroarbeit habe ich gehasst immer wie die Pest, aber das ist eigentlich hier perfekt, sehr ausgeglichen: Man hat halt viel Kontakt mit den Leuten, macht nebenbei verschiedene Sache und so. Also ich könnte mir das gut vorstellen. Ich wollte gerne eine Umschulung machen zur Medizinischen Fachangestellten."
Für viele im Osten ist der Bundesfreiwilligendienst aber weder der Start ins Leben nach der Schule, noch der soziale Tupfer im Lebenslauf, noch die kleine Auszeit zwischen zwei Lebensphasen. Im Osten ist der Bundesfreiwilligendienst oft ein verkappter zweiter Arbeitsmarkt, der Langzeitarbeitslose zumindest zeitweise in Beschäftigung und aus der Arbeitslosenstatistik bringt. Tobias Elß ist bei der Erfurter Caritas verantwortlich für die sogenannten Bufdis im Bundesfreiwilligendienst.
"Der Charme des Bundesfreiwilligendienstes ist es halt, dass man ein kleines Taschengeld zusätzlich hat. Also 200 Euro sind anrechnungsfrei, die quasi auf das Hartz IV nicht angerechnet werden, das haben sie mehr im Monat. Das ist für viele ein Anreiz, das ist klar. Und es hat natürlich den Charme, wenn man im Bundesfreiwilligendienst ist, dass man für die Zeit im Dienst sozialversicherungspflichtig ist; das heißt, es werden Krankenversicherungsbeiträge abgeführt, Rentenversicherunsgbeiträge, Arbeitslosenversicherungsbeiträge. Und es hat natürlich auch den Vorteil, dass das Amt seine Statistiken ein Stückweit schön kriegt!"
"Das freiwillige Engagement hat im Osten weniger Tradition"

Was als Alternative zum abgeschafften Zivildienst vor allem für junge Leute gedacht war, zieht im Osten kaum junge Menschen an: Erstens gibt es durch Abwanderung und Geburtenknick überhaupt wenig junge Menschen, um die sich dann auch noch Ausbildungsbetriebe und Universitäten streiten. Zweitens, so meint Tobias Elß, hat das wirklich freiwillige Engagement im Osten weniger Tradition.
"Hier im Osten ist es schon so, dass man gezielt ein Stückweit sucht: Wie kann man Zeiten überbrücken? Ich denke da gerade an unsere älteren Bundesfreiwilligendienstleistenden, die den Dienst auch aus unterschiedlichen Motivationen heraus machen. Sei es, um einfach ein paar Euro mehr in der Tasche zu haben, sei es, um vielleicht auch ein Stückweit eine berufliche Chance zu wittern. Und das unterscheidet uns dann schon vom alten Bundesgebiet."
Also bleiben ihm für den Bundesfreiwilligendienste viele, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance haben, mit durchaus wechselhafter Motivation.
"So soll es eigentlich nicht sein. Wichtig ist mir, auch an der Stelle zu sagen: Es handelt sich um bürgerschaftliches Engagement. Ich engagiere mich ehrenamtlich, kriege dafür ein Taschengeld, eine kleine Aufwandsentschädigung. Das ist fernab von allen Arbeitsmarktinstrumenten, meiner Meinung nach. Und das äußert sich auch in dem Falle so, dass auch die Jobcenter, die Agenturen für Arbeit angehalten sind, da auch nicht intensiv zu vermitteln und zu integrieren, weil das ist genau das, was dem entgegen steht. Also kein Arbeitsmarktinstrument aus meiner Sicht! Es gibt eine Dienstanweisung auch, dass Bundesfreiwilligendienst und FSJ nicht zu bewerben sind. Das finde ich auch völlig in Ordnung so."
Susanne Kühne jedoch könnte so ein Musterbeispiel für den Bundesfreiwilligendienst sein: Hochmotiviert, anderen Menschen zu helfen und nach dem Dienst einen Job zu finden, der dem hier an der Rezeption ähnelt:
"Also das wäre das Optimum. Irgendein Job, wo ich halt mit Leuten zu tun habe, nicht stupide Büroarbeit oder so, sondern sowas halt."
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